Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Corona-Impfstoffe: Ökonomie des Impfens
> Biontech bietet nicht den besten Impfstoff, denn er ist zu teuer und zu
> umständlich. Aber am Ende werden die Krebspatienten von ihm profitieren.
Bild: Mag es kalt: der Biontech/Pfizer-Impfstoff muss bei -70 Grad gelagert wer…
Corona ist nicht nur eine Infektion, sondern längst auch ein Fall für
Investoren und Aktienmärkte. Die Geldgeber von Biontech haben sich bereits
geäußert: Die Zwillinge [1][Thomas und Andreas Strüngmann] wollen ihre
Anteile auf gar keinen Fall verkaufen. Die beiden Investoren halten rund 50
Prozent an der Firma, die sie zu einem „voll integrierten Pharmakonzern“
ausbauen möchten. Nicht nur Vakzine will man künftig produzieren, sondern
auch Mittel gegen Krebs oder gegen Autoimmunkrankheiten wie Multiple
Sklerose. Die Pharmaindustrie steht vor einer Revolution.
Es soll nicht zynisch klingen, aber die Coronapandemie ist für die
Biotech-Branche eine gigantische Chance. Im Großmaßstab lässt sich jetzt
testen, wie leistungsfähig [2][das neue mRNA-Verfahren] ist: Menschen
werden Bauanleitungen für Proteine gespritzt, die dann von den eigenen
Körperzellen hergestellt werden, um die Immunabwehr zu aktivieren oder neu
zu codieren. Das funktioniert bei Viren, aber auch bei Krebszellen.
Ohne Corona hätte man noch jahrelang mit eingeschränkten Mitteln und einer
übersichtlichen Zahl an Probanden klinische Studien durchgeführt. Corona
beschleunigt diese Forschung sozusagen auf „Lichtgeschwindigkeit“, wie die
Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci ihr Impfprojekt genannt haben.
Biontech dürfte in diesem Jahr etwa eine Milliarde Menschen zwei Mal
impfen, sodass hinterher ein riesiger Datensatz zur Verfügung steht, wie
das mRNA-Verfahren konkret wirkt.
Dank Corona erlebt die mRNA-Technologie jetzt einen „massiven Durchbruch,
der sich sonst vielleicht noch einige Jahre verzögert hätte“, sagt der
Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum. Für Krebspatienten
oder Menschen mit Multiple Sklerose ist das eine gute Nachricht.
Allerdings gibt es auch eine Paradoxie: Auf lange Sicht ist nämlich
keineswegs gesichert, dass der Biontech-Impfstoff die effizienteste Art
ist, um Corona zu begegnen. Biontech ist jetzt am Start, weil die
mRNA-Technologie schlicht am schnellsten war. Es dauerte nur etwa ein
Wochenende, um die Bauanleitungen für die Botenstoffe zu programmieren –
und schon konnte Biontech in die Produktion einsteigen und die klinischen
Studien beginnen.
Der Biontech-Impfstoff wirkt zu 95 Prozent, wenn er zwei Mal gespritzt
wird. Das ist grandios. Trotzdem hat der Impfstoff auch zwei allseits
diskutierte Nachteile: Er kostet bis zu 17 Euro pro Dosis und ist damit
sehr teuer. Außerdem muss das Vakzin bei minus 70 Grad gekühlt werden.
Biontech hat zwar angekündigt, dass bis zum Sommer eine neue Variante
entwickelt wird, die mit weniger Kälte auskommt.
Trotzdem ist klar: [3][Für den globalen Süden ist Biontech völlig
ungeeignet], schon weil meist die Kühlketten fehlen. Mittelfristig benötigt
die Welt einen anderen Impfstoff – und er wird kommen. Momentan werden von
rund 170 Forschergruppen mindestens sieben verschiedene Ansätze verfolgt,
wie man gegen Corona immunisieren könnte.
Dazu gehört auch die traditionelle Technik, Impfstoffe zu gewinnen, indem
man totes Virusmaterial verwendet. So nutzt AstraZeneca abgewandelte
Erkältungsviren von Schimpansen – was zwei Euro pro Dosis kostet und im
normalen Kühlschrank gelagert werden kann. Indien setzt daher auf diese
Methode, obwohl sie wahrscheinlich noch optimiert werden muss. Bisher wirkt
AstraZeneca nicht ganz so verlässlich wie das Produkt von Biontech.
Jedenfalls könnte sich im Rückblick erweisen, dass Biontech ein teurer
Umweg war, um Corona zu bekämpfen. Dennoch ist es richtig, jetzt so viel
wie möglich von diesem Impfstoff zu bestellen. Jedes Menschenleben ist
kostbar, und momentan steht eben vor allem Biontech zur Verfügung. Zudem
befeuern diese Milliarden eine Forschung, von denen noch viele
Krebspatienten oder Menschen mit Autoimmunkrankheiten profitieren werden.
Genau darauf setzen Investoren wie die Brüder Strüngmann.
24 Jan 2021
## LINKS
[1] /Portraet-ueber-die-Biontech-Chefs/!5723970
[2] /Coronamythen-und-Fakten-7/!5738523
[3] /Coronabekaempfung-in-Suedafrika/!5742214
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Biotechnologie
Israel
Patente
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Corona-Impfung in Israel: Dritte Dosis gegen vierte Welle
Während anderswo noch geprüft wird, hat Israel mit der dritten Impfung
seiner Bürger*innen begonnen. Doch viele Menschen sind skeptisch.
Corona und der Westen: Die Ignoranz der Reichen
Das Nein der Industriestaaten zur Aussetzung der Patentrechte ist nicht nur
ein moralisches Versagen. Es ist auch kurzsichtig gedacht.
Ausfuhrkontrollen für Impfstoffe: Die eigenen Fehler kaschieren
Exportkontrollen für Coronavakzine klingen fair. Doch in Wahrheit
offenbaren die Rufe nach ihr die Hilflosigkeit der politisch
Verantwortlichen.
Aktuelle Coronanachrichten: Klinik nimmt keine Neupatienten auf
Das Berliner Humboldt-Klinikum nimmt wegen eines Corona-Ausbruchs keine
neuen Patient:innen auf. Innenministerium befürchtet Angriffe auf
Impfzentren.
Corona-Impfstoffe in Deutschland: Ärger über Impfverzögerung
Weil Biontech die Impfstofflieferung in den nächsten Wochen reduziert,
müssen Bundesländer ihre Pläne anpassen. Die Kanzlerin hat Verständnis.
Weltweit beginnen die Impfkampagnen: Großes Ringen um die Spritze
Die Zahl der zugelassenen Covid-19-Impfstoffe wächst. In immer mehr Ländern
starten die Impfkampagnen.
Reaktionen auf Biontech-Chefs: Stolz und Irritation
Özlem Türeci und Uğur Şahin haben einen Impfstoff gegen das Coronavirus
entwickelt. Jetzt interessieren sich viele für ihre Herkunft. Warum?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.