| # taz.de -- Prozess um Mord an Walter Lübcke: Mitbeschuldigter kommt frei | |
| > Markus H. soll den Hauptangeklagten Stephan E. zum Mord an Walter Lübcke | |
| > angestachelt haben. Die Richter halten aber die Hinweise für nicht | |
| > ausreichend. | |
| Bild: Der vorsitzende Richter Thomas Sagebiel am 13. Verhandlungstag | |
| Frankfurt/Main taz | Es zeichnete sich ab. Am Donnerstag hat das | |
| Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Mitangeklagten im Lübcke-Prozess, | |
| Markus H., aus der Untersuchungshaft entlassen. Er sei nicht mehr dringend | |
| verdächtig, sich der Behilfe zum [1][Mord an dem Kasseler | |
| Regierungspräsidenten vom 2. Juni 2019] strafbar gemacht zu haben, | |
| begründete der Strafsenat die Entscheidung. Es bestehe „keine hohe | |
| Wahrscheinlichkeit mehr“ für eine entsprechende Verurteilung. | |
| Angeklagt ist Markus H., ein 44-jähriger Neonazi aus Kassel, in dem seit | |
| Juni laufenden Prozess genau dafür: psychische Beihilfe zum Mord an Walter | |
| Lübcke. Er soll den Hauptbeschuldigten Stephan E. in seinem Tatplan | |
| bestärkt haben, indem er den vielfach vorbestraften Rechtsextremisten zu | |
| Schießtrainings und AfD-Aufmärschen mitnahm. Beide löschten nach dem Mord | |
| an Lübcke ihre Chats. Stephan E. warf H. zuletzt vor, auch mit am Tatort | |
| gewesen zu sein, als er Lübcke vor dessen Haus erschoss. Mutmaßliches Motiv | |
| war eine öffentliche Aussage Lübckes, in der dieser die Aufnahme von | |
| Flüchtlingen verteidigte und Flüchtlingsgegner nahelegte, das Land zu | |
| verlassen. | |
| Das Gericht hatte zuletzt aber bereits [2][Zweifel an der Beweislage gegen | |
| Markus H. durchscheinen] lassen – und unterstreicht diese nun mit der | |
| Haftentlassung. Dass Markus H. eine Tötung von Lübcke zumindest für möglich | |
| gehalten habe, sei nicht mehr in hohem Maße wahrscheinlich, verkündete das | |
| Gericht. | |
| Für den Prozess ist die Haftentlassung eine entscheidende Weichenstellung – | |
| denn dass Markus H. dennoch wegen Beihilfe oder gar Mittäterschaft | |
| verurteilt wird, ist nun sehr unwahrscheinlich. Und das Gericht sendete mit | |
| der Entscheidung auch ein deutliches Signal, wie es die jüngsten Aussagen | |
| von Stephan E. wertet: als wenig überzeugend. Diese seien „unplausibel“ und | |
| „widersprüchlich“, erklärten die RichterInnen. | |
| ## Beweislage von Beginn an dünn | |
| Markus H. selbst schwieg bisher im Prozess. Mit betonter Lässigkeit | |
| verfolgt er den Prozess, als wähne er sich auf der sicheren Seite. | |
| Vertreten lässt er sich von zwei rechten Szeneanwälten, Nicole Schneiders | |
| und Björn Clemens, die von Beginn an einen Freispruch forderten. | |
| Tatsächlich war die Beweislage gegen Markus H. [3][schon bei der Anklage | |
| dünn]. Anders als von Stephan E. gibt es von ihm keine DNA-Spuren am Tatort | |
| oder an der Tatwaffe. Auch entsprechende Zeugenaussagen fehlen. Sein Handy | |
| war zur Tatzeit in einem weit vom Tatort entfernten Funkmast eingeloggt. | |
| Die Vorwürfe gegen ihn kommen damit hauptsächlich von Stephan E. selbst. | |
| Dieser sagte im Prozess, sein früherer Kameradschaftskumpan und späterer | |
| Arbeitskollege habe ihn [4][manipuliert, radikalisiert und aufgehetzt]. | |
| Wiederholt habe H. von einem drohenden Bürgerkrieg gesprochen. Einmal habe | |
| er eine Zielscheibe mit dem Gesicht von Angela Merkel präsentiert. „Lübcke | |
| ist der Nächste“, habe H. gesagt. An Lübcke könne man rankommen, habe H. | |
| gesagt. | |
| Als Stephan E. im Prozess aber gefragt wurde, wie sich Markus H. am Tatort | |
| bewegt habe, wurde die Aussage widersprüchlicher. Der Mitbeschuldigte | |
| müsste demnach ein Beet übersprungen und durch den Schein eines | |
| Baustrahlers gelaufen sein – im Blickfeld Lübckes. Widersprüchlich äußerte | |
| sich Stephan E. auch auf Nachfragen, wie genau denn der verabredete Plan | |
| für das Vorgehen vor dem Haus von Walter Lübcke aussah. | |
| ## Belastungszeugin relativierte Aussagen | |
| Und auch eine Belastungszeugin gegen Markus H. relativierte bei ihrem | |
| Zeugenauftritt vor zwei Wochen im Prozess ihre Aussage. Sie ist seine | |
| frühere Freundin, mit der H. eine kleine Tochter hat. Vor Ermittlern hatte | |
| sie den 44-Jährigen noch stark belastet. Dieser sei der „Denker“ gewesen, | |
| Stephan E. der „Macher“. Lübcke müsse „erhängt“ werden, habe Markus … | |
| einmal gesagt. Und: Falls er wegen einer schweren Krankheit einst sterben | |
| müsste, würde er einen Sprengstoffgürtel basteln und „so viele Kanaken wie | |
| möglich mit in den Tod nehmen“. | |
| Bei ihrer Aussage vor Gericht äußerte sich die Ex-Partnerin jedoch nicht | |
| mehr so deutlich. Konkrete Pläne von Markus H., Lübcke etwas anzutun, | |
| konnte sie nicht nennen. Und das „Denker“ habe sie auf das ständige Grübe… | |
| von Markus H. bezogen, sagte sie nun. Stephan E. dagegen habe als „Macher“ | |
| geheiratet, ein Haus bezogen, zwei Kinder groß gezogen. Die Aussage bekam | |
| damit eine ganz andere Bedeutung. | |
| Die Verteidiger von Markus H. halten die Frau ohnehin für befangen, weil | |
| sie sich in einem Sorgerechtsstreit mit ihrem Ex-Freund befindet. Vor | |
| Gericht versuchten sie weiter, ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. So | |
| befragten die Anwälte sie zu ihren Tattoos. „Meine Ehre ist Treue“, lautet | |
| eines, der Leitspruch der Waffen-SS. Das habe sie sich als Teenager stechen | |
| lasse, bezogen auf ihre damaligen Hunde, behauptete die Frau. Ein früheres | |
| Hakenkreuz-Tattoo stritt sie erst ab, um es nach Vorlage eines Fotos doch | |
| einzuräumen. Richter Sagebiel reagierte erbost: Er frage, was sie heute | |
| noch alles falsch ausgesagt habe. | |
| Nach der Aussage der Zeugin hatten die Verteidiger von Markus H. verlangt, | |
| seinen Haftbefehl aufzuheben. Richter Sagebiel forderte darauf die | |
| Prozessbeteiligten auf, sich bis zum vergangenen Montag zur Haftfrage zu | |
| positionieren. Nun entschieden die Richter, die seit Ende Juni 2019 | |
| währende U-Haft aufzuheben – und zogen eine Zwischenbilanz zum Prozess. | |
| ## „Erhebliche Zweifel an der Richtigkeit“ der Aussagen | |
| Der Senat habe „erhebliche Zweifel an der Richtigkeit“ der Angaben von | |
| Stephan E., erklärten die RichterInnen. Die Behauptung einer Mittäterschaft | |
| von Markus E. sei „nicht glaubhaft“. Der Senat verwies auf die inzwischen | |
| drei Geständnisversionen des 47-Jährigen, die „jeweils völlig | |
| unterschiedlich“ seien. | |
| Auch der letzten Einlassung im Prozess, als Stephan E. behauptete, [5][nun | |
| die volle Wahrheit zu sage]n, fehle es an „Aussagekonstanz“. So habe sich | |
| dieser zum angeblich gemeinsamen Tatplan mit Markus H. „wechselhaft“, | |
| „widersprüchlich“ und „detailarm“ eingelassen. Bei Nachfragen sei er n… | |
| in der Lage gewesen, seine Schilderungen mit weiteren Details „stimmig zu | |
| erweitern“. Etwa wie es zur Entscheidung gekommen sein soll, dass er und | |
| nicht Markus H. auf Lübcke schießen werde. | |
| Auffällig sei auch, wie kontrolliert Stephan E. geantwortet habe, so das | |
| Gericht. Es sei der Eindruck entstanden, E. habe nur solche Antworten geben | |
| wollen, die ihm günstig erschienen. Darüber hinaus sei seine Einlassung „in | |
| mehreren Punkten unplausibel und stehe nicht mit der bisherigen Beweislage | |
| in Einklang“. | |
| Auch bei der Ex-Partnerin von Markus H. sind die RichterInnen skeptisch. Es | |
| gebe „erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im | |
| Ermittlungsverfahren“. Die anderen Erkenntnisse der Beweisaufnahme ließen | |
| ebenfalls nicht den Schluss zu, dass Markus H. die Tat für möglich gehalten | |
| habe, so die RichterInnen. | |
| Markus H. durfte damit als vorerst freier Mann aus dem Prozess gehen. An | |
| der Hauptverhandlung muss er dennoch weiter teilnehmen, er bleibt weiter | |
| Angeklagter. Zudem gibt es gegen ihn noch Vorwürfe, er habe gegen das | |
| Waffengesetz verstoßen. Seine Verteidiger kommentierten die Haftentlassung | |
| erfreut: Sie sähen sich „vollauf bestätigt“ und strebten weiterhin einen | |
| Freispruch an. | |
| Die Familie von Walter Lübcke reagierte dagegen bestürzt auf die | |
| Haftentlassung. „Für die Familie ist die heutige Entscheidung des | |
| Oberlandesgerichts kaum zu ertragen“, erklärte ihr Sprecher Dirk Metz. „Sie | |
| ist fest davon überzeugt, dass die Tat von beiden Angeklagten | |
| gemeinschaftlich geplant und gemeinschaftlich verübt worden ist. So wie es | |
| der Angeklagte Stephan E. im Gerichtssaal gesagt hat.“ Es sei „sehr | |
| bitter“, dass das von dessen Verteidigern herbeigeführte | |
| „Geständnis-Wirrwarr“ zu dieser Entscheidung beigetragen habe. „Sie | |
| widerspricht der Überzeugung der Familie diametral.“ | |
| 1 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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