# taz.de -- Festnahmen in Belarus: Warum Ärzte? | |
> Darf ein Mediziner in seiner Freizeit an einer Protestaktion teilnehmen? | |
> Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 28. | |
Bild: Demonstranten bekunden Solidarität mit oppositionellen Minsker Medizinst… | |
Auf einer der Hauptstraßen von Minsk wurden am Dienstag bei einer | |
Solidaritätsaktion zehn Mediziner des Zentrums für Kardiologie | |
festgenommen. Die Ärzte waren vor dem Beginn ihrer Arbeit gekommen und | |
trugen weiße Kittel. Dann kam eine Sondereinheit der Polizei und brachte | |
sie weg. Aus diesem Grund war die Arbeit der gesamten Abteilung blockiert, | |
die sich um die Erstversorgung nach Infarkten kümmert. Auch geplante | |
Operationen wurden verschoben. | |
Ich möchte [1][den Sicherheitskräften] gerne die folgende Frage stellen: | |
„Gibt es in Belarus mittlerweile Unsterbliche, die vor nichts mehr Angst | |
haben? Die keine Verwandten, ihnen nahe stehende Personen oder Freunde | |
haben, die in Gefahr sind und jetzt einfach keine Diagnose und Behandlung | |
bekommen, weil der entsprechende Spezialist festgenommen wurde? Wie kann | |
man überhaupt die Hand an Ärzte legen, die friedlich auf der Straße stehen? | |
Zu allen Zeiten, sogar im Krieg, gibt es eine Regel, die dem gesunden | |
Menschenverstand entspringt: Finger weg von denjenigen, die Leben retten. | |
In Belarus jedoch sind andere, unmenschliche Zeiten angebrochen. | |
So gegen Mittag wurden die Ärzte des Kardiologie-Zentrums auf freien Fuß | |
gesetzt. Wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Aktionen wurde gegen | |
jeden von ihnen eine Ordnungsstrafe verhängt. | |
Auf Facebook postete ein Arzt folgendes: „Im Bewusstsein eines | |
durchschnittlichen Menschen ist ein Arzt ein Wesen im Vakuum – außerhalb | |
der Politik. Das ist übrigens eine richtige Aussage: Kein Arzt darf | |
jemandem aus politischen Motiven Hilfe verweigern und minderwertige Hilfe | |
leisten. Das ist wahr. | |
Ein Mediziner wird jedoch NIEMALS da schweigen, wo Menschenrechte verletzt | |
werden. Wir haben versprochen und geschworen, für das Leben und die | |
Gesundheit der Menschen zu kämpfen. Aber man hindert uns nicht nur daran, | |
unser Gelübde zu erfüllen, sondern auch noch darüber zu sprechen. Uns wird | |
verboten, über die krassen Verbrechen zu sprechen, die der Staat an | |
Menschen verübt. | |
Wenn ein Student der Medizin zwischen den Vorlesungen in der Halle der | |
Universität auf die Treppe sitzt und das belarussische Volkslied | |
„Kupalinka“ singt, wird er stigmatisiert und klar darauf hingewiesen, dass | |
er bei den Examina Probleme bekommen wird. Wenn Ärzte in ihrer Freizeit auf | |
eine friedliche Kundgebung gehen und umsichtigerweise einen | |
Erst-Hilfe-Kasten dabei haben für den Fall, irgendjemandem helfen zu | |
müssen, werden sie rücksichtslos festgenommen, beleidigt, an den | |
Hypokratischen Eid erinnert und dann hinaus geschmissen und von der | |
Hochschule verwiesen. Und dann geht es wieder los: Man beleidigt und | |
erniedrigt sie und kippt dann Dreck über ihnen aus. | |
Wenn ein Arzt in den sozialen Medien von den Vorgängen im Land berichtet, | |
wird er ebenfalls bedroht und ihm wird gesagt, dass er nicht das Recht | |
habe, seinen Mund aufzumachen. Ich schreibe über Ärzte, weil ich selber | |
einer bin und ein Dutzend Ärzte, mit denen ich bekannt bin, keine Angst | |
haben auf die Straße zu gehen, zu reden, zu schreiben, Forderungen zu | |
stellen und unter der seelenlosen Staatsmaschine gelitten haben. | |
In meinem Post kann man das Wort „Mediziner“ durch jedes andere ersetzen: | |
Lehrer, Ingenieur, Hausfrau, [2][Rentner]. Mensch. In der Republik Belarus | |
werden Menschenrechte verletzt und genau deshalb können Mediziner, Lehrer, | |
Ingenieure, Hausfrauen, Rentner, ja die MENSCHEN nicht länger schweigen. | |
Als jemand, der eine abweichende Meinung vertritt, möchte ich daran | |
erinnern, dass man eine bessere Welt nicht auf Angst, dem Schweigen der | |
Menschen, Blut und Schmerz aufbauen kann. So geht das nicht. Aus! Wir | |
werden nicht schweigen. Wir haben eine Stimme. Wir sind da. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
30 Oct 2020 | |
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Janka Belarus | |
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