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# taz.de -- Gegen Diskriminierung gehörloser Eltern: Das Recht auf (Gebärden-…
> Das Thüringer Gesetz zur Inklusion übersieht, dass gehörlose Eltern meist
> hörende Kinder haben. Eine Petition fordert Dolmetscher für die
> Betroffenen.
Bild: Elternsprechtag – gehörlose Eltern brauchen häufig einen Dolmetscher
Genau wie Deutsch, Arabisch oder Swahili ist die Deutsche Gebärdensprache
eine vollwertige, komplexe Sprache mit eigenem Vokabular und eigener
Grammatik. Nicht die Verzeichenbarung einer anderen Sprache, nicht die
Notlösung für eine lautlose Kommunikation. Doch der Weg solcher
Erkenntnisse in die Gesetze ist lang.
Deshalb war die Freude groß, als im vergangenen Jahr in Thüringen endlich
die längst überfällige Aktualisierung des Gesetzes zur Inklusion und
Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) verabschiedet wurde
– bis vor einem Monat ein Formfehler entdeckt wurde, der einen Teil der
hörbehinderten Menschen von der Gleichstellung ausschließt, nämlich
gehörlose Eltern mit hörenden Kindern.
Manuel Löffelholz, Mitgründer des Vereins für bilinguale Bildung in
Deutscher Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache, hat nun [1][eine
Petition beim Thüringer Landtag] eingereicht, damit die besagte
Formulierung geändert wird.
Zum ersten Mal auf den Fehler aufmerksam wurde Löffelholz durch die
Nachricht der gehörlosen Eltern des sechsjährigen Gregor* in Suhl. Um am
Elternabend im Kindergarten teilnehmen zu können, hatten diese beim
Jugendamt die Kostenübernahme der Gebärdensprachdolmetscherin beantragt –
durch Paragraf 12 des ThürGIGs sollte das nun endlich möglich sein. Doch
der Antrag wurde abgelehnt, zwei Tage vor dem Elternabend.
Unterstützung nur bei ebenfalls gehörlosem Kind
Das Jugendamt bezog sich auf einen Absatz in Paragraf 12, in dem es heißt,
die Kostenübernahme müsse durch die öffentliche Jugendhilfe erfolgen, in
deren Zuständigkeitsbereich „das hör- oder sprachbehinderte Kind“ die
Kindertageseinrichtung besucht. Gregor ist aber gar nicht hör- oder
sprachbehindert. Seine Eltern hätten deshalb auch keinen Anspruch auf
eine*n Dolmetscher*in.
Wenig später ereignete sich ein ähnlicher Fall: Einem Elternpaar in
Meiningen wurde vom Jugendamt mit Verweis auf den gleichen Paragrafen
nahegelegt, sich statt über Gebärdensprache doch mittels Schriftsprache
(etwa durch einen Computer) zu verständigen. Eine komplett andere Sprache –
und für die Eltern möglicherweise eine Fremdsprache.
Laut den wissenschaftlichen Arbeiten der US-Psychologin Mary Ann Buchino
können 90 Prozent der Kinder hörbehinderter Paare selbst sehr gut hören.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Für 90 Prozent der hörbehinderten
Elternpaare ist dieser Teil des Gesetzes ungültig.
Manuel Löffelholz ist frustriert. „Der Sinn und Zweck dieses Gesetzes war
eindeutig, die Teilhabe hörbehinderter Eltern zu ermöglichen – ob ihr Kind
nun ebenfalls hörbehindert ist oder nicht. Es ist traurig, dass die
Jugendämter bei einem so offensichtlichen Formfehler das Gesetz nach seinem
genauen Wortlaut interpretieren statt nach seinem Sinn und Zweck. Sie
tragen dadurch zu einer Diskriminierung bei, die gesetzlich eigentlich
schon gemindert ist.“
Aktuell befindet sich das junge ThürGIG wieder in Überarbeitung – eine
Chance, um auch die Fehler in Paragraf 12 zu berichtigen. Um den
Petitionsausschuss der Landesregierung zu erreichen, braucht Manuel
Löffelholz’ Petition bis Anfang Dezember nun 1.500 Stimmen.
*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert
28 Nov 2020
## LINKS
[1] https://petitionen.thueringer-landtag.de/petitions/1929
## AUTOREN
Clara von Hirschhausen
## TAGS
Gebärdensprache
Gehörlose
Inklusion
Gebärdensprache
Barrierefreiheit
Poesie
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