# taz.de -- Özils karrierehemmende Botschaften: Global Player im Abseits | |
> Mesut Özil, einer der besten Vorlagengeber der Welt, ordnet seine | |
> Fußballkarriere seinem politischen Aktivismus unter. Der FC Arsenal | |
> ignoriert ihn. | |
Bild: Geschäftszerstörende Gedanken | |
Wenn die Buchstaben im Twitter-Sturm wieder einmal wie bösartige | |
Eiskristalle umherfliegen, sich auftürmen zu einer Wehe des Unflats und der | |
Einschüchterung, dann braucht man eine Strategie, um unbeschadet durch die | |
Kaltzeit der sozialen Medien zu kommen. Mesut Özil schlägt in so einem Fall | |
den Kragen hoch und blendet die Wetterunbilden aus: „Höre nicht auf die | |
Kritiker, konzentriere dich nur auf dich selbst.“ | |
Das ist leichter gesagt als getan, denn Mesut Özil, genialer Linksfuß in | |
Diensten des FC Arsenal London, hat sich entschieden, für seine | |
Überzeugungen einzustehen und sein Millionenheer an Gefolgsleuten (Twitter: | |
25,2 Millionen; Facebook: 37,4 Millionen) [1][mit streitbaren Botschaften | |
zu füttern], die, grob gesagt, einen politischen Islam mit der | |
Universalität der Menschenrechte („Alle Menschen sind gleich“) | |
amalgamieren. | |
Özils politischer Aktivismus orientiert sich nicht mehr an Karrierezielen. | |
Sein Marktwert von einst 50 Millionen Euro ist deswegen gefallen auf 9 | |
Millionen. Seit Wochen steht er nicht mehr auf dem Platz für die „Gunners“. | |
Sein Klub zeigt ihm die kalte Schulter, hat ihn längst aus dem Kader für | |
die Premier-League-Saison gestrichen. Der FC Arsenal achtete zuletzt gar | |
darauf, nicht mehr Özil-Fotos vom Training zu veröffentlichen. Was ist da | |
los? Warum verzichtet der Klub auf einen der besten Vorlagengeber der Welt? | |
Wie konnte es dazu kommen, dass der 32-jährige Deutsche derart ins Abseits | |
geriet? | |
Hat Arsenal-Trainer Mikel Arteta vergessen, dass Özil, die Rechnung beginnt | |
2006, die meisten Chancen in Europas fünf besten Ligen kreiert hat und in | |
der Wertung weit vor Messi, Ronaldo oder Cesc Fàbregas liegt? Nun, man | |
könnte sagen, an Özils Degradierung ist die Globalisierung schuld – und | |
eine Haltung, die seine Freunde als Geradlinigkeit, seine Kritiker als | |
Dickköpfigkeit deuten würden. | |
## Solidarität mit unterdrückten Uiguren | |
Die englische Premier League ist überall auf der Welt zu Hause, vermarktet | |
sich auf allen Kontinenten, verkauft in fernen Regionen ihre TV-Pakete, so | |
auch in China, das sich anschickt, zu einer imperialen Wirtschaftsmacht | |
aufzusteigen. Der ideologisch gesteuerte Staatskapitalismus chinesischer | |
Prägung lässt keine Form der Devianz zu; dem Prozess der „Harmonisierung“ | |
haben sich alle unterzuordnen. In der Provinz Xinjiang im Nordwesten des | |
Landes wird die muslimische Volksgruppe der Uiguren unterdrückt, | |
Zehntausende werden in sogenannte „Ausbildungszentren zur Umschulung und | |
Deradikalisierung“ gesteckt. | |
Das hat Özil, der offensichtlich in den Schemen eines von Recep Tayyip | |
Erdoğan, seinem Trauzeugen, propagierten Panturkismus denkt, nicht kalt | |
gelassen. [2][Mesut Özil wollte sich mit seinen Glaubensgenossen | |
solidarisieren], so wie er sich zuletzt auch mit Aserbaidschan | |
solidarisierte, das sich mit dem armenisch dominierten Bergkarabach eine | |
kriegerische Auseinandersetzung leistete. | |
Sein Appell, den Mesut Özil im Dezember des vergangenen Jahres in | |
Gedichtform und auf Türkisch veröffentlichte, ließ an Deutlichkeit nichts | |
offen: „Korane werden verbrannt … Moscheen werden geschlossen …muslimische | |
Schulen werden verboten … religiöse Gelehrte werden einer nach dem anderen | |
umgebracht … Brüder werden gewaltsam in Lager gesperrt …“, schrieb Özil. | |
Zudem prangerte er die Zurückhaltung anderer muslimischer Länder an. „Woran | |
man sich Jahre später erinnern wird, ist nicht die Gewalt der Tyrannen, | |
sondern das Schweigen der muslimischen Brüder.“ | |
Özil nahm die Ummah, die Weltgemeinschaft der Muslime, in die Pflicht, | |
etwas gegen das Unrecht zu tun. Selbst aus der Warte eines laizistisch | |
verfassten Westlers ließ sich sagen: ein couragierter Schritt, der wenig | |
Rücksicht auf geopolitische Befindlichkeiten und diplomatische Vorsicht | |
legte. | |
## Aus der Fußball-Simulation getilgt | |
Die Reaktion der Chinesen ließ nicht lange auf sich warten. Der staatliche | |
TV-Sender CCTV nahm das Topspiel der Gunners gegen Manchester City umgehend | |
aus seinem Programm und ersetzte es durch eine Übertragung der Partie | |
zwischen den Wolverhampton Wanderers und Tottenham Hotspur. Die Global | |
Times, Sprachrohr der chinesischen Kommunistischen Partei, warnte | |
daraufhin, die Äußerungen von Özil würden „ernsthafte Folgen“ für den … | |
Arsenal haben. | |
[3][Das Blatt schrieb von einem „närrischen Auftritt“ Özils] und | |
bezeichnete den Fußballer als „verwirrte und rücksichtslose Person“, die | |
ihren „Einfluss missbraucht“. Er sei „getäuscht von Fake News“, sagte | |
Regierungssprecher Geng Shuang aus dem Außenministerium, sein | |
Urteilsvermögen sei beeinflusst von „unwahren Bemerkungen“; Özil könne s… | |
gerne in Xinjiang ein eigenes Bild machen. Später wurde der Kicker auch | |
noch aus der Fußball-Simulation Pro Evolution Soccer getilgt. Der | |
Hersteller, das chinesische Unternehmen NetEase, begründete das Löschen von | |
Özils virtuellem Charakter mit dessen „extremen Aussagen über China“. | |
Der FC Arsenal, aufgeschreckt von der Aussicht, vom chinesischen Markt | |
ausgesperrt zu werden und Millionen Pfund zu verlieren, distanzierte sich | |
von Özil. Es handle sich lediglich um die Meinung eines Spielers, schrieb | |
der Klub auf dem chinesischen Mikroblogging-Dienst Weibo; Arsenal halte | |
sich an das Prinzip, keine politischen Statements abzugeben. Der Klub sei | |
per se unpolitisch. In einem nur zwei Wochen alten Schreiben weist Arsenals | |
Medienchef Mark Gonnella den Verdacht von sich, Özil sei diskriminiert | |
worden. Die Streichung aus dem Kader sei nach rein sportlichen Kriterien | |
erfolgt, es gebe keine Verbindung zu Özils chinakritischem Post vom | |
Dezember 2019, behauptet er. „Wir erkennen voll und ganz an, dass unsere | |
Mitarbeiter das Recht auf freie Meinungsäußerung haben.“ | |
Aber was folgt aus dem Pro-forma-Recht eines Angestellten, der in seiner | |
Abhängigkeit vom Arbeitgeber zu Loyalität verpflichtet ist? Darf ein | |
Arsenal-Profi alles sagen, solange es genehm ist und er die Folgen eines | |
unerwünschten Beitrags zu tragen bereit ist? Ist Özil ein Opfer? Er selbst | |
würde das wohl verneinen, denn er ist sich seiner Wirkmacht als Global | |
Player bewusst. Er kann Dinge anschieben, Menschen helfen, Missstände | |
transparent machen. Dass der Junge aus Gelsenkirchen einmal in die Sphäre | |
der sportpolitischen Influencer eintreten würde, hätte vor zehn Jahren wohl | |
niemand gedacht. Aus dem schüchternen, übervorsichtigen Ballstreichler, der | |
nur auf dem Platz gewichtige Statements abgab, ist ein Typ geworden, der | |
Ansagen macht – und damit ist nicht das Bewerben seiner neuen | |
Hoodie-Kollektion gemeint. | |
Sein Klub hat in den vergangenen Monaten versucht, die Causa China im Nebel | |
eines Gehaltsstreits verschwinden zu lassen: Während seine Teamkollegen im | |
Zuge der Coronapandemie bereit waren, auf 10 Prozent ihres Gehaltes zu | |
verzichten, stellte Özil sich anscheinend stur. Nur die Finanzierung des | |
von der Entlassung bedrohten Vereinsmaskottchens Gunnersaurus übernahm Özil | |
öffentlichkeitswirksam, womit sich sein persönlicher Gehaltsverzicht auf | |
etwa 0,5 Prozent belief. Seitdem wird Özil in regelmäßigen Abständen sein | |
Jahresgehalt von über 18 Millionen Pfund vorgehalten. Seine Treue zum | |
Klub wird infrage gestellt. Der maliziöse Teil der Twitter-Community stellt | |
ihn als illoyalen Abzocker dar, womit die Klubstrategie der | |
Individualisierung von Schuld aufzugehen scheint. | |
Dabei sollte sich der Blick wieder vom Norden Londons nach China richten, | |
denn die Masche der KP-Oberen ist nicht neu. | |
Auch die US-amerikanische Basketballliga NBA hat ihre Erfahrungen mit den | |
Erpressungsversuchen der chinesischen Führung gemacht. Mit ökonomischem | |
Druck erkaufen sich die Chinesen Appeasement, also gefügige | |
Geschäftspartner. Im Oktober 2019 waren die Beziehungen zwischen der NBA | |
und China extrem belastet worden, nachdem Daryl Morey, General Manager der | |
Houston Rockets, in den sozialen Medien seine Sympathie mit den | |
prodemokratischen Demonstrationen in Hongkong zum Ausdruck gebracht hatte. | |
NBA-Commissioner Adam Silver hatte sich danach vor Morey gestellt. | |
Anschließend sah sich Rockets-Superstar James Harden genötigt, um | |
Verzeihung zu bitten: „Wir entschuldigen uns. Wir lieben China“, sagte | |
Harden. Dennoch zog sich CCTV aus der Berichterstattung über die in China | |
extrem populäre NBA zurück und kehrte erst Anfang Oktober dieses Jahres | |
zurück. Morey ist inzwischen zurückgetreten, und Black-Lives-Matter-Ikone | |
LeBron James räumte ein, „Freedom of Speech“ sei eine tolle Sache, aber | |
manchmal müsse man halt überlegen, was man sage. 300 Millionen Dollar | |
kostete der NBA das Engagement für Menschenrechte. Das war offensichtlich | |
ein zu teurer Spaß, und so bleibt die Erkenntnis, dass es politischen | |
Aktivismus auf dem Boulevard der sozialen und ökonomischen Erwünschtheit | |
gibt – oder als Karrierehemmnis. | |
So entscheidet jeder für sich, was ihm seine Meinung wert ist. Mesut Özil | |
hat für seine Ansichten vorerst das öffentliche Fußballspielen aufgegeben. | |
Das ist nicht wenig für einen der Besten seiner Zunft. | |
5 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Oezils-Hochzeit-und-rechte-Lieder/!5603592 | |
[2] /Oezil-kritisiert-Uiguren-Unterdrueckung/!5646192 | |
[3] https://www.globaltimes.cn/content/1173684.shtml | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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