Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinoveteran über seine Geschichte: „Ich habe viele Krisen gesehe…
> Produzent, Regisseur, Drehbuchautor: Werner Grassmann war all das. Aber
> am treuesten war sein Herz dem Abaton-Kino, das er vor 50 Jahren
> mitgründete.
taz: Herr Grassmann, ich las, dass Sie gelegentlich am Einlass stehen und
die KinozuschauerInnen begrüßen. Was tun Sie zu Coronazeiten stattdessen?
Werner Grassmann: Ich liebe das Kino sehr und auch wenn wir derzeit keine
Filme zeigen können, gehe ich trotzdem dahin, erst in mein Büro und dann im
Kino nach dem Rechten schauen. Es ist ja nicht so, dass das Abaton
vollkommen geschlossen wäre. Nur die Leinwand bleibt gerade dunkel. Ich
habe ja drei Söhne, zwei davon sind hier Geschäftsführer.
Also eine Art Familienunternehmen?
Ja, wir sind alle mit dem Kino verbunden. Ohne meine Frau würde es das
Abaton nicht geben, sie hat die Familie zusammengehalten. Ich war hoch
verschuldet und das Kino warf wenig Geld ab. Sie ist Kunsterzieherin und
ist dann, weil es für das Butterbrot nicht gelangt hat, in den Schuldienst
gegangen und war drei Tage in der Woche Kunsterzieherin.
Dann ist nur ein Sohn aus dem Familienbetrieb ausgeschert?
Der dritte Sohn ist Arzt, aber auch er ist eng mit dem Kino verbunden. Als
er studierte, hatte ich, wie gesagt, wenig Geld und konnte ihn nicht
unterstützen. Er hat im Kino gejobbt und war elf Jahre lang Vorführer. Er
saß im Vorführraum und hat für sein Medizinstudium gebüffelt. Heute ist er
ein erfolgreicher Arzt, aber ins Kino geht er immer noch gerne.
Gibt es manchmal in der Familie Diskussionen, ob ein Film gut ist?
Natürlich, wir diskutieren oft. Wenn einer dann sagt: Nee, das ist doch
kein Abaton-Film, dann ist das so ziemlich die härteste Kritik, die es
gibt.
Sie haben einmal den Begriff „Brotfilm“ benutzt, für Filme, die Geld in die
Kasse bringen. Ist Ihr Motto: So wenig Brotfilm wie möglich?
Stimmt und stimmt auch nicht. Erstens gibt es nicht so viele Brotfilme, die
auch ins Abaton passen. Radau-Filme, die vor allem in den großen
Innenstadt-Kinos laufen, zeigen wir nicht. Aber es gibt auch Ausnahmen,
manchmal machen ja auch berühmte Arthouse-Regisseure Remmidemmi-Filme, Sam
Mendes zum Beispiel. Dessen Bond-Film haben wir gezeigt. Das Publikum macht
das schon mit.
Sie haben das Abaton-Kino einmal gegründet, um Ihre und die Filme Ihrer
Freunde zeigen zu können. Ist diese Rechnung aufgegangen?
Gezeigt habe ich die, aber damit konnte man kein vollständiges Programm
gestalten. So viele Filme hätten meine Freunde und ich niemals produzieren
können. Wir hatten in den Anfangsjahren ja nur einen Kinosaal, das Große
Kino, aber selbst unter diesen Umständen bedeuteten drei Vorstellungen am
Tag, dass man 21 Filme pro Woche brauchte. Denn damals war es noch nicht
üblich, eine Woche lang immer nur einen einzigen Film zu spielen. Als
avantgardistisches Kino dudelt man nicht einfach die Filme durch, um abends
eine volle Kasse zu haben.
Wie meinen Sie das?
Meine Freunde von der Hamburger Filmkoop zeigten ihre Experimentalfilme,
die ein breites Publikum nicht interessierten, es waren eben Kunstfilme.
Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass das Abaton-Schiff untergehen
wird, wenn keine Leute kommen. Dann habe ich mich entschlossen, nicht mehr
ganz so puristisch zu sein. Im Abaton wurden von da an Filme zeigt, die
einen breiteren Geschmack getroffen haben. Die nannte ich Brotfilme.
Kunstfilme gab es natürlich trotzdem noch. Im Prinzip ist das bis heute so
geblieben. Die Mischung machts.
Waren Sie enttäuscht, dass die Leute kein Interesse an den Kunstfilmen
hatten?
Es gibt zwar eine ganze Reihe von filminteressierten Hamburgern, aber eben
nicht genug, um ein ganzes Kino am Leben zu erhalten. Da habe ich gedacht:
Bevor ich die Underground-Filme gar nicht zeige, nehme ich noch etwas
anderes hinzu. Das hat dann sehr gut funktioniert.
Sie sind Regisseur, Produzent, Kinobetreiber. Gibt es da so etwas wie einen
Haupt- und einen Nebenberuf?
Kinobetreiber bin ich ja nun seit mehr als 50 Jahren. Aber ich habe eben
immer auch noch andere Dinge gemacht. Ich habe keinen geradlinigen
Lebenslauf. Wenn ich ein tolles Drehbuch bekomme, dann drehe ich eben den
Film; wenn ich einen Verleger finde, der sagt, Grassmann, du musst mal dein
Leben aufschreiben, ich würde das gerne als Buch rausbringen, dann setze
ich mich hin und schreibe ein Buch. Ich bin ein Wellenreiter: Immer wenn
eine attraktive Welle kommt, nehme ich die. Ich habe in den 50er-Jahren für
die Tagesschau gearbeitet, war Filmregisseur, Produzent, habe sogar mal den
Bundesfilmpreis für einen Kurzfilm gewonnen.
Auf der Internetseite des Abaton steht angesichts von Covid-19: „Der Letzte
macht das Licht aus.“ Macht die Erfahrung des Fast-Scheiterns gelassener
bei der nächsten Krise?
Ich habe schon so viele Krisen gesehen. In den Anfangsjahren waren wir
eigentlich schon pleite, aber dann kam im letzten Augenblick ein
Dokumentarfilm über Jimi Hendrix, den wollten die Leute so kurz nach seinem
Tod sehen. Die Kasse war voll, ich konnte zur Sparkasse gehen und die
Stromrechnung bezahlen. Oder die witzigen, anarchistischen Filme mit den
Marx Brothers; die wollte niemand zeigen – wir schon, weil es einfach Spaß
gemacht hat. Ich habe die Filme damals eigenhändig in Wien abgeholt, hin
und zurück mit der Eisenbahn, auf Zoll und so konnte ich keine Rücksicht
nehmen. Wir haben damit richtig Geld gebaggert. Das zeigt: Irgendwie geht
es immer weiter, man darf nur nicht aufgeben.
Fast hätten Sie einen Film mit dem unglaublichen Schauspieler Michel
Piccoli gedreht.
Piccoli spielte am Thalia-Theater in einem Stück über den Tod, da bin ich
hingegangen und habe ihn gefragt: Er sprach sehr schlecht Englisch und ich
sehr schlecht Französisch, aber wir haben uns immerhin anschließend
getroffen. Da habe ich Piccoli von dem Filmprojekt erzählt, es ging darum,
wie die Bauern eines Dorfes von einem Wirt reingelegt werden. Piccoli
wollte diesen schmierigen Dorfwirt gerne spielen.
Und wie ging es weiter?
Ich bin zur Hamburger Filmförderung gegangen, dort hat man mir für das
Drehbuch 50.000 Mark gegeben. Aber das reichte nicht, immerhin war Piccoli
ein Weltstar. Am Ende ist das Projekt zerfluselt.
Hatten Sie je genug von Film?
Nein, aber es gab auch anderes. In meinen Erinnerungen „Hinter der
Leinwand“ geht es erst ab Seite 162 bis zum Ende auf Seite 250 um Film,
vorher war alles Mögliche.
Wenn man mit Ihnen spricht, denkt man, es müssten 250 Seiten Film sein.
Ich bin eben ein guter Geschichtenerzähler. Einmal ging im Kino der
Projektor kaputt. Im Saal ging das Licht an, die Leute wurden unruhig. „Wie
geht es weiter“, fragten sie. Da habe ich mich vor die Leinwand gestellt
und den Film zu Ende erzählt. Dann war ich fertig, da sagt der
Filmvorführer: „Ich glaube, es funktioniert wieder“, und es ging weiter.
Als der Film dann zu Ende war, haben die Leute gesagt: „Was Sie erzählt
haben, war viel schöner.“
27 Dec 2020
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Kino
Hamburg
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wie Corona Kunst und Kultur verändert: Theater im Wohnzimmer
Die einen lassen sich vom Virus inspirieren, anderen raubt es die Existenz.
Das Coronavirus verändert die Gesellschaft und Kunstschaffende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.