# taz.de -- Dauerprotest in Belarus: Veränderungen sind schon bemerkbar | |
> Im Krankenhaus reicht eine Fahne in der Tasche als stummes Bekenntnis zur | |
> Opposition. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge | |
> 25. | |
Bild: Am Montag gingen die RentnerInnen auf die Straße | |
Die Machthaber in Belarus erklären uns in den staatlichen Medien: „Die | |
Proteste lassen langsam nach.“ Tatsächlich stimmt das aber gar nicht. Es | |
kursiert mittlerweile sogar ein Witz in den sozialen Netzwerken: | |
„Die Proteste sind im Abklingen“, sagt der eine. | |
„Hast du den Sumpf ausgetrocknet?“, fragt der andere. | |
„Nein.“ | |
„Dann sei still und schau genau hin.“ | |
Am Montag [1][gingen die RentnerInnen auf die Straße]. Sie liefen durch die | |
Stadt und an der Universität vorbei, um die protestierenden Studierenden zu | |
unterstützen. Die Hauptforderung der Demonstration war: Wir möchten den | |
Fehler korrigieren, den wir vor 26 Jahren begangen haben. Die Machthaber | |
kommentierten das mit: „Bekommt ihr zu wenig Rente, oder worum geht es | |
euch?“ Am folgenden Tag gingen die RentnerInnen wieder auf die Straße. Die | |
Siloviki (Einsatzkräfte aus Armee und Geheimdienst, Anmerkung d. Redaktion) | |
hatten da schon schon Spezialausrüstung im Einsatz. | |
Am Tag der Mutter, der hier am 14. Oktober gefeiert wird, gingen Mütter auf | |
die Straße. Am Donnerstag protestierten Menschen mit Behinderung. Am | |
Samstag waren es Studierende beim Marsch der Jugend. Am Sonntag dann alle, | |
die wollten. Hauptforderung der Proteste: sich gegen die | |
Verfassungsänderung aussprechen, von der Lukaschenko gerade spricht. | |
Janina Melnikowa, Redakteurin bei Selenny Portal (Grünes Portal) in | |
Belarus, erzählt, wie sie ins Krankenhaus kam und dort auf Gleichgesinnte | |
traf. | |
„Auf einmal hatte ich so eine entzündete Beule am Kopf“, erzählt Janina. | |
„Ich komme da also hin, ins Krankenhaus Nr. 2, und in der Rezeption sind | |
alle fröhlich und lachen laut. Ein junger Chirurg kommt dazu, besieht sich | |
meinen Kopf und sagt: ‚Sind Sie für die Weißen oder für die Roten?‘ Ich | |
öffne nur stumm meine Tasche und [2][zeige die Flagge]. Er so: ‚Ah, so sind | |
Sie also ins Oppositions-Krankenhaus gekommen! Jetzt kümmern wir uns alle | |
darum, dass es Ihnen bald besser geht.‘“ Er führte Janina in den schon | |
geschlossenen OP, rief eine Krankenschwester dazu und erzählte ihr | |
unterwegs Witze, um ihr die Angst zu nehmen. | |
„Und dann sagt er noch: ‚Seien Sie sonntags vorsichtig. Und wenn etwas ist, | |
geben Sie den OMON-Leuten Schuld an ihrer Kopfverletzung.‘ Mir scheint, | |
unsere Leute sind mittlerweile überall. Ach ja, der Arzt beklagte sich | |
noch, dass er so viele Sonntagsdienste in der Klinik bekomme, obwohl er | |
lieber zu den Demos gehen würde. Ich sagte zu ihm: ‚Eure Arbeit hier ist | |
jetzt wichtiger. Und wir brauchen euch Ärzte in den Operationssälen – für | |
alle Fälle.‘“ | |
Das ist, mal ganz allgemein gesagt, eine Geschichte über den Nutzen einer | |
Flagge in der Handtasche und darüber, dass „unsere Leute“ jetzt überall | |
sind. Und dass Veränderungen bereits stattgefunden haben. | |
Aus dem Russischen von [3][Gaby Coldewey] | |
21 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Olga Deksnis | |
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