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# taz.de -- Rechtsextreme trainieren für den Umsturz: Rechter Kampf unter Palm…
> Thailand zählt zu den Hotspots einer globalisierten Fitness- und
> Kampfsportszene. Das zieht auch militante Neonazis an. Ein Buchauszug.
Bild: Feilen an der Beintechnik: Tourist in einer Trainingshalle in Bangkok
Immer wieder prallt sein Schienbein auf das flexible und leicht nasse Holz
der Bananenpalme. Immer wieder setzt Andreas B. zum halbhohen Tritt an,
immer wieder auf dieselbe Stelle. Es ist eine lange Folge an
Trainingstritten, dazu da, den Bewegungsablauf zu schulen sowie die Haut am
Schienbein abzuhärten. Bis die Palme schließlich umknickt.
Das Video wurde auf der thailändischen Insel Ko Samui aufgenommen. Die
eigene Härte und Technik soll inszeniert werden. Später lädt Andreas B. das
Video auf Instagram hoch. Sein dortiges Profil ist mit einem Slogan in
Anlehnung an ein Zitat Adolf Hitlers versehen: „flink wie ein Windhund, zäh
wie Leder und hart wie Kruppstahl“.
Andreas B. fliegt oft nach Thailand. Bilder zeigen ihn bei Handständen an
traumhaften Stränden sowie beim Thaiboxtraining. Auch mindestens einen
Kampf hat Andreas B. bereits in Thailand absolviert: Das Plakat der „Bangla
Fight Championship“ vom 8. Mai 2019 im „biggest stadium in Phuket“ kündi…
den Kampf von „Bonsti“ zwischen thailändischen, aber auch französischen u…
russischen Kämpfern an. Die Bilder seines Kampfes versieht Andreas B. mit
dem Hashtag #kickboxteamtodtglüsingen – einem Stadtteil des
niedersächsischenTostedts zwischen Hamburg und Bremen.
Nach seinem Kampf hält Andreas B. ein T-Shirt mit dem Slogan „Disziplin ist
alles“ [1][des extrem rechten „Kampfs der Nibelungen“ (KdN) hoch.] Die
Verbindung kommt nicht von ungefähr: Vielmehr bewirbt Andreas B. auf seinem
Instagram-Account auch Events des KdN, hat selbst bereits dort gekämpft.
Andreas B. gehört sowohl zur militanten extremen Rechten in Deutschland als
auch zur internationalen, [2][globalisierten Fitness- und Kampfsportszene],
deren Reisefreudigkeit bis nach Thailand reicht. Im ethnopluralistischen
Weltbild scheint dies kein Widerspruch zu sein.
## Traditionelle Zeremonien des Respekts
Solche Fightnights,bei denen die Kämpfe zuweilen zugunsten der Touristen
geschoben werden, finden täglich in Thailand statt. Allein in Phuket gibt
es mehrere Ausrichter, die zwei Events pro Woche veranstalten. Zum Einlauf
wird – wie in Deutschland auch – von den Kämpfern ausgesuchte Popmusik,
Rock oder Rap gespielt. Wenn beide den Ring betreten haben, tanzen einige
den Wai Khru Ram Muay, wie mir [3][Sing, Betreiber des Sinbi Muay Thai
Gyms], erläutert.
Die traditionelle Zeremonie besteht aus mehreren tier- oder kampfähnlichen
Figuren: Eine Bewegung sieht aus wie ein schießender Bogenschütze, eine
andere wie ein rennender Stier. „Es dient dazu, seinem Lehrer sowie seiner
Schule Respekt zu erweisen“, erklärt Sing.
Dazu tragen viele den Mongkol – eine Art Schutzamulett – auf dem Kopf und
Prajeats am Bizeps. Das können die Kämpfer machen, ist aber keine Pflicht,
erklärt mir Sing weiter. Viele Farangs – Ausländer – laufen auch nur die
vier Ecken des Rings ab und nicken zu den Eckpfeilern.
Außerdem werde auf allen Fightnights Samara gespielt – thailändische Musik.
Eine Oboe und zwei Thai-Drums erklingen während des gesamten Kampfes. „Sie
beginnen langsam und erhöhen ihren Takt mit dem Kampfverlauf“, erklärt mir
Sing. Sing ist auf hunderten solchen Turnieren angetreten. Sein Rekord
umfasst weit über 200 Kämpfe, er trug mehrere renommierte Titel. Der heute
41-Jährige ist eine prominente Größe in der thailändischen Muay-Thai-Szene.
## Community Building und Tourismusboom
Sing empfängt mich in seinem Gym nahe dem südlichen Zipfel Ko Phukets. Die
offene Halle steht auf hohen Metallstelzen, die das unebene Gelände
ausgleichen. Darunter sind zig Mopeds geparkt. Das circa 1.500 Quadratmeter
große Gebäude hat er 2019 bauen und eröffnen lassen. In der Hauptsaison
kämen bis zu 50 bis 60 Leute pro Trainingseinheit der
Muay-Thai-Anfängerkurse.
„Dann ist es sehr voll und alle Wohneinheiten belegt“, sagt er. Kampfsport
ist in Thailand mittlerweile Teil einer touristischen Infrastruktur: Die
Leute müssen transportiert werden, irgendwo wohnen, essen und letztlich
trainieren. Mit den Trainings verdienen viele Ex-Kämpfer ihr
Familieneinkommen: „Kaum einer ist mit über 30 Jahren noch aktiv. Dafür ist
der Sport zu intensiv und mit Verletzungen belastet bei den vielen hundert
Kämpfen“, sagt Sing.
Das Gym ist durch seine Trainerjobs also Teil des Community-Buildings und
über die Jahre gewachsen: Jährlich kommen zwischen 700 und 1.000 Gäste zum
Trainieren – saisonbedingt schwanken die Zahlen monatlich. Die meisten
Gäste stammen aus Russland, Südafrika, USA und Schweden, gefolgt von
England und Deutschland. „Ich hoffe, dass der Tourismus im Kampfsport
weiter wächst. Dadurch können sich meine Kämpfer auch hier international
messen“, begrüßt Sing diese Entwicklung.
Noch vor 20 Jahren, sagt er, hätten kaum Touristen in Thailand trainiert.
Erst ab 2010 sei der Muay-Thai-Tourismus massiv gewachsen. Sowohl der seit
den 1990er und 2000er Jahren globalisierte Tourismus als auch der
Kampfsportboom im Windschatten der UFC entfalten hier ihre Wirkung.
## Angebote für Frauen
Dieser internationale Kampfsporttourismus bietet viele Möglichkeiten auch
für Frauen, wie Gerri, Sings britische Assistentin, beipflichtet: „Ich habe
schon als Jugendliche gerne Boxen im TV mit meinem Vater geguckt und später
nach einer Möglichkeit gesucht, selber zu trainieren. Aber in England gab
es kaum Gyms für Frauen.“ Online fand sie Anzeigen für Kickboxen und Muay
Thai, die sich nicht allein an Männer richteten. „2007 kam ich nach
Thailand zum Training“, erzählt sie und blieb dem Sport verbunden. Später
absolvierte sie Profikämpfe, arbeitet heute fest im Gym und übersetzte
Teile unseres Interviews.
[4][Der Tourismusboom Thailands] lässt sich auch an Zahlen festmachen: Laut
den Indizes der Weltbank besuchten im Jahr 2018 über 38 Millionen Menschen
Thailand. Damit liegt der Tourismus auf Augenhöhe mit dem Deutschlands. Das
Wachstum ist enorm, noch vor zehn Jahren waren es nicht halb so viele
Besuche. Laut statistischem Bundesamt zeichnen deutsche Touristen für etwa
800.000 Flüge pro Jahr verantwortlich. Über 60 Milliarden US-Dollar macht
der Tourismus am Bruttoinlandsprodukt von knapp 500 Milliarden des
70-Millionen-Einwohner-Landes aus – über 10 Prozent.
Um diese boomenden Strand- und Palmenreisen hat sich eine eigene Branche
des Kampfsport- und Fitnesstourismus entwickelt. In einem Stadtteil Phukets
ist gar eine Fitness Street entstanden, in der eine ganze Reihe an
Kampfsportstudios, Fitnessgyms und auf die Ernährungswünsche der
Fitnessszene spezialisierte Restaurants liegen.
Wer sich für die kulturellen, religiösen und politischen Belange im Land
nicht weiter interessiert, findet hier also alles und muss den Straßenzug
gar nicht mehr verlassen. [5][Von den politischen Konflikten zwischen den
Gelb- und Rotwesten der letzten Jahre] und einer seit 2014 andauernden
Militärherrschaft hat kaum einer meiner internationalen Gesprächspartner je
etwas gehört.
## Gewalttrainings im Traumurlaub
Der neueste Hit dieser touristischen Kampfsportlandschaft kommt aus den
USA: [6][Die American Kickboxing Academy (AKA)] wurde 1985 im
kalifornischen San Jose gegründet und hat mehrere MMA-Stars hervorgebracht.
Auch der ehemalige UFC-Star Mike Swick ist unter ihnen. 2014 hat er die
thailändische Außenstelle „AKA Thailand“ eröffnet. Der Gebäudekomplex
besteht aus zwei klimatisierten Indoorbereichen, einer großen offenen Halle
und Unterkünften. Hinter dem Gelände erstreckt sich ein grün bewachsener,
unbebauter Hügel.
Dieser ist auch der Grund, weshalb Swick kurzerhand unseren seit mehreren
Wochen ausgemachten Interviewtermin absagen muss. Er scheint in einem
Meeting mit lokalen Behörden festzustecken. Sie verhandeln über die
Bebauung des Landes. AKA Thailand läuft gut und will expandieren. Bei einem
weiteren Versuch kriege ich Swick immerhin kurz zu fassen: Mit seinem – für
thailändische Straßen eigentlich viel zu großen – SUV fährt er kurz vor u…
verspricht, meine Fragen per Mail zu beantworten. Darauf warte ich bis
heute.
Vielleicht liegt die Schweigsamkeit auch an meiner Frage nach seiner
Einschätzung zu politischem Extremismus im Kampfsport. Ob sie irgendwelche
Hintergrundinfos über ihre Besucher einholen, wollte ich wissen. Sing hatte
noch berichtet: „Probleme mit rechten Hooligans haben wir nie gehabt. Nur
die russischen Gäste gehen auch im leichten Training ziemlich doll drauf.“
Dabei gäbe es genügend Anlässe, sich zumindest ein bisschen mehr mit dem
eigenen Publikum zu beschäftigen. Als ich das Gelände von AKA zum ersten
Mal betrete, trägt ein polnischer Kämpfer eine schwarze Sonne auf dem Knie.
Leipziger Hooligans aus dem Umfeld von Lokomotive Leipzig zeigen sich gerne
in ihren AKA-Shirts. Auch der führende Magdeburger Junghool posierte hier
im Herbst 2019 erst mit Kameraden der Berliner Hools von „Kaliber 030“ bei
Hertha BSC, dann mit einem Kämpfer aus dem Umfeld des tschetschenischen
Präsidenten Ramsan Kadyrow sowie später mit einem Maschinengewehr auf einer
Schießanlage. Auf meiner gesamten Reise traf ich auf schwedische und
tschechische Hools, die mir freimütig erzählen, „Thailand is great for
fighting“. Es sind abenteuerliche Netzwerke, die sich hier andeuten. Ihre
Gewalt wird kaum in den Gyms bleiben.
27 Sep 2020
## LINKS
[1] /Fanforscher-ueber-Nazikampfsport/!5540282
[2] /Neonazi-Kampfsportevent-in-Ostritz/!5632526
[3] http://www.sinbi-muaythai.com/
[4] https://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/touristen-trotz-allem-thai…
[5] /Kommentar-Thailand/!5054106
[6] https://www.americankickboxingacademy.com/
## AUTOREN
Robert Claus
## TAGS
Rechtsextremismus
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Thailand
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