# taz.de -- Prozess um Brandstiftung auf linke Projeke: Schwere Kindheit oder L… | |
> In Frankfurt hat der Prozess gegen einen Brandstifter begonnen, der linke | |
> Hausprojekte angriff. Ein politisches Motiv wird nicht angesprochen. | |
Bild: Die Brandanschläge des Angeklagten galten vor allem linken Projekten | |
FRANKFURT/MAIN taz | Vor dem ersten Verhandlungstag nimmt der Polizeibeamte | |
Joachim S. die Handschellen ab. S., 47 Jahre alt, ist ein kleiner Mann mit | |
schütterem Haar, einer Brille mit dicken Gläsern und wirkt eher | |
ungefährlich. Über Jahre hinweg soll er gleichwohl unter BewohnerInnen | |
linker Wohnprojekte und BetreiberInnen alternativer Szenetreffs Angst und | |
Schrecken verbreitet haben. | |
Seit diesem Freitag muss sich S. wegen schwerer Brandstiftung vor dem | |
Frankfurter Landgericht verantworten. 16 Mal soll er zwischen Dezember 2018 | |
und Dezember 2019 gezündelt und dabei mehrfach Menschen in Gefahr gebracht | |
haben. | |
2018 war er [1][bereits zweimal von Augenzeugen oder Passanten im | |
Zusammenhang mit Brandanschlägen] festgehalten worden. Einmal fand die | |
Polizei sogar Brandbeschleuniger in seinem Rucksack. Für einen dringenden | |
Tatverdacht und damit für einen Haftbefehl seien die Indizien nicht | |
ausreichend, erklärte Ende 2018 die Staatsanwaltschaft der taz. | |
Die von Brandanschlägen Betroffenen kritisierten damals bereits die in | |
ihren Augen laschen Ermittlungen. Immerhin begann danach die Überwachung. | |
S. machte weiter und legte – polizeilich observiert – 15 weitere Feuer. | |
Schließlich wurde er [2][im Dezember 2019 festgenommen.] Seit einem Jahr | |
sitzt Joachim S. in Untersuchungshaft. | |
## Mögliches politisches Tatmotiv nicht untersucht | |
AktivistInnen aus der linken Szene im Rhein-Main-Gebiet machen ihn darüber | |
hinaus auch für andere Brandstiftungen gegen linke Wohnprojekte und | |
alternative Kulturzentren verantwortlich. Am Freitag demonstrierte ein | |
gutes Dutzend von ihnen vor dem Gerichtsgebäude gegen „rechten Terror in | |
Staat, Behörden und auf der Straße“. Sie kritisieren, dass die Justiz den | |
möglichen politischen Hintergrund der Brandstiftungen ausblende. | |
Von einem politischen Hintergrund ist in diesem Prozess erst einmal nicht | |
die Rede. In der Anklageschrift findet sich kein Wort in der Anklageschrift | |
über den Charakter der Anschlagsziele oder zu den möglicherweise | |
politischen Motiven des Angeklagten. Obwohl S. auch zweimal an die AfD | |
gespendet hatte. | |
Zu den Brandanschlägen selbst will der Angeklagte zunächst nichts sagen. | |
Dramatisch schildert er seine schwere Kindheit und Jugend. Die Mutter | |
bricht am Tag seiner Einschulung zusammen und stirbt wenig später an Krebs. | |
Der Vater, Studienabbrecher und schließlich arbeitslos, trinkt und schlägt | |
seine beiden Söhne. Unter Einsamkeit habe er gelitten, wegen seiner | |
schmächtigen Statur und seiner Brille sei er gehänselt worden, sagt Joachim | |
S.. | |
## Täglich bis zu 5 Liter Bier | |
Nach dem glänzend bestanden Abitur studiert er in Darmstadt Physik, doch | |
auch er ist längst zum Trinker geworden. „Täglich 8 bis 10 halbe Liter | |
Bier“. Morgens ist er mit seinem Kater beschäftigt, schwänzt die | |
Vorlesungen und leidet unter Gedächtnisverlust. Das Vordiplom schafft er, | |
dann bricht er das Studium ab. | |
Etwa zeitgleich tritt er erstmals als Brandstifter in Erscheinung. Dreimal | |
versucht er 2002 dasselbe Haus in Darmstadt anzuzünden. Es sei für ihn ein | |
„Traumhaus“ gewesen, in so einem Haus wäre er gerne zu Hause gewesen, für | |
die verwahrloste Wohnung seines Vaters habe er sich geschämt, bekannte er | |
damals vor Gericht. Seitdem ist S. vorbestraft. | |
Die Hassbeziehung des Angeklagten zur linken Szene kommt an diesem ersten | |
Verhandlungstag nur einmal kurz zur Sprache. Als Joachim S. über sein | |
„Outing“ spricht. Aktivistinnen hatten ihn öffentlich der Brandanschläge | |
beschuldigt. Durch sein Fenster sei in der Nacht ein Pflasterstein geworfen | |
worden. „Wenn Sie das erleben, kriegen sie das Zittern“, sagt er. Ob er | |
Linke seitdem als Feinde ansieht oder bereits zuvor als Gegner gesehen hat | |
– danach fragt ihn keiner der Prozessbeteiligten. | |
Stattdessen geht es zunächst um den Brandanschlag auf das Kulturzentrum KUZ | |
im Dezember 2018 in der Hanauer Metzgerstraße. Damals war der Angeklagte am | |
Tatort. Das gibt er zu. Beim Zündeln hat ihn niemand gesehen. Auf dem | |
Hanauer Freiheitsplatz hatten ihn damals ZeugInnen gestellt. Aus seinem | |
Rucksack sei eine Flasche mit Spiritus gerollt, sagte am Freitag vor | |
Gericht ein 30jähriger Zeuge. „Ich habe damals gedacht: Mein Gott, der Mann | |
wollte uns anzünden.“ | |
Mehrere andere Anschläge auf linke Projekte sind bislang nicht Gegenstand | |
der Anklage. „Die Ermittlungen dauern an“, erklärt dazu die | |
Staatsanwaltschaft. | |
20 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Anschlaegen-auf-Projekte-in-Hessen/!5563514 | |
[2] /Serien-Brandstiftung-auf-linke-Projekte/!5649821 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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