# taz.de -- Konflikt um Denkmal-Bebauung: Im Schatten des Gasometers | |
> Beim geplanten Ausbau des Gasometers auf dem EUREF-Gelände kommt das | |
> Bezirksamt dem Investor entgegen. Dagegen gibt es Proteste von | |
> AnwohnerInnen. | |
Bild: Filigran und durchsichtig – aber wie lange noch? | |
Die Luft ist raus: Anfang des Monats wurde die Druckzufuhr für die | |
„Jauch-Kuppel“ gekappt. Die Traglufthalle im alten Schöneberger Gasometer, | |
wo sich einst ein TV-Spielleiter als politischer Talkmaster versuchte, sank | |
in sich zusammen. Der Eigentümer des Gasometers, die [1][EUREF AG] unter | |
ihrem Vorstandsvorsitzenden Reinhard Müller, will die Kuppel nach | |
Düsseldorf bringen, wo das Unternehmen nach Berlin einen zweiten „Campus“ | |
errichtet. | |
Die Luft brennt: Seitdem das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg am 8. | |
September beschlossen hat, den alten Bebauungsplan für den einstigen | |
Gasag-Standort am S-Bahnhof Schöneberg – das heutige EUREF-Gelände – zu | |
reaktivieren, regt sich Unmut bei vielen AnwohnerInnen. Ihr Ärger macht | |
sich an dem Gebäude fest, das nun im Inneren des kreisrunden | |
Gasometergerüsts hochgezogen werden soll, bis kurz unter die 77 Meter hohe | |
Oberkante. | |
„Wir haben in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Menschen im Kiez | |
gesprochen, und die sind durch die Bank entsetzt über die Planungen“, sagt | |
Johannes Zerger der taz. Er engagiert sich in der [2][Bürgerinitiative | |
„Gasometer retten!“], die bereits Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttl… | |
(SPD), Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) und die Denkmalbehörden | |
angeschrieben und bei einer Onlinepetition über 6.000 Unterschriften | |
gesammelt hat. | |
Der geplante Neubau „würde die beeindruckende Silhouette der | |
Stahlkonstruktion zerstören, die als weithin sichtbare Landmarke das | |
Berliner Stadtbild prägt und zum identitätsstiftenden Symbol der Roten | |
Insel in Schöneberg geworden ist“, heißt es im Petitionstext. Auch warnen | |
die VerfasserInnen vor der stärkeren Verschattung des angrenzenden | |
Altbauquartiers und dem von dem neuen Gebäude ausgehenden Lichtsmog. | |
Sie fordern, dass sich ein Hochhaus im Gasometer bis maximal 57 Meter | |
erheben darf und zwei der vom Stahlraster gebildeten „Felder“ frei bleiben. | |
So hatte es der ursprüngliche Bebauungsplanentwurf auch vorgesehen. | |
Argumentiert wurde darin mit denkmalschützerischen Gründen: „Durch das | |
Freilassen der beiden oberen Stahlgerüstringe bleibt der typische | |
transparente Charakter in der Fernsicht weitgehend erhalten“, hieß es. | |
Weil einige stadträumliche Aspekte zwischen EUREF und Bezirk bislang | |
ungeklärt waren, wurde dieser Bebauungsplan so nie beschlossen – gebaut | |
wurde trotzdem: Die Gebäude des „Campus“, wo sich Unternehmen und | |
Forschungseinrichtungen aus den Bereichen Energie und Mobilität angesiedelt | |
haben, wurden auf Grundlage der sogenannten Planreife genehmigt. | |
## Fast 15 Meter höher | |
Der Kompromiss (oder Deal, je nach Einschätzung) zwischen dem Baustadt und | |
EUREF-Chef Müller lautet nun grob gesagt wie folgt: Der [3][modifizierte | |
Bebauungsplan, der seit Montag ausliegt], reduziert die Geschossfläche auf | |
dem Gesamtgelände von 163.800 auf 135.000 Quadratmeter, erhöht sie aber im | |
noch fehlenden Gasometergebäude von 30.850 auf 39.600 Quadratmeter – und | |
die Oberkante von 57 auf 71,50 Meter. | |
Konkret bedeutet das, dass das Gasometerhaus nur noch das oberste | |
Gerüstfeld teilweise frei ließe. Dort entstünde ein zurückgesetztes | |
„Staffelgeschoss“ mit flacher Kuppel. Für das restliche Gelände ändert s… | |
faktisch nur, dass sich der bereits fertige Gebäudebestand nicht mehr | |
aufstocken ließe. Und EUREF wird die im alten B-Plan enthaltene | |
millionenschwere Verpflichtung erspart, eine weitere Zufahrtsstraße vom | |
Autobahnkreuz Schöneberg zu dem Gelände zu errichten. | |
Genau das findet Stadtrat Oltmann gut: „Als Grüner kann ich es nur | |
begrüßen, wenn eine Straße nicht gebaut wird“, sagt er. Sie sei auch nicht | |
mehr nötig, das habe ein neues Gutachten ergeben: Das Mobilitätsverhalten | |
habe sich in den letzten zehn Jahren stark verändert, die meisten | |
Beschäftigten auf dem Gelände reisten per ÖPNV oder Fahrrad an. Oltmann | |
ärgert sich über die Debatte, weil im Gasometer rund 2.000 gut bezahlte | |
Arbeitsplätze entstünden – „in einem Zukunftsbereich“: Wie bereits beka… | |
wurde, will die Bahn AG dort ihre „Digitalisierungseinheit“ konzentrieren. | |
Deshalb hält der Stadtrat die Änderung der Gebäudehöhe für einen | |
„tragfähigen Kompromiss“, von dem sich alle in den kommenden Wochen ein | |
Bild machen könnten, auch in einem extra vor Ort aufgestellten | |
Info-Container. Alle Einwendungen von AnwohnerInnen würden anschließend | |
geprüft, genauso wie die des Landesdenkmalamts – das gegenüber der taz | |
bestätigt, dass es die Umplanung ablehnt. Solche Einwände könnte das | |
Bezirksamt allerdings „wegwägen“, wie der Fachbegriff lautet. | |
Der Stadtrat bemüht auch das Argument, dass der Gasometer in seiner | |
„aktiven Zeit“ zwischen 1910 und 1995 kein leeres Gerüst war: Es umschloss | |
einen je nach Füllstand auf- oder abfahrenden Druckbehälter für Stadtgas. | |
„Das geplante Gebäude wird diesem Bild nahekommen“, glaubt er, „und wenn | |
wir schon von Bewahrung historischer Substanz reden: Ich glaube nicht, dass | |
die Anwohner mit einem Zylinder aus genieteten Stahlplatten glücklich | |
wären.“ | |
Johannes Zerger von der Bürgerinitiative lässt das nicht gelten: „Während | |
des Betriebs hatte der Gasometer sehr unterschiedliche Füllstände. Und so | |
wie jetzt sieht er seit einem Vierteljahrhundert aus. Das ist für | |
Schöneberg längst stadtbildprägend“, sagt er. Zerger hat aber auch Bedenken | |
angesichts der Verhandlungstaktik von Projektentwickler Müller. So wurde im | |
Sommer 2020 plötzlich kolportiert, Tesla wolle in den Gasometer ziehen. | |
„Das Gerücht kam natürlich zum perfekten Zeitpunkt und dürfte es EUREF | |
leichter gemacht haben, den Stadtrat und die BVV für die Umplanung zu | |
gewinnen“, meint er. | |
## 2.000 „neue“ Arbeitsplätze? | |
Es blieb dann ein Gerücht. Dass nun die Bahn AG einziehen will, scheint | |
deutlich belastbarer zu sein. Was genau das Unternehmen dort tut, steht auf | |
einem anderen Blatt. „Aus der grünen BVV-Fraktion heißt es, die Bahn AG | |
habe einen Vertrag mit Herrn Müller und werde in dem geplanten Gebäude im | |
Gasometer 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen“, berichtet die frühere grüne | |
Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer, die heute in der Denkmalpflege | |
engagiert ist. „Das waren wohl auch Gründe für die Fraktion, der | |
Veränderung des Bebauungsplanentwurfs zuzustimmen.“ | |
Dass es sich um „neue“ Arbeitsplätze handelt, trifft nach taz-Informationen | |
nicht zu. Ein Großteil davon sind Jobs, die die Bahn von anderen Standorten | |
in den Gasometer verlegen will. Nicht zuletzt angesichts der Coronakrise | |
wäre eine solche Expansion gerade auch schwer vorstellbar. Ziemer | |
betrachtet das Versprechen jedenfalls mit „großer Skepsis“: „Herr Müller | |
hat in der Vergangenheit schon viele Projekte angekündigt, die nicht | |
realisiert wurden.“ | |
Das trifft auch auf die Sanierung des Gasometergerüsts selbst zu, wie die | |
KritikerInnen betonen. Immerhin hatte Müller sich schon im Jahr 2009 dazu | |
verpflichtet, die Rostschäden der Stahlträger zu beseitigen. Das soll ihm | |
zufolge jetzt erst, im Zuge des Ausbaus geschehen. Die LED-Anzeige, mit der | |
der Gasometer damals im Gegenzug „geschmückt“ werden durfte, blieb | |
allerdings die ganze Zeit über erhalten. Mittlerweile zeigt sie immerhin | |
die rückwärts tickende „carbon clock“, die angibt, wie lange noch CO2 im | |
aktuellen Umfang emittiert werden kann, ohne das Pariser Klimaziel zu | |
sprengen. | |
Bleibt die Frage, ob noch ein direkter Meinungsaustausch zwischen | |
AnwohnerInnen und EUREF-Vorstand möglich ist. In einem Zeitungsinterview | |
hatte Reinhard Müller betont, er habe das Gespräch angeboten. Wie sich | |
später herausstellte, bezog sich das wohl auf eine frühere | |
Bürgerinitiative, die schon vor Jahren den Ausbau des Gasag-Geländes | |
kritisierte. Laut Stadrat Oltmann soll es aber am 16. Februar eine | |
Videokonferenz geben, bei der Müller sein Projekt noch einmal vorstellen | |
wird. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://euref.de/ | |
[2] http://www.gasometer-retten.de/ | |
[3] https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/aemte… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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