# taz.de -- Versäumnisse des Journalismus: Cut the Bullshit | |
> Warum werden Journalisten und Wissenschaftler, die die Klimakrise ernst | |
> nehmen, neuerdings von Liberalkonservativen als „Aktivisten“ diffamiert? | |
Bild: Klimaaktivisten sehen anders aus als Journalisten | |
Was bedeutet es, dass Journalisten und Wissenschaftlerinnen, die die | |
Tatsache der Klimakrise ernst nehmen, in diesen Tagen als „Aktivisten“ und | |
damit als nicht „objektiv“ und „parteiisch“ diffamiert und abgewertet | |
werden sollen? Die Antwort eines sehr klugen Kollegen: „Das Insistieren auf | |
die Normalität fossilen Wachstums tritt in die fundamentalistische Phase.“ | |
Wie einige vielleicht wissen, bin ich der Meinung, dass die jahrelange | |
Ignoranz gegenüber der Bedeutung der Klimakrise das zentrale Versagen des | |
bundesrepublikanischen Journalismus ist. Journalisten auf der Höhe der | |
Problemlage waren eine Miniminderheit in deutschen Redaktionen, die | |
marginalisiert wurden, weil sie einfach nicht in die handelsüblichen Denk- | |
und Reputationsmuster passten, nicht ästhetisch, nicht | |
linkssozialdemokratisch und schon gar nicht wachstumskapitalistisch. Mit | |
Öko konnte man weder im linksliberalen noch im liberalkonservativen | |
journalistischen oder politischen Betrieb etwas werden, auch nicht bei den | |
Grünen (selbst Anton Hofreiter bestätigt das letztlich). Millionen von | |
Seite-3-Porträts des üblichen Rauf-und-runterschreib-Journalismus kamen und | |
kommen ohne Bezug auf diese fundamentale Menschheitskrise aus. Wenn man dem | |
Journalismus etwas vorwerfen kann, dann sicher nicht Ökoaktivismus. | |
Allenfalls Geldaktivismus oder Ignoranzaktivismus. | |
## Wichtigste Aufgabe des Journalismus | |
Dank Fridays for Future wird die Klimakrise nun auch journalistisch ernster | |
genommen. Der Gedanke, das sei jetzt „Ökoaktivismus“ – also Gegenteil von | |
Journalismus –, geht völlig in die Irre. Was ist die wichtigste Aufgabe des | |
Journalismus? Missstände aufzudecken und zu problematisieren: | |
Ungerechtigkeit. Hassideologien. Totalitäre Entwicklungen. Und als größte | |
Bedrohung unserer Zeit: die Klimakrise. Gerade weil die Mediengesellschaft | |
durch die Digitalisierung zersplittert und die Trumpisierung um sich | |
greift, ist es essenziell, dass alle Nachrichtenredaktionen im | |
liberaldemokratischen Spektrum der Versuchung widerstehen, | |
wissenschaftliche Tatsachen als eine Seite eines „Pro und Contra“ zu | |
interpretieren. | |
Über die Klimakrise zentral zu berichten, heißt nicht, dass Aktivisten | |
Journalismus machen sollen. Bloß nicht. Es heißt, dass Journalisten | |
Journalismus machen sollen. | |
Das gesellschaftliche Dilemma besteht darin, dass die physikalische | |
Realität und die gesellschaftliche Realität so auseinanderklaffen, dass | |
keine Partei im Bundestag einen politischen Plan zum Erreichen des | |
1,5-Grad-Ziels hat. Das heißt: Die derzeitige Bundesregierung hat in Paris | |
das Klimaabkommen unterschrieben, tut aber nichts, um es einzuhalten, die | |
Gesellschaft will, dass die Verträge eingehalten werden, ist aber | |
weitgehend im Unklaren darüber, dass es keinen annähernd ausreichenden Plan | |
gibt. Und dass wir bereits bei 1,3 Grad sind. | |
Wie kriegen wir es noch einigermaßen hin? Dieses Wie? muss man diskutieren. | |
Täglich. | |
Wenn eine demokratische Mehrheit nach einer ernsthaften, faktenbasierten | |
Diskussion sagt: Sicher schlimm, aber scheiß drauf, dann ist es nicht okay, | |
doch dann muss man es als Liberaldemokrat akzeptieren. Aber diese | |
Diskussion müssen wir erst mal führen. Mit welcher Begründung sollten sonst | |
heute Zeitungen herauskommen? | |
Ich sag es ungern, aber dafür brauchen wir auch und gerade die | |
liberalkonservativen Medien und ihre Leuchtturm-Leitartikler, Ökonomen und | |
Parteien. Also, hört auf, die Problematisierung der Klimakrise zu | |
problematisieren, und diskutiert, wie wir das Problem lösen. | |
Cut the bullshit and get real. | |
10 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Energiewende | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kolumne Die eine Frage | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Rechtspopulismus | |
Kolumne Die eine Frage | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Grüne | |
Annalena Baerbock | |
Kolumne Die eine Frage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimagesetz der EU: Nicht mit CO2-Senken CO2 senken | |
Das EU-Klimagesetz klingt zunächst gut. Haken dabei ist, dass künftig auch | |
der Klimaeffekt von CO2-Senken angerechnet werden kann. | |
Polarisierung der Gesellschaften: Dümmer als Trump | |
Nach der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten: Braucht die | |
liberale Demokratie eine neue Antwort auf Rechtspopulismus? | |
Kampf gegen die Erderwärmung: Wer radikalisiert, verliert | |
Kommt Klimapolitik voran, wenn Fridays for Future auf die Grünen losgehen? | |
Die Herausforderung besteht darin, den Mainstream zu überzeugen. | |
Eckpunktepapier von Fridays for Future: Die Kunst des Nötigen | |
Fridays for Future legen Eckpunkte für Deutschlands Beitrag zum Kampf für | |
das 1,5-Grad-Ziel vor. Die haben Schwächen, aber einen unschätzbaren Wert. | |
Schwarz-grüne Zukunft: Verkrustungen durchbrechen | |
Glaubt eine Mehrheit daran, dass Zukunftspolitik noch möglich ist? Die | |
OB-Wahl in Wuppertal gibt eine Antwort. | |
Die Grünen als Zentrum: Zwei Herzen im Gleichtakt | |
Anders als in den Medien behauptet, haben die Grünen strategisch derzeit | |
kein Problem. Sie brauchen bloß eines – aus Sicht der Konkurrenz. | |
Der Fall Jakob Blasel: Bitte auch in die CDU! | |
Sollen Fridays-for-Future-Leute in den Bundestag? Unbedingt! Denn in | |
unserer Lage ist eine reine Widerstandshaltung verantwortungslos. |