Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Suche nach Coronatest in Neukölln: Auf dem Abstrich-Strich
> Was tun, wenn die Warn-App warnt? Wer auf Corona getestet werden will,
> braucht Geduld, mobiles Internet – und sollte sich vor allem warm
> anziehen.
Bild: Eine Coronatestabstrichwarteschlange vor einer Arztpraxis in Berlin-Neuk�…
Mich hat’s erwischt – vielleicht jedenfalls. Die Corona-Warn-App hat mir
mitgeteilt, dass ich ein „erhöhtes Risiko“ für eine Infektion habe, weil
ich „mindestens einer nachweislich positiv getesteten Person über einen
längeren Zeitraum und mit einem geringen Abstand begegnet“ bin. Am Samstag
kam der Hinweis in leuchtendem Warn-Rot, die fragliche Begegnung,
eigentlich sogar 11 (!) Kontakte, sei am Mittwoch geschehen. Ich überlege,
wo und wann: in der taz, die wegen Corona-Homeoffice halb leer ist? Beim
Mittagessen im Café gegenüber, wo die Tische zwei Meter auseinanderstehen?
Im M29, der an diesem Tag auch nicht sonderlich voll war?
Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, meint ja, die App sei ein
„zahnloser Tiger“, weil sie „kaum eine warnende Wirkung“ habe. Was er d…
sagen will, ist mir unklar – außer vielleicht, dass 16 Millionen
NutzerInnen bei 80 Millionen EinwohnerInnen zu wenig sind, um als
umfassendes Frühwarnsystem gelten zu können.
Da ich sie aber nun mal habe, fühle ich mich gewarnt – und nehme mir auch
die Mahnung von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zu Herzen,
gegebenenfalls mein positives Testergebnis mit meinen „Leidensgenossinnen“
zu teilen. Angeblich tun dies nur 60 Prozent – warum auch immer,
schließlich hat man die App genau dafür.
Während ich in mich hineinfühle, ob sich schon erste Symptome bemerkbar
machen, lese ich also deren Handlungsanweisungen: nach Hause gehen, auch
dort Abstand halten und entweder den Hausarzt anrufen, den kassenärztlichen
Bereitschaftsdienst unter 116117 oder „Ihr Gesundheitsamt“.
## Die Familie schon angesteckt?
Jetzt kommen mir doch leise Zweifel: Ich soll den Sohn nicht mehr umarmen,
den Mann nicht mehr küssen, obwohl ich mich gesund fühle? (Zugegeben, die
Nase läuft ein wenig, aber das macht sie im Herbst immer.) Habe ich meine
Familie nicht sowieso schon angesteckt, bevor die Warn-App Alarm schlug? Da
mir die vorsorgliche Isolation innerhalb der Wohnung doch etwas übertrieben
– und kaum zu bewerkstelligen – zu sein scheint, verwerfe ich diesen
Ratschlag der App und beginne zu telefonieren.
Der Hausarzt ist nicht da. Bei „meinem“ Gesundheitsamt Neukölln, ich wohne
im Corona-Superhotspot, geht montagmorgens um 9 Uhr auch niemand ans
Telefon. Bei der Hotline der Senatsverwaltung für Gesundheit, die mir auf
der Webseite vom Gesundheitsamt Neukölln empfohlen wird, bin ich auf
Warteposition 187, „die Wartezeit beträgt etwa 47 Minuten“ – ich lege au…
Bei der Bandansage der 116117 wird mir die Webseite 116117.de empfohlen, um
eine Praxis oder ein Testzentrum in meiner Nähe zu finden. Ich navigiere
mich durch und bekomme die Adresse vom Corona-Abstrich-Zentrum (CAZ) auf
dem Verwaltungsgelände des Bezirksamts in der Blaschkoallee 32 genannt.
Allerdings habe ich auf der Webseite vom Gesundheitsamt schon gelesen, dass
das CAZ aufgrund des „aktuell hohen Infektionsgeschehens“ keine
Kontaktpersonen ohne Symptome testet – und auch andere nur nach Anmeldung
(wobei da nicht steht, wie man sich dort anmelden könnte).
Am Ende hilft Google: Auf die Frage „Corona-Test wo in Neukölln“ bekomme
ich tatsächlich einen Link zu „Covid-19-Praxen in Berlin“ auf der Webseite
der Kassenärztlichen Vereinigung. Ich suche eine Adresse in meiner Nähe
raus und radle los.
## Durch's Praxisfenster
Die Praxis in der Bürknerstraße ist leicht zu finden: Eine 50 Meter lange
Schlange wartender Menschen mit Mund-Nasen-Schutz weist den Weg. Alle
halten weiße Zettel. Auf meine Frage, wo man die bekommt (offensichtlich
handelt es sich um den Anmeldebogen), werde ich „um die Ecke“ verwiesen.
Die Schlange dort ist noch länger. Die Sprechstundenhilfe ruft durchs
Fenster: Heute keine Tests mehr, morgen ab 8 wieder. Ein junger Mann mit
fiebrig-glasigen Augen spricht mich an. „Kein Test hier?“ Als ich verneine,
seufzt er schwer. Seit Freitag sei er krank, ob ich wüsste, wo er
hinkönnte. Ich google ihm eine andere Covid-Praxis auf der
Karl-Marx-Straße, wo man ohne Anmeldung hinkann – und fahre selbst dorthin.
Auf dem Weg sehe ich eine weitere, etwas kürzere Warteschlange in der
Friedelstraße. Doch auch für diese Covid-Praxis bin ich zu spät, Anmeldung
morgens um 9 Uhr, „besser um 8“, heißt es durchs Schiebefenster. Angeblich,
so eine der Wartenden, würden hier ohnehin nur 20 Tests pro Tag
durchgeführt. Ich radle weiter.
An der Karl-Marx-Straße ist die Warteschlange 150 Meter lang. Eine Frau, 20
Meter vor dem Ziel, sagt, sie warte seit über einer Stunde, und schaut mit
stoischem Gleichmut wieder in ihr Buch. Ich beobachte die Schlange: Soll
ich mich anstellen? Schlagartig begreife ich, dass Corona wirklich eine
Krise ist – wenn so viele Menschen in der Kälte ausharren müssen, viele
hustend, fiebernd, schniefend. Und wenn ich gar kein Corona habe und erst
vom Warten krank werde? Nach fünf Minuten hat sich die Schlange fast nicht
bewegt. Für diesen Tag gebe ich auf.
Am Dienstagmorgen bin ich klüger. Um 7.50 Uhr habe ich meinen Platz in der
Warteschlange Bürknerstraße eingenommen, 19 Menschen stehen vor mir. Ich
habe ein Buch dabei, Butterbrote und trage eine Strumpfhose unter der Hose.
Beim Warten schaue ich noch einmal in die App: Sie fragt mich, ob ich
einverstanden bin mit einem Update, damit auch internationale
Coronakontakte weitergegeben werden können. Klar, super Sache, mache ich.
Um halb neun verteilen zwei Sprechstundenhilfen Klemmbretter mit
Anmeldebögen. Die Rollos der Praxisfenster werden hochgezogen, langsam
schiebt sich die Schlange vorwärts. Eine Stunde später macht mir ein Mann
in Seuchenschutz-Outfit durchs offene Fenster den Abstrich und gibt mir
einen Zettel mit dem QR-Code für die App. „Bitte isolieren Sie sich, bis
das Ergebnis da ist“, sagt er. Noch drei Tage also.
21 Oct 2020
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Neukölln
Tierarzt
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Labore am Limit: Coronatest im Tierlabor
Bisher gab es Vorbehalte, tiermedizinisches Personal an der Auswertung von
Corona-Tests zu beteiligen. Mittlerweile hat sich das geändert.
Maskenpflicht ausgeweitet: Was für eine Zumutung
Ab 24. Oktober gilt die Maskenpflicht auf Märkten und in zehn belebten
Einkaufsstraßen. Und die Maßnahmen werden wohl noch drastischer ausfallen.
Coronatests für Urlaubsreisende: Schnelltests sind nicht für alle
Seit dem Beherbergungsverbot stöhnen Ärzte über schummelnde Patienten.
Erste Schnelltests kommen erst ab Mitte Oktober. Und nicht für jeden.
Reiserückkehrer und Corona: So schlimm kann das ja nicht sein
Unser Autor ist ins Ausland geflogen und wollte sich nach seiner Rückkehr
testen lassen. Ohne Erfolg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.