# taz.de -- Politische Brandstiftung vor Gericht: Kein politisches Motiv erkannt | |
> Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilt Joachim S. zu mehrjähriger | |
> Haft. Dessen Bezüge zu rechten Gruppen klammerte es aus. | |
Bild: „Zu den Motiven des Angeklagten fand das Gericht nur wenige Worte.“ | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Siebeneinhalb Jahre Haft wegen versuchter schwerer | |
Brandstiftung in drei Fällen und versuchter Brandstiftung in weiteren drei | |
Fällen, zum Teil verbunden mit gefährlicher Körperverletzung und | |
Sachbeschädigung. So lautet das Urteil gegen Joachim S. Ein politisches | |
Motiv für seine Taten wollte das Landgericht Frankfurt nicht erkennen. | |
Der 47-jährige Erwerbslose musste sich vor Gericht wegen einer Serie von | |
Brandanschlägen zwischen Dezember 2018 und seiner Inhaftierung | |
verantworten. Der Prozess stand unter kritischer Beobachtung, weil | |
AktivistInnen aus der linken Szene den Angeklagten für ein Dutzend weiterer | |
Brandanschläge auf linke Wohn- und Kulturprojekte im Rhein-Main-Gebiet in | |
der Zeit davor verantwortlich machen. | |
Doch von der langen Liste dieser Fälle findet sich im Urteil nur einzig der | |
Brandanschlag auf das Kulturzentrum KUZ in Hanau. Damals war Joachim S. | |
unmittelbar nach dem Zündeln von BesucherInnen des KUZ gestellt und der | |
Polizei übergeben worden. | |
Trotzdem dauerte es noch ein ganzes Jahr, bis er im Dezember 2019 in Haft | |
genommen wurde. Unter der Observierung durch die Polizei hatte S. weiter | |
zündeln können. Den Strafverfolgungsbehörden hatten die Beweise nicht für | |
einen dringenden Tatverdacht ausgereicht. | |
Mit Brennspiritus hatte Joachim S. am 21. Oktober 2018 in einem | |
Nebengebäude des KUZ eine „eineinhalb Meter hohe Stichflamme“ entzündet, | |
bevor er sich davon gemacht habe. Nur weil der Brand schnell bemerkt und | |
gelöscht worden war, sei niemand zu Schaden gekommen, so das Urteil. | |
## Gefahr für Leib und Leben | |
Wie in drei weiteren Fällen stellte das Gericht fest, dass von der | |
Brandstiftung erhebliche Gefahren für Leib und Leben ausgegangen waren. So | |
hatte S. in Niederursel im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses Klopapier | |
in den Rollladenkasten gesteckt und angezündet. Die Bewohnerin leide noch | |
heute an den traumatischen Erinnerungen, sagte die Vorsitzende Richterin. | |
Zu den Motiven des Angeklagten fand das Gericht nur wenige Worte. S. leide | |
an narzisstischen und paranoiden Persönlichkeitsstörungen, mit dieser | |
Einschätzung folgte das Gericht dem psychiatrischen Gutachter. Stets war | |
der vereinsamte alkoholkranke Mann betrunken, wenn er mit | |
Brandbeschleunigern und Feuerzeug unterwegs war. Das Bedürfnis zu zündeln | |
„poppe auf“, wenn er Alkohol getrunken habe, vertraute S. dem Gutachter an. | |
Für politische Motive sahen weder Staatsanwaltschaft noch Gericht | |
Ansatzpunkte. | |
Der Angeklagte hatte zu Beginn des Prozesses über seine schwere Kindheit | |
mit einem alkoholabhängigen Vater berichtet, über sein Scheitern in Studium | |
und Beruf. Auch hatte er Ausgrenzung und tiefe Einsamkeit beklagt. Die | |
ersten Brandanschläge hatte er in Darmstadt auf ein Haus begangen, das er | |
als sein „Traumhaus“ beschrieben hatte – im Kontrast zu der vermüllten | |
Wohnung seines Vaters, für die er sich vor Freunden schämte. | |
## Protest von AktivistInnen linker Wohn- und Kulturprojekte | |
Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten am Freitag erneut AktivistInnen | |
linker Wohn- und Kulturprojekte gegen Urteil und Verhandlungsführung. Von | |
Anfang an hätten sich Gericht und Staatsanwaltschaft darauf verständigt, | |
„bloß kein politisches Fass auf zu machen“, sagte einer der AktivistInnen | |
der taz. | |
Obwohl der Staatsschutz umfangreiche Ermittlungen geführt, und Joachim S. | |
bereits 2015 mit Anzeigen gegen linke Wohnprojekte in Erscheinung getreten | |
sei, habe die Justiz seine politische Motivation bei den Brandstiftungen | |
ausgeklammert. Auch die Tatsache, dass er Bezüge zu rechten Gruppen gehabt | |
und Geld an die AfD gespendet habe. | |
Viele der Betroffenen, die zum Teil noch heute unter Traumatisierungen | |
litten, seien in dem Verfahren nicht einmal zu Wort gekommen, was sie | |
„wütend und ratlos“ zurücklasse. Das Vorgehen entspreche der „klassisch… | |
Linie“ der hessischen Justiz: „Entpolitisieren, was entpolitisiert werden | |
kann – und alles möglichst geräuschlos und prozessökonomisch abwickeln.“ | |
8 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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