| # taz.de -- Prozess zu erfundenem NSU-Opfer: Anwalt erhält Freispruch | |
| > Gut zwei Jahre saß er als Opferanwalt im NSU-Prozess, obwohl es seine | |
| > Mandantin nicht gab. Nun urteilt ein Gericht: Ein Vorsatz sei nicht | |
| > beweisbar. | |
| Bild: Wurde freigesprochen: Anwalt Ralph Willms im Prozess zu dem erfundenen NS… | |
| Aachen/Berlin taz/dpa | Es war ein Eklat, der im Oktober 2015 den Münchner | |
| NSU-Prozess aufmischte. Opferanwalt Ralph W. räumte damals ein, dass seine | |
| Mandantin Meral Keskin, die er zweieinhalb Jahre im Prozess vertrat, | |
| „wahrscheinlich überhaupt nicht existent“ sei. Er sei einem Schwindel | |
| aufgesessen, behauptete W. und legte das Mandat nieder. Der Fall aber hatte | |
| Konsequenzen: Wegen Betrugsvorwürfen stand der 53-Jährige [1][vor dem | |
| Landgericht Aachen]. | |
| Das Gericht sprach am Montag den Anwalt nun frei. Ralph W. habe zwar gegen | |
| anwaltliche Sorgfaltspflichten verstoßen, befanden die RichterInnen. Es sei | |
| aber nicht beweisbar, dass er vorsätzlich einen Betrug begangen habe. | |
| Ralph W. hatte sich im NSU-Prozess als [2][Anwalt einer „Meral Keskin“] | |
| ausgegeben, die im Juni 2004 beim NSU-Bombenanschlag in der Kölner | |
| Keupstraße verletzt worden sei. Der Jurist aus Eschweiler (NRW) legte dafür | |
| ein Attest vor, das „Meral Keskin“ Schnittwunden attestierte. 230 | |
| Verhandlungstage saß W. so im Prozess, erhielt Sitzungsgelder und | |
| Reisekosten in Höhe von mehr als 200.000 Euro. | |
| ## Mandantin über gefälschtes Attest erfunden | |
| Als seine Mandantin jedoch als Zeugin vorgeladen wurde und wiederholt nicht | |
| erschien, flog der Schwindel auf. Willms erklärte darauf, dass „Keskin“ | |
| nicht existiere und er selbst reingelegt worden sei. Ihm sei das Mandat für | |
| eine Provision vermittelt worden, von einem tatsächlichen Opfer des | |
| Keupstraßen-Anschlags, Attila Ö. Der inzwischen Verstorbene war ebenfalls | |
| im NSU-Prozess als Nebenkläger vertreten. Ö. habe behauptet, Kontakt zu der | |
| in der Türkei lebenden Frau zu halten. | |
| Das Attest von „Meral Keskin“ war aber offenbar das von Attila Ö., nur der | |
| Name war ausgetauscht. Ralph W. räumte ein, die Mandantin selbst nie | |
| gesprochen zu haben – und fand dies offenbar zweieinhalb Jahre lang auch | |
| nicht verwunderlich. | |
| Die Aachener RichterInnen konnten diese Version nicht widerlegen. Es sei | |
| tatsächlich davon auszugehen, dass Attila Ö. das Opfer „Meral Keskin“ | |
| erfunden habe, teilte das Gericht mit. Dass W. darin eingebunden war, sei | |
| nicht nachweisbar. Und dass der Anwalt die Nebenklageberechtigung nicht | |
| weiter prüfte, seien zwar „Nachlässigkeiten in der anwaltlichen | |
| Berufsausübung“. Es gebe aber keine Rückschlüsse auf eine „betrügerische | |
| Absicht“. | |
| ## Staatsanwaltschaft wollte zwei Jahre Haft auf Bewährung | |
| Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor zwei Jahre Haft auf Bewährung und ein | |
| zweijähriges Berufsverbot im Strafbereich gefordert: Ralph W. hätte nur mal | |
| die Gerichtsakte lesen müssen, um zu erkennen, dass Meral Keskin kein | |
| NSU-Opfer war. W.s Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert: W. selbst sei | |
| Opfer eines Betrugs. | |
| Ralph W. war zudem angeklagt, auch im Loveparade-Prozess versucht zu haben, | |
| unberechtigt als Nebenklageanwalt teilzunehmen. Auch hier sprach ihn das | |
| Gericht frei: Dieser Betrugsvorwurf sei ebenso nicht nachweisbar. | |
| Ralph W. können trotz Freispruchs in einem gesonderten Verfahren aber noch | |
| berufsrechtliche Sanktionen drohen, betonte das Aachener Landgericht. Die | |
| Rechtsanwaltskammer Köln teilte am Montag mit, sie habe den Prozess „mit | |
| Interesse“ verfolgt. Die 200.000 Euro, die Ralph W. für den NSU-Prozess | |
| erhielt, hat der Anwalt laut Landgericht bereits vor längerer Zeit | |
| angefangen zurückzuzahlen. (mit dpa) | |
| 30 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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