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# taz.de -- Regeln in der Coronapandemie: Mehr Erklären, mehr Sanktionen
> Strengere Coronaregelungen sind angekündigt. Doch schon die bisherigen
> werden wenig beachtet. Was müsste getan werden, um Wirksamkeit zu
> erreichen?
Bild: Sieht Corona nicht so superdramatisch: Kein Held protestiert gegen Schutz…
Die Coronainfektionszahlen steigen scheinbar unaufhaltsam. Neue [1][strenge
Regeln] sind schon in Kraft. Weitere, strengere Regelungen sind
angekündigt. Aber wirken diese Rechtsnormen überhaupt? Zahllose Berichte
und Erfahrungen zeigen eher, dass viele Coronavorschriften inzwischen kaum
noch beachtet werden. Wie müsste Coronarecht sein, damit es wirksam ist?
Es gibt einen ganz archaischen Weg, der zur Wirksamkeit von Gesetzen führt:
Angst. Wer Angst vor den Folgen einer Rechtsverletzung hat, wird sich an
das Recht halten. Wer das Recht verletzt, muss deshalb mit negativen Folgen
rechnen: Polizei, Bußen, Strafen, Gerichtsverfahren.
Bisher sind die Bußgelder im Coronarecht eine leere Drohung. Die
Bürgerinnen und Bürger nehmen sie nicht ernst. Die uralte Erfahrung: Der
Staat muss die Sanktionen durchsetzen, sonst verliert das Recht an Wirkung.
Das [2][Coronarecht] bietet viele Beispiele dafür. Abstandsregelungen im
Restaurant und die Maskenpflicht sind nur die sichtbarsten.
Sanktionen sind notwendig, aber sie reichen nicht aus. Was es wirklich
braucht, ist nicht Angst, sondern Akzeptanz. In der freiheitlichen
Demokratie muss die Bevölkerung das Recht akzeptieren und aus freiem Willen
befolgen. Also: Wie erreicht man, dass Normen akzeptiert werden?
Die erste Voraussetzung für Akzeptanz ist: Die Rechtsnormen müssen sinnvoll
sein. Niemand wird sich auf Dauer an Regeln halten, die er oder sie sinnlos
findet. Sinnvolle Gesetze zu machen – das klingt banal und ist doch in der
Praxis nicht einfach. Es gibt immer wieder dysfunktionale Gesetze, die
sinnlos sind. Letztlich ist es vernünftig, wenn mündige Bürger solche
Normen nicht blind befolgen. Aber manche Gesetze sind nicht sinnlos,
sondern nur sehr kompliziert.
Hier liegt eine Crux bei zahlreichen Coronaregeln. Sie versuchen, auf
unterschiedlichste Gefährdungslagen und Risiken differenziert zu reagieren.
Das macht die Regelungen dann deutschlandweit völlig unübersichtlich. Und
Unübersichtlichkeit wird in der öffentlichen Wahrnehmung schnell mit
Sinnlosigkeit gleichgesetzt. Dagegen gibt es ein wirksames Mittel:
erklären, erklären, erklären. Es ist Aufgabe der Politik, in solchen Fällen
immer wieder unermüdlich den Sinn zu erklären. Warum erklärt also die
Kanzlerin nicht immer wieder den Sinn der Coronaregeln? Das würde die
Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.
Daneben gibt es aber auch Coronanormen, die tatsächlich sinnlos sind. Ein
Beispiel sind die innerdeutschen Quarantäneregeln und die
Beherbergungsverbote. Epidemiologisch ergeben sie wenig Sinn. Sie werden
deshalb schnell als Schikane empfunden. Das beschädigt die Akzeptanz – und
das Vertrauen in die Politik.
Akzeptanz setzt auch voraus, dass Recht als (einigermaßen) gerecht
empfunden wird. Gerechtigkeit ist Gleichbehandlung – das ist die tief im
Menschen verankerte Formel für Gerechtigkeit. Das war ein ernstes Problem,
als der Lockdown im Frühsommer Schritt für Schritt wieder aufgehoben wurde.
Manche Tätigkeiten waren bereits wieder erlaubt, während andere, ähnliche
noch verboten blieben. Das erschien vielen willkürlich. Die Folge:
mangelnde Akzeptanz und eine verbreitete Missachtung der Regeln. Wenn die
Coronaregeln in den nächsten Wochen verschärft werden, muss die Politik
jeden Anschein von Willkür vermeiden. Sonst ist das Scheitern programmiert.
Echte Akzeptanz gibt es, wenn die Regeln und Gesetze im gemeinsamen
Interesse liegen. Dann haben Bürgerinnen und Bürger kein Problem damit,
Normen einzuhalten. Es geht dabei ja um das gemeinsame – und damit auch das
eigene – Interesse.
Wie ist das mit den [3][Coronaverordnungen]? Liegen sie im gemeinsamen
Interesse aller? Natürlich ist es im Interesse aller, die Verbreitung des
Virus einzugrenzen. Und dafür sind natürlich alle bereit, Einschränkungen
im Alltag hinzunehmen. Wirklich?
## Uneindeutige Interessenslage
Schaut man genauer hin, wird die Interessenlage diffiziler. Ein brisantes
Beispiel: Jüngere Menschen sind weniger stark durch Covid-19 gefährdet.
Gleichzeitig treffen sie die Einschränkungen im sozialen (Nacht-)Leben
besonders stark. Genau umgekehrt verhält es sich mit älteren kranken
Menschen. Sie sind besonders durch die Krankheit bedroht. Unter einem
Lockdown des öffentlichen Lebens leiden sie aber eher weniger. Kann hier
wirklich von einem gemeinsamen Interesse die Rede sein? Repressive
Schutzmaßnahmen liegen eher im Interesse der älteren und verletzlicheren
Bürger. Die jüngeren könnten eher Infektionen riskieren. Etwas zugespitzt:
Sie brauchen die harten Repressionen weniger, leiden aber stärker unter
ihnen. Dieses Beispiel steht derzeit im Fokus, doch es gibt viele derartig
widersprüchliche und uneindeutige Interessenlagen.
Hier liegt der entscheidende Grund, warum Coronaregeln in vielen Fällen
ignoriert werden. Die Politik dekretiert eine gemeinsame Interessenlage,
die in Wirklichkeit nicht existiert. Mehr oder weniger bewusst spüren das
viele. Die Akzeptanz für die Regeln sinkt rapide; die Verstöße werden
zahlreicher. Verordnungen wirken nicht mehr.
Was ist die Lösung? Die Interessengegensätze müssen offen angesprochen und
debattiert werden. Die Gesellschaft muss zusammen mit der Politik das
gemeinsame Interesse definieren. Konkretes Beispiel: Das Ergebnis der
Debatte kann sein, dass die Jüngeren die Einschränkungen mittragen, aus
Solidarität mit ihren älteren und verletzlicheren Mitbürgern. Die
Gesellschaft sieht und würdigt dieses besondere Opfer. Solidarität, die den
Zusammenhalt stärkt – das kann dann das gemeinsame Interesse sein. Das
erhöht die Akzeptanz der notwendigen härteren Coronaregelungen erheblich.
Sie sind dann wirksames Recht, nicht bloß bürokratischer Schein.
14 Oct 2020
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Gipfel-zur-Coronalage/!5719765&s=Corona/
[2] /Der-Corona-Staedtevergleich/!5719429&s=Corona/
[3] /Coronamassnahmen-in-Westeuropa/!5719653&s=Corona/
## AUTOREN
Volker Boehme-Neßler
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