# taz.de -- Eskalation im Streit über Karikaturen: Lüstling Erdoğan auf dem … | |
> Die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ heizt mit einem Titelblatt den | |
> Streit Frankreichs mit der Türkei an. Präsident Erdoğan reagiert | |
> ungehalten. | |
Bild: Erdoğan spricht im Parlament in Ankara am Mittwoch | |
PARIS taz | Der schwedische Schiedsrichter beim Fußballspiel zwischen Paris | |
Saint-Germain und der Heimmannschaft Başakşehir in Istanbul am Mittwoch ist | |
nicht zu beneiden. Denn zwischen Paris und Ankara stieg vor dem Anpfiff | |
noch die Spannung. | |
Die jeden Mittwoch erscheinende französische satirische Wochenzeitung | |
Charlie Hebdo hat im jüngsten Streit über Mohammed-Karikaturen nachgelegt. | |
Auf der Titelseite prangt eine Zeichnung von Recep Tayyip Erdoğan, der in | |
Unterhose lüstern einer Frau das Gewand lüftet, ihren Hintern entblößt und | |
sagt: „Huch, der Prophet“. Voller Ironie wird dazu auch noch versichert: | |
„Privat ist Erdoğan sehr lustig.“ | |
Nur ist das natürlich, wie man längst weiß, nicht die Art von Humor, über | |
die der türkische Präsident lachen mag. Wie erwartet reagierte er auf die | |
Provokation, indem er diese Zeichnung zu einer Eskalation im Streit mit | |
Emmanuel Macron nutzt. Macrons „antimuslimische Hetzkampagne“ trage | |
Früchte, weil der türkische Staatschef verunglimpft werde, schrieb Erdoğans | |
Pressesprecherin Fahrettin Altun auf Twitter. | |
Die türkische Präsidentschaft erblickt in der neuen Charlie-Karikatur einen | |
Beleg für ein „fremdenfeindliches und intolerantes“ Klima, das ausdrückli… | |
von der französischen Staatsführung gebilligt und gefördert werde. | |
## Breiter Konsens in Frankreich | |
Wenige Tage zuvor hatte [1][Erdoğan bereits Macrons „geistige Gesundheit“ | |
infrage gestellt], zum Boykott französischer Produkte und Firmen aufgerufen | |
und damit in einem [2][Teil der muslimischen Staaten] ein gewisses Echo | |
erhalten. | |
Während man in Paris von kaum wirtschaftlichen Einbußen durch die Türkei | |
ausgeht, fürchtet man sich davor, dass die Wut über die als „islamophob“ | |
verurteilten Zeichnungen und die von Macron bestärkte Verteidigung der | |
weltlichen Toleranz sich auf diverse Golfstaaten wie Qatar ausweitet, mit | |
denen Frankreich einen intensiven Wirtschaftsaustausch pflegt. | |
Natürlich dürfte man im französischen Präsidentenpalast nicht sehr darüber | |
erbaut sein, dass Charlie Hebdo ausgerechnet jetzt mit spitzer Feder | |
Erdoğan aufs Korn nimmt, um zu zeigen, dass sich die mehrfach attackierte | |
Satirezeitung in ihrer Meinungsfreiheit weder einschränken noch | |
einschüchtern lässt. Diese Freiheit wird in Frankreich quer durch die | |
politischen Lager und religiösen Konfessionen grundsätzlich geteilt. | |
Vom Prinzip zum konkreten Fall aber verläuft nicht immer eine Gerade: | |
Einerseits wünscht der Rektor der Großen Pariser Moschee, Chems-Eddine | |
Hafiz, in der Zeitung Le Figaro ausdrücklich, dass Charlie Hebdo weiterhin | |
und ungehindert, „seine Kunst ausüben“ könne, und auch dass „alle Musli… | |
auch solche, die man infantilisieren will – die kulturelle Tradition der | |
Satire verstehen und auch die demokratische Freiheit zu Äußerungen, die | |
exzessiv erscheinen“. | |
## Razzien bei islamischen Einrichtungen | |
Andererseits hofft der Vorsitzende des islamischen Dachverbands in | |
Frankreich (CFCM), Mohammed Moussaoui, dass die Karikaturen des Propheten, | |
die „vorsätzlich die [3][Gefühle der Muslime] verletzen“, nicht weiter im | |
Schulunterricht verwendet werden. Das wünscht auch Christine Pedotti, | |
Chefredakteurin des katholischen Magazins Témoignage chrétien. Sie stellt | |
nach der [4][Ermordung des Lehrers Samuel Paty] die Frage, ob es zulässig | |
sei, wegen einer Zeichnung Menschenleben aufs Spiel zu setzen. | |
Unbeeindruckt von solchen Einwänden lässt der Innenminister Gérald Darmanin | |
Razzien bei Vereinigungen und Moscheen durchführen, die er der Sympathie zu | |
radikalen Islamisten verdächtigt. Eine Verwaltungsklage einer muslimischen | |
Gemeinschaft gegen die vorübergehende Schließung ihrer Moschee im Pariser | |
Vorort Pantin ist erstinstanzlich abgewiesen worden. | |
Mit „Islamophobie“ habe das nichts zu tun, versicherte Darmanin in einem | |
Interview mit der Zeitung Libération: „Was wir bekämpfen, ist eine | |
Ideologie, nicht eine Religion.“ | |
28 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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