# taz.de -- Silvester-Krawalle in Connewitz: Täter oder Opfer? | |
> In Leipzig wird gegen einen Mann verhandelt, der an Silvester einen | |
> Polizisten angegriffen haben soll. Die Verteidigung zeichnet ein anderes | |
> Bild. | |
Bild: Polizisten räumen eine Kreuzung im Stadtteil Connewitz in der der Neujah… | |
LEIPZIG taz | Bald ein Jahr ist es her, dass Ausschreitungen in der | |
Silvesternacht am Connewitzer Kreuz in Leipzig zu einer bundesweiten | |
Debatte geführt haben. Am Mittwoch ging die Verhandlung gegen einen der | |
Angeklagten am Amtsgericht Leipzig in die nächste Runde. Dem Angeklagten | |
wird ein tätlicher Angriff, vorsätzliche Körperverletzung und | |
Gefangenenbefreiung vorgeworfen. Er soll einem Beamten den Helm vom Kopf | |
gerissen und ihn geschlagen haben – so die Staatsanwaltschaft. | |
Verteidiger Daniel Werner hingegen zeichnet ein anderes Bild: Nicht sein | |
Mandat hätte die Beamt:innen angegriffen – sondern er sei selbst Opfer von | |
Polizeigewalt geworden. Der Angeklagte sei bei der Festnahme mit dem Kopf | |
auf das Pflaster aufgeschlagen, bewusstlos gewesen und habe im Krankenhaus | |
behandelt werden müssen. | |
Mehr als vier Stunden vergehen am Mittwoch im Gerichtssaal, bis der erste | |
Zeuge gehört wird. Der Beamte, dem der Angeklagte den Helm vom Kopf | |
gerissen haben soll, räumt ein, es sei ein taktischer Fehler gewesen, dass | |
er allein unterwegs war. Er beschuldigt den Angeklagten, ihn gegen die Wand | |
gedrückt und geschlagen zu haben. | |
Zuvor lässt sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Verteidigung, | |
Staatsanwaltschaft, Richter und anwesenden Polizeibeamt:innen beobachten. | |
Zwei Polizist:innen der Leipziger Bereitschaftspolizei haben sich in | |
Uniform und mit Dienstwaffe in die Besucherreihen gesetzt. Laut eigener | |
Aussage aus dienstlichen und privaten Gründen. Die Zeugen seien zum Teil | |
Kollegen von ihnen, sie wollten den Prozess gerne beobachten. | |
## Vom Publikum in den Zeugenstand | |
Verteidiger Werner sieht darin eine Verletzung der Gewaltenteilung. Sollte | |
es eine dienstliche Anweisung geben, müsste diese dem Gericht vorliegen. | |
Ansonsten sollten die Polizist:innen als Besucher:innen ihre Waffe ablegen. | |
Die Anwesenheit der bewaffneten Polizist:innen, so Werner, würde | |
psychologische Auswirkungen auf den Angeklagten haben, genauso wie auf | |
Polizeibeamte, die als Zeugen geladen sind. Der Staatsanwalt bezeichnet den | |
Einwand als eine Prozessverzögerungsstrategie. | |
Werner hingegen befürchtet, dass die Zeugenaussagen der Beamten aufgrund | |
des vom polizeilichen Korpsgeist ausgehenden Drucks verzerrt werden | |
könnten. Schließlich stellt sich heraus, dass einer der Beamten im | |
Publikum, selbst am Einsatz in der Silvesternacht beteiligt war. Er wird | |
deshalb als Zeuge gehört, danach muss er den Raum verlassen. | |
Auf Nachfrage nach der dienstlichen Anweisung wollte sich der Polizist – | |
sein Name ist Robin G. – gegenüber der taz nicht äußern. Man könnte ihm d… | |
Aussage im Mund verdrehen, so der Beamte. Ein Polizeisprecher bestätigte | |
der taz, dass der Beamte den Auftrag der Prozessbeobachtung mit dem Ziel | |
des Qualitätsmanagement und der Weiterbildung gehabt habe. | |
Das Hin-und-Her zeigt im Kleinen, worum es in dem Prozess im Großen geht: | |
Die Frage nach Schuld und Unschuld der Polizei im Geschehen rund um die | |
Silvesternacht in Connewitz. Nach der Silvesternacht haben die Ereignisse | |
eine Debatte über linke Gewalt gegen Polizist:innen ausgelöst. | |
Gleichermaßen wurde jedoch darüber diskutiert, welche Rolle die Polizei bei | |
den Eskalationen gespielt hat und ob es Polizeigewalt gegeben hat. Videos | |
der Nacht zeigen gewalttätige Handlungen von beiden Seiten. | |
Mindestens zwei Beamte mit rechtsextremen Kontakten | |
Bei den Ausschreitungen war es zu diversen Verletzungen gekommen, sowohl | |
auf Seiten der Polizei, als auch auf Seiten der Versammlung. | |
[1][Taz-Recherchen] konnten im Nachgang widerlegen, dass ein Beamter | |
notoperiert werden musste, wie die Polizei Leipzig es in einer | |
Pressemitteilung zuvor behauptet hatte. Der Pressesprecher der Polizei | |
Leipzig musste seinen Posten abgeben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte | |
dennoch wegen versuchten Mordes – Tatverdächtige gibt es bis heute keine. | |
Im aktuellen Prozess gegen den Angeklagten wurde zudem bekannt, dass unter | |
den eingesetzten Polizeibeamten mindestens zwei waren, die [2][Verbindungen | |
in die rechtsextreme Kampfsportszene] haben. Ein Foto zeigt die Beamten | |
Felix P. und Florian S. gemeinsam mit Markus K., einem der Tatverdächtigen | |
im rechtsextremen Angriff auf Connewitz 2016. Felix P, war bereits Zeuge im | |
Prozess, am Mittwoch sollte Florian S. aussagen. Er erschien jedoch | |
aufgrund einer Krankheit nicht. Linke Aktivist:innen machten am Prozesstag | |
mit einem Transparent vor dem Amtsgericht auf die Verbindungen der | |
Polizisten zur rechten Kampfsportszene aufmerksam. | |
Im Prozessverlauf hatten bereits zwei Polizeibeamte ausgesagt, die an der | |
Festnahme des Angeklagten beteiligt waren. Keiner der beiden konnte einen | |
Schlag des Angeklagten gegen einen Polizeibeamten bezeugen. | |
Verteidiger Werner sagte am Mittwoch, es sei zu klären, wer das | |
tatsächliche Opfer, wer der tatsächliche Täter sei. Er argumentierte, dass | |
die [3][Beweislage gegen den Mandanten dünn sei]. So sei seine DNA nicht am | |
Helm des Polizisten gefunden worden. Außerdem sei der Polizeieinsatz | |
insgesamt umstritten gewesen. | |
Derzeit ist noch ein weiterer Prozesstag für den 15. Dezember angesetzt. | |
Der Haftbefehl gegen den Angeklagten wurde inzwischen aufgehoben. Diverse | |
Anträge der Verteidigung, darunter einer auf Verschiebung des Prozesses | |
aufgrund der Pandemie, sowie ein Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden | |
Richter blieben bislang erfolglos. | |
2 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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