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# taz.de -- Erfundenes NSU-Opfer: Anwalt vor Gericht
> Im NSU-Prozess trat der Jurist als Anwalt einer Nebenklägerin auf, die
> nicht existiert. Er gibt sich ahnungslos – und steht jetzt selbst vor
> Gericht.
Bild: Der angeklagte Anwalt soll im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten h…
Aachen dpa | Zu Beginn eines Betrugsprozesses vor dem Landgericht Aachen
hat die Staatsanwaltschaft einem Rechtsanwalt die Erfindung eines
NSU-Opfers vorgeworfen. Der 52 Jahre alte Jurist habe beim NSU-Prozess in
München ein Opfer des Nagelbombenanschlags der Rechtsterroristen in der
Kölner Keupstraße vertreten, [1][das es in Wirklichkeit gar nicht gibt],
sagte der Staatsanwalt am Freitag. Dafür habe der Anwalt mehr als 211.000
Euro aus der Staatskasse bezogen. Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe.
Am Freitag äußerte er sich zunächst nicht.
Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihm eine Geldstrafe oder bis zu fünf
Jahre Haft, wie ein Gerichtssprecher sagte. In einem besonders schweren
Betrugsfall seien sogar bis zu zehn Jahre möglich. Es geht in dem Prozess
auch um die Frage, ob der Anwalt aus Eschweiler bei Aachen seinen Beruf
weiter ausüben darf. Es werden ihm Betrug, versuchter Betrug,
Urkundenfälschung und Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides statt
vorgeworfen.
Meral Keskin – so hieß das angebliche Opfer des Kölner NSU-Anschlags. Fakt
ist: [2][Der Anschlag war furchtbar]. 22 Menschen wurden verletzt, vier
davon schwer. Viele wurden extrem traumatisiert. Nur eben nicht Meral
Keskin – denn die hat es nachweislich nie gegeben.
Der Anwalt konnte das Oberlandesgericht München laut Anklage dennoch von
ihrer Existenz zu überzeugen. Dafür habe er falsche medizinische und
psychologische Bescheinigungen vorgelegt und auf eine Fernsehreportage
verwiesen: Darin gebe es sogar Bilder von Meral Keskin.
## Täuschung mit Merkel?
Der Anwalt – so die Darstellung des Staatsanwalts – täuschte dem
Oberlandesgericht sogar vor, dass seine Mandantin in Berlin den
Bundespräsidenten getroffen und von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen
worden sei. Bei dem Betrug arbeitete er laut Anklage mit einem echten
Nebenkläger aus dem NSU-Prozess zusammen. Dieser ist mittlerweile
gestorben.
Nachdem die Vorwürfe gegen den Anwalt 2015 bekannt geworden waren, hatte
sich dieser damit gerechtfertigt, dass er von dem Mann hereingelegt worden
sei. Er sei immer davon überzeugt gewesen, dass seine Mandantin wirklich
existierte.
Über fünf Jahre waren am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde
des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zwischen 2000
und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt worden. 2018 wurde
Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Da
sich der Prozess so lange hinzog, nahm der Anwalt aus Eschweiler an
zahlreichen Verhandlungen teil und kassierte dafür der Anklage zufolge die
Erstattung von Reisekosten und Vorschüsse auf Sitzungsgebühren.
## Erst 1.500 Euro zurückbezahlt
Außerdem habe er 5.000 Euro Härteleistung für das Opfer bezogen. Insgesamt
kamen so laut Staatsanwalt 211.000 Euro zusammen. Nur 1.500 Euro soll er
bisher an die Staatskasse zurückbezahlt haben.
Angeklagt ist der Anwalt auch im Zusammenhang mit dem [3][Prozess um die
Loveparade-Katastrophe in Duisburg]. In diesem Prozess soll er – erfolglos
– versucht haben, ein vermeintliches Opfer der Techno-Party zu vertreten.
Dabei soll ihm bewusst gewesen sein, dass der Betroffene eine Erkrankung
als Folge der Katastrophe nur vorgeschoben hatte.
In München flog der mutmaßliche Betrug auf, als das Gericht Meral Keskin
vorlud, in Duisburg, als die Staatsanwaltschaft ärztliche Belege
einforderte. Ein Urteil in dem Aachener Prozess ist erst in einigen Monaten
zu erwarten.
7 Aug 2020
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