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# taz.de -- Kunsttips der Woche: Randfiguren der Stadt
> In den Galerien: Gefundenes Material, gespiegelte Sehgewohheiten und
> tiefschwarze Aquarelle. Die Soft Solidarity Assembly berät über
> Öffentlichkeit.
Bild: „WORLDEGG“, Installationsansicht, Courtesy Ryan Siegan-Smith und Soy …
Es ist kalt und die Straßen sind lockdown-geleert. Der Herbstwind fegt das
städtische Geröll über den Asphalt und man könnte meinen, in den feuchten
Rinnen des Trottoirs würden sich Laub, Plastiktüten oder
Coffee-to-Go-Becher ungestört zu einem eigenen Leben zusammentun. Der
britische Künstler Ryan Siegan-Smith betrachtet diese lehmartig
verdichteten Klumpen auf unseren Straßen als eine Ansammlung von Energie
und Material, die wie Kompost „in ihrer eigenen Feuchtigkeit und Hitze
kocht“.
In der Galerie [1][Soy Capitán] verdichtet er Müll, Erde, Laub und einzelne
handgefertigte Keramikstücke zu kreatürlichen Formen. Sie scheinen wie
Randfiguren der Stadt und gleichsam wie Lebensformen eines
postindustriellen Ökosystems: Clochards, eingehüllt in eine Decke,
puschelige Trolle mit Hundehalsband oder ein eitler Charakter mit
Silbermedaillon. Siegan-Smith gibt seinen plastischen Figuren kein
erkennbares Gesicht, vielmehr macht das gefundene Material ihr Wesen aus.
Und das erreicht trotz Drolligkeit psychische Tiefen.
Die leere Straße spiegelt sich in der Galerie [2][KM] wider. Alexandra
Leykauf, die in ihrer Arbeit häufig die Abbildung und Projektion von Räumen
thematisiert, hat eine transparente Spiegelfolie an die großen Schaufenster
der Galerie attachiert. Blickt man nun von innen nach außen auf das
Hallesche Tor, so überlagern sich die verschiedenen Perspektiven auf dem
Spiegelbild.
Das Spiel mit dem Blickwinkel setzt die Künstlerin auf ihren Wandarbeiten
fort. Es sind – frei formuliert – Fotomalereien: Leykauf pinselt
Silbergelatine-Emulsion auf herausgetrennte Seiten von klassischen
Ausstellungskatalogen, auf denen Landschaftsmalereien von der Neuzeit bis
zur Moderne reproduziert sind, sie fixiert und belichtet sie. Eine schwarze
Masse umrahmt schließlich die farbigen Landschaften von Paul Klee oder
Camille Pissarro, aus den freigelassenen Fragmenten dringen Gesichter oder
Körper hervor. Bilder im Bild. Sie werfen die Frage nach unserer Kultur des
Sehens auf: Welches Motiv sehe ich und warum sehe ich es so?
Von der Potsdamer Straße aus verdichten sich die Aquarelle von Joachim
Bandau zu einem schwarzen Sog, als öffnete sich hinter ihren rechteckigen
Flächen die Wand in einer tiefen Flucht. Sie heißen auch schlicht
„Schwarzaquarelle“. Der nomadische Galerist [3][Thomas Fischer], der jetzt
während des Lockdowns in den Räumen des Designhändlers [4][Andreas
Murkudis] quasi am Schaufenster vorführt, dass Galerien zum Einzelhandel
gehören, zeigt späte, formal äußerst reduzierte Arbeiten des 1936 geborenen
Bandau. Der legt in seinen Aquarellen graue Rechtecke leicht versetzt
übereinander, bis zu zwanzig Stück.
Das Schöne findet dann im Detail statt: Nur leicht zeichnen sich die
einhegenden Linien von der grauen Fläche eines jeden Rechtecks ab, nur ganz
fein überschneiden sie sich. Tritt man von der nahen Betrachtung wieder
zurück auf die Straße, so flirren die Umrisse auf Bandaus Schwarzaquarellen
wie auf einem unscharfen Röntgenbild, doch im Zentrum wird alles
tiefschwarz.
Tiefschwarz, Lockdown, leere Straßen, Herbst – trotzdem gibt es sie noch:
die Öffentlichkeit. Nach dem historischen Vorbild des Roten Wedding will
sich das Symposium Soft Solidarity Assembly vom 12. bis zum 14. November
über die Werte, den Zusammenhalt und die Aktionsmöglichkeiten der
Öffentlichkeit austauschen. Ausgerichtet von der [5][Galerie Wedding],
corona-bedingt per Webstream: [6][galeriewedding.de/sos-assembly]. Mit
tollen Beteiligten wie [7][Bini Adamczak], das Parlament der Vielen oder
[8][Natascha Sadr Haghighian].
11 Nov 2020
## LINKS
[1] http://soycapitan.de/
[2] http://km-galerie.com/
[3] https://galeriethomasfischer.de/
[4] https://andreasmurkudis.com/en/
[5] http://galeriewedding.de/
[6] http://galeriewedding.de/sos-assembly/
[7] https://mitpress.mit.edu/contributors/bini-adamczak
[8] /Biennale-Venedig-2019/!5593734
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
taz Plan
Berliner Galerien
Kunst Berlin
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