# taz.de -- Lagerung von Corona-Schutzkleidung: Masken unterm Marlboro-Mann | |
> Der Senat deponiert Corona-Schutzkleidung kostenlos bei einem bekannten | |
> Tabakhersteller. AktivistInnen kritisieren das scharf. | |
Bild: Ausgeraucht: Statt Tabak lagert ín der ehemaligen Lagerhalle des Tabakko… | |
BERLIN taz | Berlin ist wahrlich keine kleine Stadt – aber an eine | |
mittelgroße Halle, in der Waren sicher gelagert werden können, ist offenbar | |
nicht heranzukommen. Noch nicht einmal, wenn es der Senat ist, der einen | |
solchen Raum sucht und auch das nötige Kleingeld dafür mitbringt. | |
Das ist, kurz zusammengefasst, die Begründung der Senatsverwaltung für | |
Gesundheit dafür, dass sie größere Mengen von [1][Corona-Schutzkleidung] | |
für Gesundheitsämter und Krankenhäuser in einer Halle des Tabakkonzerns | |
Philip Morris lagern, nun ja: muss. Der Konzern, der die Produktion in | |
seinem Neuköllner Werk Ende 2019 fast vollständig beendet hat, stellt die | |
Lagerkapazitäten der Gesundheitsverwaltung unentgeltlich zur Verfügung, er | |
macht dem Senat quasi ein Geschenk. | |
AktivistInnen kritisieren den Deal, den der Tabakhersteller mit | |
[2][Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz (SPD)] Anfang Mai aushandelte, | |
schon länger. Jetzt musste Matz eine parlamentarische Anfrage der | |
Grünen-Abgeordneten Catherina Pieroth beantworten. Offenbar war ihm das | |
Thema so unangenehm, dass er Pieroths Fragenkatalog eine ausführliche | |
„Vorbemerkung“ voranstellte. | |
Darin erläutert er, zu Beginn der Pandemie habe seine Verwaltung | |
„erfolgreich eine große Menge an PSA [Persönliche Schutzausstattung, d. | |
Red.] am Markt beschafft“. Allerdings hätten „die eigenen und durch Dritte | |
zur Verfügung stehenden Lagerungsmöglichkeiten“ für die „mühsam beschaf… | |
Artikel“ nicht mehr ausgereicht. „Da auch in dieser Situation kurzfristig | |
gehandelt werden musste, wurde sich für das Angebot der Philip Morris | |
Manufacturing GmbH entschieden, die durch die Produktionsstilllegung am | |
Standort in Berlin nicht mehr benötigten Lagerungsstätten zu nutzen.“ | |
## Senat habe keine Erkenntnisse | |
Seit dem 1. Mai lagert für den Gesundheitsschutz benötigtes Material unter | |
dem Marlboro-Mann, der auf dem Werk an der Neuköllnischen Allee Werbung für | |
Ungesundes macht. Bis Jahresende ist die unentgeltliche Nutzung der Halle | |
sowie mehrerer Logistikfahrzeuge vereinbart. Die Frage, wie viel Geld die | |
Gesundheitsverwaltung dadurch einspart – der „geldwerte Vorteil“ –, lä… | |
Matz unbeantwortet: „Darüber liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.“ | |
Außer bei Philip Morris werde Covid-19-Schutzausstattung auch im | |
„Sanitätsmittellager“ der Gesundheitsverwaltung, bei der Bundeswehr, der | |
BeHaLa und zwei Logistikdienstleistern genutzt, teil der Staatssekretär | |
mit. Letztere seien auch beauftragt, die Lagerungskapazitäten noch zu | |
erhöhen. | |
Geht gar nicht, findet man bei der Initiative „Forum Rauchfrei“: „Es sieht | |
so aus, als hätte Philip Morris Freunde in der Gesundheitsverwaltung“, | |
heißt es in einer Pressemitteilung. De facto handele es sich um eine Spende | |
der Tabakindustrie. Indem die Senatsverwaltung diese annehme, werfe sie | |
„nicht nur moralische Bedenken über Bord“, sondern stelle sich auch in | |
„krassen Widerspruch“ zu dem Gesetz, das der Bundestag 2005 in Reaktion auf | |
das sogenannte Tabakrahmenübereinkommen der WHO verabschiedete. | |
## „Lagerdeal inakzeptabel“ | |
Das Forum Rauchfrei zitiert aus den Leitlinien zum Gesetz: „Die | |
Tabakindustrie sollte kein Partner bei irgendeiner Initiative sein, die mit | |
der Festlegung oder Umsetzung von gesundheitspolitischen Maßnahmen | |
verknüpft ist, da ihre Interessen in direktem Konflikt zu den Zielen der | |
Gesundheitspolitik stehen.“ | |
Entsprechend aufgebracht ist Forum-Sprecher Johannes Spatz, der von einer | |
„Bankrotterklärung“ der Gesundheitsverwaltung spricht. Die müsse die | |
Zusammenarbeit mit [3][Philip Morris] umgehend beenden. Die fehlende | |
Sensibilität dafür, dass der Lagerdeal inakzeptabel sei, halte er für | |
„hanebüchen“. Und auch das Parlament müsse sich bewegen: „Der | |
Gesundheitsausschuss ist in der Pflicht, einen entsprechenden Beschluss zu | |
fassen.“ | |
3 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Aktuelle-Entwicklungen-in-der-Coronakrise/!5724311 | |
[2] /Strategie-im-Umgang-mit-Corona/!5681118 | |
[3] /Marlboro-Mutter-investiert-Milliarden/!5561554 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Tabakindustrie | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Gesundheitspolitik | |
Berlin-Neukölln | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Tabakindustrie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Covid-PatientInnen in Berlin: Die Lage ist gelb | |
In den Krankenhäusern ist die Zahl der mit Covid-19-Patienten belegten | |
Intensivbetten auf über 17 Prozent gestiegen. Es fehlt an Fachpersonal. | |
Die neuesten Entwicklungen im Überblick: Coronakrise spitzt sich zu | |
Erstmals gibt es über 11.000 Neuinfektionen, auch Jens Spahn ist erkrankt. | |
Weitere Staaten sind nun Risikogebiet. Dänemark macht die Grenzen für | |
Deutsche dicht. | |
Strategie im Umgang mit Corona: Seuche, und nun? | |
Bewusste schnelle „Durchseuchung“ mit Covid-19 könnte bis zu 10.000 | |
Todesopfer verursachen, warnt Berliner Gesundheitsstaatssekretär. | |
taz-Adventskalender (1): „Die Tabakindustrie wirbt für den Tod“ | |
Die taz präsentiert in ihrem Adventskalender BerlinerInnen, die für etwas | |
brennen. Hinter Türchen Nummer eins: der Nichtraucheraktivist Johannes | |
Spatz. |