# taz.de -- Bürgermeister-Abwahl in Timmendorf: Der König soll weg | |
> Die Gemeinde am Strand versucht am Sonntag, ihren Bürgermeister Robert | |
> Wagner loszuwerden. Nicht nur seine Allüren nerven viele. | |
Bild: Le Gemeinde c'est moi! Timmendorfs Bürgermeister Robert Wagner | |
HAMBURG taz | Robert Wagners Kritiker*innen [1][sind nicht zimperlich, wenn | |
sie ihn beschreiben.] Ein „kleiner Sonnenkönig“ sei er, sagt ein | |
Gemeindepolitiker. Von selbstbetriebenem „Personenkult“ ist bei anderen die | |
Rede. Und, ganz grundsätzlich, mangele es ihm an der Fähigkeit, respektvoll | |
mit Untergebenen umzugehen. Am Sonntag, so hoffen es viele in der Gemeinde | |
Timmendorfer Strand an Schleswig-Holsteins Ostküste, soll das Kapitel | |
vorbei sein. Denn noch ist Wagner ihr Bürgermeister – am Sonntag aber steht | |
er zur Wahl. Genauer gesagt: zur Abwahl. | |
Die Gemeinde will ihr vor zwei Jahren gewähltes Oberhaupt loswerden. Wagner | |
wiederum beklagt Hass und Hetze gegen ihn. Er ist sich sicher, die Wahl zu | |
gewinnen. | |
Jung, dynamisch und mit Aufbruchstimmung: So einen wollten Timmendorfs | |
Parteien [2][mit Ausnahme der SPD] 2018 zu ihrem neuen Bürgermeister | |
machen. In dem parteilosen Politiker glaubten sie ihn gefunden zu haben. | |
Erste Bekanntheit hatte der aus Aachen stammende Wagner im Norden erlangt, | |
als er sich 2014 erfolglos anschickte, Bürgermeister von Sylt zu werden. | |
Größere politische Ämter hatte Wagner, der bis zu seiner Wahl als | |
Regierungsamtsinspektor eines Bundeswehr-Dienstleistungszentrums tätig war, | |
nicht. Früher war er mal FDP-Mitglied. | |
Die Parteien schickten Wagner 2018 ins Rennen gegen die amtierende | |
Bürgermeisterin Hatice Kara. Auch die hatte bei ihrer Wahl sechs Jahre | |
zuvor einen Aufbruch verkörpert. Doch Kara – „Frau, jung, SPD, Muslima“, | |
wie es die Lübecker Nachrichten einmal zusammenfassten – [3][schien den | |
meisten Bürger*innen nicht mehr genehm]. In der Stichwahl setzte sich | |
Wagner locker durch. Und alle im Ort, vielleicht mit Ausnahme der SPD, | |
waren froh. | |
Dann ging, Stück für Stück, die Beziehung in die Brüche. Kerstin Hartz ist | |
eine der Initiatorinnen des Wagner’schen Abwahlverfahrens. Sie und ihre | |
Mitstreiter*innen haben Anfang Juli die notwendigen Unterschriften, um eine | |
Abwahl durchzuführen, gesammelt. 20 Prozent der Wahlberechtigten mussten | |
dafür unterschreiben. Zuvor war der Versuch im Gemeinderat gescheitert – es | |
fehlte eine Stimme. „Schon bald nach der Wahl von Herrn Wagner machte sich | |
eine große Unzufriedenheit breit“, sagt Hartz. | |
So wurde ihm vorgeworfen, seinen Hund mit ins Rathaus zu bringen, während | |
das allen anderen Angestellten untersagt war. An seinem 100. Tag im Amt | |
ließ er vor dem Rathaus zur Feier des Tages die Flaggen hissen. Auch habe | |
er sich von den Bediensteten im Rathaus nur noch mit „Herr Bürgermeister“ | |
ansprechen lassen, berichteten diese. Wagner dementierte das. | |
Doch es waren nicht nur Allüren, die für Verstimmung sorgten. Dann sei, | |
sagt Hartz, in der Gemeinde durchgesickert, dass sich in der Verwaltung | |
immer mehr Angestellte krankschreiben ließen. Von Mobbing war die Rede. | |
„Wirklich hellhörig wurden wir, als sich auch die Politik immer verärgerter | |
zeigte“, sagt Hartz. | |
Etwa, als im vergangenen Jahr große Mengen Asbest in einem Schulgebäude | |
entdeckt wurden. Die Verwaltung teilte das lange Zeit niemanden mit. Bis | |
auf die CDU rückten die Parteien, die Wagner zur Wahl verholfen hatten, | |
erstmals klar von ihm ab. Endgültig zerschnitten war das Tuch, als | |
herauskam, dass Wagner seine Unterschrift zu einem Neubau mitten an | |
Timmendorfs Strandpromenade gegeben hatte. Der Gemeinderat war gegen den | |
Bau. | |
Wagner sprach später von einem „Verfahrensfehler“. Zu ändern war der nicht | |
mehr: Nun baut ein Investor am sogenannten Niendorfer Balkon ein elf Meter | |
hohes Gebäude, in dessen Erdgeschoss das Fischrestaurant Gosch eröffnen | |
soll. | |
Wagner ist, seitdem die Wahl über seine Person beschlossen wurde, | |
beurlaubt. Kommissarisch führt seine Vertreterin die Rathausgeschäfte. Die | |
ehrenamtlichen Mitglieder des Gemeinderats überprüfen derweil Wagners | |
bisheriges Handeln als Verwaltungschef. „Wir schauen uns sämtliche Vorgänge | |
zu Bauvorhaben an, unter die Herr Wagner seine Unterschrift gesetzt hat“, | |
sagt SPD-Fraktionschef Jörn Eckert. | |
## Klage gegen die Wahl | |
Am Montag hatte Wagner überraschend Klage gegen die Wahl vor dem | |
Verwaltungsgericht Schleswig eingereicht. Den Wahlunterlagen lag ein | |
Schreiben der Gemeindevertretung bei, das laut Wagner gegen das | |
Sachlichkeitsgebot verstößt. Anders als in dem Schreiben dargestellt, habe | |
er seine Mitarbeiter*innen nicht als „Stallgäule“ bezeichnet. | |
„Ich will damit die Wahl nicht verhindern, aber das ist eine haltlose | |
Unterstellung“, sagt Wagner. Er hatte tatsächlich einmal von der | |
Timmendorfer Verwaltung als Stallgaul gesprochen, betonte aber im | |
Nachhinein, damit metaphorisch den Zustand der Verwaltung gemeint zu haben. | |
Am Donnerstag wies das Gericht die Klage ab. Einerseits sei Wagners Antrag | |
unzulässig, Rechtsschutz könne er grundsätzlich nur im nachträglichen | |
Wahlprüfungsverfahren erhalten. Hinzu sieht das Gericht keinen Verstoß | |
gegen das Sachlichkeitsgebot. | |
Wagner glaubt dennoch, dass er die Wahl gewinnen wird. „Es ist nur schade, | |
dass ich wegen der Pandemie keinen Hauswahlkampf machen kann“, sagt Wagner. | |
Er freue sich darauf, ab Montag wieder im Rathaus tätig sein zu können. | |
20 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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