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# taz.de -- Die Wahrheit: Beam me up, Scotty!
> Das mit dem Gefühl der sehr kleinen Welt aus der sehr großen
> Vogelperspektive klappt nicht mehr. Wie viele Jahre ist es bloß her,
> dieses Gefühl?
Aus der Vogelperspektive traumhaft leben – unter diesem Himmel und unter
diesem Motto kam ich eigentlich gut durch meine Anfangsjahre als Mensch.
Zumindest durch die, die mir heute noch erinnerlich sind. Interessant und
aufschlussreich wurde es immer dann, wenn ich abends in meiner Bettstatt
lag, mein lieber kleiner Bruder aufgehört hatte, den Tag in seiner über Eck
angrenzenden Bettstatt Revue passieren zu lassen, und ihn mitten in einer
Wortkombi wie „weißes Pony“ die Müdigkeit übermannte und er verstummte.
Dann lag ich da, gefühlt auf weiter Flur und ganz allein im nachtdunklen,
partiell holzvertäfelten Zimmer und beamte mich weg. Dieses Momentum kannte
ich von massig Folgen „Raumschiff Enterprise“, wie nix weggeschaut bei
Orangensaft und Keksen in der total verqualmten Werkstatt meines Onkels. Er
wohnte im selben Haus; ihm verdanke ich eine zufriedene Kindheit mit viel
in die Glotze gucken. Anfangs saß ich dabei noch auf einer mindestens 40
Zentimeter hohen Schaumstoffauflage, die es mir erleichterte, in Würde das
Fernsehgeschehen zu verfolgen.
Aber wo war ich stehengeblieben, natürlich: beim Gegenteil, dem Wegbeamen.
Ich lag also in meiner Bettstatt und schloss die Augen. Zukneifen war gar
nicht nötig, denn das wundersame Gefühl der sehr kleinen Welt aus der sehr
großen Vogelperspektive war ja schon da.
In der Draufsicht aus dem All auf eine Art aufgeschnittenes Puppenhaus sah
ich mich in einem winzigen Zimmerchen liegend, daneben die anderen winzigen
Zimmerchen unserer Wohnung. Meine Mutter sah ich aus der traumhaften
Vogelperspektive, wie sie in ihrem langärmeligen Nachthemd und mit einer
winzigen Kanne vor dem Zubettegehen die Blumen goss; unseren winzigen
schwarzen Kater erblickte ich, erst in eine Ecke würgend, dann als
kotzenden Kater.
Das machte mir aber nichts aus, das mit dem Kotzen. Ich schwebte über allem
und über diesem und jenem – und tat dabei auch noch einen kindlichen
Schönheitsschlaf. Gedanken verschwendete ich bei diesem Gedankenspiel
keine, sie existierten nicht, die Gedanken. Es war herrlich und unheimlich
zugleich. Kindheit.
Am nächsten Morgen hüpfte ich von meinem Lager, als wenn nichts zuvor
geschehen wäre, und das stimmte ja auch. Passiert war nullkommanichts; die
elterliche Wohnung war wieder auf Normalgröße angewachsen, der kleine
Bruder war gar nicht mehr winzig, sondern größer und trödelte auf dem Klo.
Der Kater wiederum kotzte in echt und in Echtzeit auf die Fliesen. „Family
Affair“ eben, wie eine amerikanische 60er-Jahre-Serie heißt, die ich seit
neulich zwischen den Jahren ohne Unterlass gucke.
Das mit dem Wegbeamen und dem traumhaften Gefühl der sehr kleinen Welt aus
der sehr großen Vogelperspektive, das kriege ich übrigens seit geraumer
Zeit nicht mehr hin. Wie viele Jahre es bloß her ist, dieses Gefühl? Ich
tippe auf vierzig.
5 Jan 2021
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Traum
Kindheit
Realität
Armin Laschet
Astrologie
Kolumne Die Wahrheit
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