# taz.de -- LehrerInnen über vergessene Schulen: „Diese Eltern sind belastet… | |
> Sonderschulen spielen in der Debatte über Unterricht im Lockdown keine | |
> Rolle. Ein Gespräch über Versäumnisse der Politik und übersehene | |
> SchülerInnen. | |
Bild: Droht in Coronazeiten aus dem Blick zu geraten: Unterricht für Kinder mi… | |
taz: Frau Zimmermann, Herr Pallas, warum fallen die Sonderschulen in der | |
Debatte um Schule zu Coronazeiten so unter den Tisch? | |
Dirk Pallas: Der Normalfall ist, nicht eine Sonderschule zu besuchen. Wir | |
sind eine Randerscheinung, inbesondere, weil es immer mehr Inklusionskinder | |
gibt, die in allgemeinbildende Schulen gehen. | |
Regina Zimmermann: Dadurch und durch die [1][pränatale Diagnostik] sind wir | |
eine aussterbende Art. Ich glaube, dass im Augenblick im Kontext mit den | |
Schulabschlüssen die Sorge sehr groß ist, dass die Kinder nicht genug | |
lernen. Bei uns gibt es keine Schulabschlüsse, ich könnte mir vorstellen, | |
dass wir auch deshalb durchrutschen. | |
Pallas: Normalerweise soll Schule ja auf den Beruf vorbereiten und | |
wirtschaftsstützende Menschen hervorbringen – das fällt bei uns weg. Auch | |
wenn einige wenige SchulabgängerInnen eine Stelle auf dem ersten | |
Arbeitsmarkt finden. Ich denke, wir sind noch immer eine Gesellschaft, wo | |
es auf die wirtschaftliche Verwertung ankommt. | |
Zugleich ist es eine sehr verletzliche Gruppe von Kindern und Jugendlichen: | |
Viele sind gesundheitlich ohnehin gefährdet und der Alltag der Familien ist | |
auch ohne Pandemie sehr anstrengend. | |
Pallas: Diese Eltern sind belasteter als andere Eltern. Sie kommen nie | |
richtig aus dem Betreuungsverhältnis heraus. | |
Zimmermann: Es ist eine sehr heterogene Gruppe. Wir haben Kinder mit | |
mehrfach Schwerstbehinderung, wir haben Kinder mit Lernbehinderung und | |
solche, die Schwierigkeiten haben, ihre Impulse zu steuern. Ich glaube, den | |
meisten ist gar nicht klar, was eine Sonderschule ist. Wir basteln nicht | |
nur und spielen mit Schaum, wir machen da ganz klar Schule: Lesen und | |
Schreiben lernen, wir machen politische Bildung. Wir machen Mathe bis hin | |
zu schriftlicher Multiplikation und Division. Bei uns ist ein großer Fokus | |
auf dem sozialen Lernen, da kann ein Schüler, der mit schriftlicher | |
Division unterwegs ist, dann einem anderen beim Anziehen helfen. Wir fallen | |
mit den Stärken unserer Schüler aber absolut raus, das interessiert | |
niemanden. | |
Wie sieht der Schulbetrieb derzeit aus? | |
Pallas: Es haben nach wie vor alle Eltern das Recht, ihre Kinder zur Schule | |
zu schicken. Viele Eltern sind so vernünftig und lassen das. Wir haben | |
jetzt maximal vier Kinder in einer Klasse, das schaffen wir auch. Im | |
Regelbetrieb sind es etwa elf, da können wir keinen 1,5-Meter-Abstand | |
einhalten. Unsere große Sorge ist, was kommt, wenn der Präsenzbetrieb | |
wieder eingeführt wird? | |
Warum? | |
Wir haben ein Klassenzimmer, das 40 Quadratmeter hat, in dem auch ein | |
Lagerungsbett steht und in dem wir essen. Wenn wir dort elf SchülerInnen | |
haben, zwei Lehrkräfte, zwei ErzieherInnen und drei Schulbegleitungen, sind | |
wir 18 Menschen. Da können wir natürlich nicht die 1,5 Meter Abstand | |
halten. Derzeit haben wir drei Schüler mit Maskenbefreiung. | |
Pallas: Und es werden immer mehr, die aus medizinischen Gründen eine | |
Maskenbefreiung haben. Im Schulalltag vergessen die SchülerInnen häufig | |
während des Spiels, Abstand zu halten oder die Maske richtig aufzusetzen. | |
Streng gesehen ist jeder mit Schwerbehinderung davon befreit, aber zum | |
Glück nutzen das nicht alle. Ein Wesen der Sonderschule ist auch, dass wir | |
dichter an die SchülerInnen heran müssen, wir zeigen ihnen Dinge mit | |
Handführung. | |
Was bräuchten Sie, um so unterrichten zu können, wie Sie es für | |
verantwortungsvoll halten? | |
Zimmermann: Wir brauchen auf jeden Fall Wechselunterricht. Wir haben viele | |
Kinder mit Vorerkrankungen und das ist ein großes Problem. | |
In Nordrhein-Westfalen gehen SchulbegleiterInnen jetzt zu den Familien nach | |
Hause. Gibt es ähnliche Hilfen in Hamburg, um die Familien zu entlasten? | |
Zimmermann: Meines Wissens nach nicht. Es ist vorgeschrieben, dass der Job | |
des Schulbegleiters in einer schulischen Veranstaltung ist. Aber es ist | |
eine super Forderung. Für den Moment fordern wir einen kostenlosen Test | |
auch für Zweitkontakt-Personen und mehr FFP2-Masken – wir bekommen drei pro | |
Woche. Und wir brauchen professionelle Lüftungssysteme. | |
Pallas: Und wir brauchen mehr Busse. Die meisten unserer SchülerInnen | |
kommen per Bus und da werden die Kohorten vollständig vermischt und der | |
Mindestabstand ist kaum einzuhalten. | |
Was hören Sie aus den Familien? | |
Zimmermann: Unterschiedliches. Bei vielen läuft es gut – aber wir haben | |
auch eine sehr lernstarke Klasse. Wir machen auch Unterricht per | |
Videokonferenz, das ist aber nur begrenzt möglich, weil wir sehr | |
handlungsorientierte Inhalte haben. Lernen ist umfassender, als ein | |
Arbeitsblatt richtig zu bearbeiten. Die Eltern sind teilweise sehr | |
angestrengt, das soziale Umfeld für die SchülerInnen ist sehr | |
eingeschränkt. Und bei den Kindern mit schwerer Behinderung ist es noch mal | |
schwieriger. | |
3 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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