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# taz.de -- Streit zwischen Großbritannien und EU: Dieser Fisch hat viele Grä…
> Großbritannien und die Europäische Union haben sich beim Thema Fischerei
> zerstritten. Der Abschluss eines Handelsabkommens ist daher fraglich.
Bild: Wer ist hier der dickste Fisch? Der britische Premier Boris Johnson besuc…
London/Paris/Berlin taz | Kaum ein Thema ist beim Brexit emotional so
aufgeladen und objektiv gesehen zugleich so unwesentlich wie Fisch. In
keinem EU-Mitglied außer Malta macht die Fischerei mehr als 0,5 Prozent der
Wirtschaftsleistung aus. Aber bei der Aushandlung der zukünftigen
Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich
nach dem Brexit ist der Streit über die Fischerei wohl einer der
Hauptgründe, warum die Gespräche derzeit festgefahren sind.
Seit Großbritanniens Beitritt zur EU, damals noch EWG (Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft), im Jahr 1973 gilt in den britischen
Territorialgewässern die „Gemeinsame Fischereipolitik“, die alle
Fischressourcen der Mitgliedstaaten als gemeinsame europäische Ressourcen
definiert, mit gleichem Zugang für eben alle Mitglieder. Die EU-Staaten
machen unter sich die zulässigen Fangquoten in all ihren Gewässern aus.
Wer am meisten Fisch hat, gibt also am meisten ab – an erster Stelle
Großbritannien mit den größten Hoheitsgewässern der EU. Im Jahr 2017
beispielsweise fingen die britischen Fischer nur 13,6 Prozent des gesamten
EU-Fangs in britischen Gewässern. An der Spitze lag Spanien. Die Quoten
sind zuweilen sehr einseitig: Im Ärmelkanal hält Frankreich 84 Prozent der
Kabeljaurechte, Großbritannien nur 9 Prozent.
Aus Sicht der Brexit-Anhänger ist dies legalisierter Diebstahl und
Hauptgrund für den Niedergang des Sektors: Seit 1996 ist die Anzahl der
britischen Fischerboote um 32 Prozent gefallen. Im Brexit-Referendum von
2016 war die Fischerei und die Souveränität über die Meere ein Hauptthema –
die Brexit-Kampagne gipfelte damals in einem spektakulären Zug von
Fischkuttern auf der Themse bis vor das Parlamentsgebäude in London,
angeführt von Nigel Farage.
## „Unabhängiger Küstenstaat“
Mit dem Brexit werden die britischen Gewässer nationale Gewässer, die
britischen Fischbestände sind keine europäischen Ressourcen mehr.
Großbritannien wird juristisch ein „unabhängiger Küstenstaat“, mit dem d…
EU Zugang für ihre Fischflotten aushandeln muss. Das tut sie auf jährlicher
Basis mit Norwegen, Island und sogar mit den Färöer-Inseln, die zu Dänemark
gehören, aber nicht Teil der EU sind.
Und so will das jetzt auch Großbritannien. Mit dem Vorschlag einer
jährlichen Neuverhandlung des gegenseitigen Zugangs zu den Hoheitsgewässern
in einem „Fischerei-Kooperationsrat“ ging die Regierung von Boris Johnson
dieses Jahr in die Gespräche über ein Handelsabkommen mit der EU ab 2021,
wenn die geltende Übergangszeit nach dem Brexit endet.
Die EU-Kommission hingegen will, dass der Mechanismus der „Gemeinsamen
Fischereipolitik“ auch nach dem Brexit weiter für britische Gewässer gilt.
Bestehende Zugangsrechte bleiben erhalten, heißt es im EU-Abkommensentwurf
vom März, mit dem Verhandlungsführer Michel Barnier seinen
Verhandlungsrahmen absteckte. Im Einzelnen wurden auch jährliche
Neuverhandlungen abgelehnt.
Die 2019 getroffene Vereinbarung, das Thema Fischerei bis Mitte 2020 aus
dem Weg zu räumen, um sich dann den wirklich wichtigen Dingen zuwenden zu
können, war damit unerfüllbar. Frankreich, Großbritanniens historischer
Rivale und Nachbar am Ärmelkanal, erklärte die Bewahrung bisheriger
Zugangsrechte zur „roten Linie“, unterstützt vom EU-Parlament.
## Boris Johnson verkündete den Abbruch der Gespräche
Für die französischen Küstenfischer der Bretagne, der Normandie und der
Gegend bei Boulogne-sur-Seine geht es um das ökonomische Überleben. Ihre
eigenen Gewässer haben sie schon leergefischt, ohne Fangrechte vor England
hätten die meisten von ihnen keine Zukunft. Sie verbringen rund 70 Prozent
ihrer Fangzeiten in britischen Hoheitsgewässern, rund 30 Prozent der
französischen Produktion kommt aus diesen Zonen.
Im September machte London ein neues Angebot: kein abrupter Abbruch Anfang
2021, sondern ein allmähliches Zurückfahren der EU-Fangquoten in britischen
Gewässern über drei Jahre. Aber auch dies war nicht akzeptabel. Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron setzte beim EU-Gipfel vergangene Woche eine
weitere harte Linie durch, trotz Bedenken aus weniger meeresaffinen Ländern
wie Deutschland: kein Handelsabkommen ohne Bewahrung der bestehenden
Fischereirechte. Das Ergebnis: Boris Johnson verkündete den vorläufigen
Abbruch der Gespräche.
Seitdem wird nur noch telefonisch weitergesprochen, eine förmliche
Wiederaufnahme der Verhandlungen steht in den Sternen. Wenn das so bleibt,
gibt es kein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien – und die
Fischerei wäre der Hauptgrund. Mit dem paradoxen Ergebnis, dass es dann
eben doch den harten Bruch geben würde und die EU-Fischer sämtliche
Zugangsrechte verlieren würden.
Der britischen Regierung geht es nach eigenem Bekunden nicht so sehr um den
„emotionalen Faktor“, sondern um eine nachhaltigere Fischerei als in der
EU. „Umweltfragen stehen an vorderster Stelle“, teilt das britische Agrar-
und Fischereiministerium der taz mit, „während wir gleichzeitig auf die
Bedürfnisse unserer Fischerei vor Ort eingehen wollen.“ Ein Fischereigesetz
für die Zeit ab 2021 ist in Arbeit.
Die Geschäftsführerin des schottischen Fischerbundes SFF, Elspeth
Macdonald, begrüßt das und nennt die Möglichkeit, spezifische Arten besser
zu schützen. „Obwohl wir über den Brexit verschieden denken, sind wir uns
alle einig, was das Gesetz angeht“, sagt sie der taz. „Fischereibetriebe
und Institutionen werden sich viel näher sein.“ Sie sieht das
Nicht-EU-Mitglied Norwegen als Vorbild: „In Norwegen beträgt der Anteil des
norwegischen Fischfangs 85 Prozent, bei uns derzeit nur 40 Prozent.“
21 Oct 2020
## AUTOREN
Dominic Johnson
Rudolf Balmer
Daniel Zylbersztajn
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Schwerpunkt Brexit
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