| # taz.de -- ARD-Dokudrama über Mord an Lübcke: Die falschen Fragen | |
| > Der Film über den Mord an Walter Lübcke ordnet rassistische Ideologien | |
| > nicht ein. Stattdessen versucht er Rechtsextremismus emotional zu | |
| > erfassen. | |
| Bild: Der Täter (Robin Sondermann, rechts) übt mit Markus H. (Konstantin Lind… | |
| True Crime ist Trend: Die Rekonstruktion von wahren Verbrechen und das | |
| Ergründen der Täterpsyche faszinieren die Zuschauer:innen. Die Verfilmung | |
| [1][des rechtsextremistischen Mordes an CDU-Politiker Walter Lübcke] in | |
| „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“, einer Mischung aus | |
| Dokumentations- und Spielfilm, passt also gut in den Zeitgeist – doch macht | |
| dabei Fehler. | |
| Der Film eröffnet in „Tatort“-Ästhetik, was nicht nur an | |
| Ex-„Tatort“-Kommissar Joachim Król als Ermittler Norbert Bartels liegt. | |
| Die angespannten Gesichter der Ermittler:innen, die sich auf der Scheibe | |
| des Verhörraums spiegeln. Die erste Aussage: „Wenn er reden will, lassen | |
| wir ihn reden.“ Tiefes Atmen. Und schon hier geht etwas schief. Das | |
| Drehbuch basiert auf dem ersten Geständnis des Täters. Und das zieht sich | |
| durch den Film. | |
| Es mag sein, dass die Ermittlerin Petra Lischke (Katja Bürkle) nicht allein | |
| ist mit der Frage: „Vier Jahre vom Tatentschluss bis zum Mord. Wie | |
| motivierst du dich da immer wieder?“ Doch ist das die Frage, die zentral | |
| sein sollte? Als ihr Kollege Bartels antwortet: „Der hat das nicht allein | |
| durchgezogen“, entsteht Hoffnung, dass das Sichtfeld in den restlichen 82 | |
| Minuten geweitet werden könnte. | |
| Der [2][Mordfall Walter Lübcke] gilt als Zäsur. Es gab über 200 | |
| rechtsextremistisch motivierte Morde seit 1990 in Deutschland, doch keiner | |
| wurde an einem parlamentarischen Politiker verübt. In dem Film fallen | |
| weitere Zahlen: 2018 hatte der Verfassungsschutz „24.000 Kunden“, [3][2019 | |
| waren bundesweit 32.000 Rechtsextremist:innen bekannt]. Was kann dagegen | |
| getan werden? Elfmal taucht der Name des Täters in den verschlossenen | |
| NSU-Akten auf. Warum? Fragen, die zentral sein sollten. | |
| ## Close-Ups vom Täter | |
| Doch deutlich präsenter als die Suche nach Antworten auf diese Fragen sind | |
| die unzähligen Close-ups des verschwitzten und nachdenklichen Gesichts von | |
| Robin Sondermann, der den Täter im Spielfilmteil verkörpert. Er bewegt die | |
| Zuschauenden immer wieder zurück zu der Frage, wie ein Mensch nur auf diese | |
| Ideen kommt: einen CDU-Politiker zu erschießen. | |
| Auf der Spielfilmebene spazieren die Zuschauer:innen mit dem Täter am | |
| Tatort, wo er die Mordnacht für die Ermittler:innen nachstellt. Sie | |
| begleiten ihn zum Schießtraining. Sie hören seiner rassistischen Ideologie | |
| und seinen „Tag X“-Szenarien ebenso unkommentiert zu wie seinen Klagen über | |
| Depressionen. | |
| Auf der Dokumentationsebene gehen sie zu seinem Schützenverein und lassen | |
| sich erzählen, dass der Täter „ein ganz normaler Durchschnittsdeutscher“ | |
| gewesen sei. Sie besuchen einen selbsternannten „Kreuzritter“, der sich als | |
| harmloser Alter inszeniert. Wer ohne Vorkenntnisse in die Szene geht, | |
| verlässt sie mit einem mulmigen Gefühl. Anstatt rassistische Ideologien | |
| einzuordnen, versucht der Film Rechtsextremismus emotional zu erfassen. | |
| Solchen Szenen werden echte Interviews mit Bekannten Walter Lübckes, | |
| Politiker:innen, Lokaljournalist:innen und Geflüchteten entgegengesetzt. | |
| Doch die Erzählung des Täters gibt den Ton an, die eigentlich relevanten | |
| Aussagen dienen als Reaktion, anstatt für sich zu stehen. Wie wenn endlich | |
| Betroffene antisemitischer und rassistischer Gewalt zu Wort kommen, doch | |
| darauf von Rechtsextremisten und Rassisten erstellte Videos folgen, in | |
| denen beispielsweise zu sehen ist, wie Schwarze Menschen erschossen werden. | |
| Besser wird es zu einem späteren Zeitpunkt. Walter Lübckes berühmtes Zitat | |
| wird verhandelt: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für | |
| Werte einstehen, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit | |
| dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die | |
| Freiheit eines jeden Deutschen.“ Zeug:innen kehren an den Ort des | |
| Geschehens zurück und schildern gemeinsam den Abend, der als Tatmotiv | |
| seines Mörders gilt. | |
| An dieser Stelle des Film wird klar, dass Lübcke den Hass vieler | |
| Rechtsextremisten auf sich zog, dass die Verbreitung des Videos von dem | |
| Abend nur diesen in die Hände spielt. Die Zeug:innen sprechen über fehlende | |
| Courage, über Scham und über die Richtigkeit der Worte von Walter Lübcke. | |
| Starke Szenen, die den Gesamteindruck des Filmes nicht rumreißen können. | |
| Denn die relevanten Fragen bleiben unbeantwortet. Das Versagen der | |
| Ermittlungsbehörden, die ungeklärten Verbindungen zum NSU oder allgemeinen | |
| Grundlagen rechtsextremistischer Ideologie hätten den Film leiten sollen, | |
| nicht der Täter selbst. | |
| 4 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Stendera | |
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