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# taz.de -- Beckenbauers 75. Geburtstag: Wir sind Franz
> Ästhetischer Ballspieler, Nachkriegskind und deutscher Staatsbürger – was
> sagt die Figur Beckenbauer über dieses Land und seine Gesellschaft?
Bild: Im Fokus: Franz Beckenbauer
Franz Beckenbauer ist nicht nur bundesdeutsche Geschichte, er steht für die
Bundesrepublik. Heute an seinem 75. Geburtstag lautet die Frage: Was sagt
„[1][der größte Glücksfall des deutschen Fußballs]“ (FAZ, 2010) nach den
Erschütterungen der vergangenen Jahre über diese Gesellschaft?
Zunächst: Kein anderer Fußballer mit bundesrepublikanischem Pass hat ein so
ästhetisches Zusammenspiel von Ball und Körper zur Aufführung gebracht wie
Beckenbauer. Das bleibt ewig.
Was seine Wirkungsgeschichte angeht, so wurde der am 11. September 1945
geborene Sohn einer Hausfrau und eines Postlers im Zuge der steigenden
Wichtigkeit der Unterhaltungsbranche Profifußball von seinen
Geschäftspartnern als heroische Figur modelliert, die auch die klischierten
Zuschreibungen der bundesrepublikanischen Aufstiegsgesellschaft nach dem
Menschheitsverbrechen bediente und kontrastierte: Dass brave, fleißige,
pünktliche Leute den Turnaround hingekriegt haben, weil sie brav, fleißig
und pünktlich waren.
Und sich auf ein paar Außerirdische verlassen konnten. Zuvorderst
Beckenbauer: Genie, Weltbürger, Laisser-faire. Aber gleichzeitig „normal“.
Toll. Sooo kann der Deutsche auch sein!
## Angsthasenfußball als Trainer
Das ist der entscheidende Satz, und den muss man sich jetzt halt in einer
veränderten Betrachtung reinziehen, in der [2][Beckenbauer] erzählt wird
über die Steuerhinterziehung in den 70ern, seinen Schutz durch ein großes
CSU-Amigonetz, die Flucht nach New York, seinen Pragmatismus als Spieler,
seinen Angsthasenfußball als Trainer, seine weltweiten Beziehungen zu
Halsabschneidern in Funktionärs-, Vereins-, Unternehmensfunktionen und
Medien. Und als Höhepunkt, die mit Bestechung gekaufte WM 2006.
Aber man hat Beckenbauer halt jahrzehntelang bestärkt darin, dass alles
okay und großartig sei und er selbst unantastbar. Deshalb kann er sich
jetzt nur wundern, was die Aufregung soll. Und das „Sommermärchen“ war ja
auch eine wirklich geile Party, wie sie die Bundesrepublik weder davor noch
danach je wieder gefeiert hat. Dafür bin ich Franz Beckenbauer dankbar, wie
auch für WM- und EM-Siege, an denen ich emotional teilhaben konnte und die
vielen Jahre mit ihm als lustigem Fernsehunterhalter.
Die Chance auf Fortschritt besteht nicht darin, ihn nun zu verdammen,
sondern die neue Figur von Beckenbauer abzulösen. Die Figur des Deutschen,
emanzipatorisch durchaus gut entwickelt, hat eben viele Facetten, und eine
ist auch ein jovial daherschwätzender Kleinbürger, getrieben von
Geldfixierung, Gutmütigkeit und den richtigen oder falschen Freunden, je
nach dem.
Hat mitgemacht, was mitzumachen war, hat mitgenommen, was mitzunehmen war,
Hände gewaschen, die seine gewaschen haben, das Recht gebeugt, wo es zu
beugen war, hat keine Sklaven gesehen, wo es nicht opportun war, welche zu
sehen. Ich verstehe total, dass man sich in dieser Figur nicht
wiedererkennen möchte. Aber besser wär’s.
## Franz ist ein Teil von fast jedem
Es selbst anders zu machen als Beckenbauer, ist moralisch richtig, reicht
aber nicht. Moralisches Wachstum einer Gesellschaft, um diesen Begriff des
Philosophen Markus Gabriel aufzugreifen, entsteht nicht durch bessere
Menschen. Moralisches Wachstum muss institutionell und kulturell verankert
sein und sich politisch entfalten können.
Das gilt für ernsthafte Klimapolitik und für alles andere. Es geht darum,
sich auf einen liberaldemokratischen Politikrahmen zu einigen, in dem eine
Gesellschaft „bessere“ Ziele verfolgen kann. Aber Franz Beckenbauer ist
nicht etwas, was man einfach exkommunizieren kann. Franz Beckenbauer ist
ein Teil von fast jedem. Horst Seehofer übrigens auch.
11 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/franz-beckenbauer-der…
[2] /Franz-Beckenbauer/!t5038974/
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Franz Beckenbauer
Kolumne Die eine Frage
Fußball und Politik
Fußball
FC Bayern München
Kolumne Press-Schlag
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