# taz.de -- Veraltete Genderdebatten: 2010 hat angerufen | |
> In konservativen Kreisen scheint es noch immer Angst vor dem Zerfall der | |
> „klassischen Familie“ zu geben. Waren wir nicht schon weiter in der | |
> Debatte? | |
Bild: Die „klassische Familie“ ist nicht in Gefahr | |
Die 2010er sind erst seit Kurzem vorbei – und sie haben schon angerufen und | |
wollen ihre Genderdebatten zurück. Neulich blieb ich an einem | |
FAZ-Gastbeitrag hängen, Titel: „Die klassische Familie wird zum | |
Ausnahmefall“. Die Unterzeile sprach von „Transgenderpropaganda“ in Kitas. | |
Ich musste mich kurz per Blick auf meinen Sexy-Polizei-Wandkalender | |
vergewissern, dass wir nicht 2014 haben. „Klassische Familie in Gefahr, | |
Genderpropaganda, Frühsexualisierung“ – schon wieder? Mit Verlaub, liebe | |
Konservative, ich fände es ja okay, wenn die „klassische Familie“ zum | |
Ausnahmefall würde, aber ich seh’s, ehrlich gesagt, nicht passieren. | |
In meinem Bekanntenkreis (Berlin, liberal, millennial) gibt es haufenweise | |
neue klassische Familien: zwei Eltern, cis-hetero, zusammenlebend, | |
romantisch involviert. Das Einzige, was diese Familien weniger klassisch | |
machen könnte, wäre, wenn die Kinder sich … //japs// … zu etwas anderem a… | |
oben genannt entwickelten. Oder ist es das, liebe Konservative, was Sie | |
ängstigt? | |
Der FAZ-Text bestand aus Panikmache und Geraune. Ein unaufregendes | |
Antidiskriminierungsgesetz, das in den USA gerade angeschoben wird, der | |
„Equality Act“, war den Autor*innen Indiz genug dafür, dass Kinder künftig | |
nach Belieben Hormone nehmen und sich ohne Zustimmung der Eltern operieren | |
lassen dürfen, wenn sie ihre Genderidentität erkunden. Faktencheck: Der | |
Equality Act sagt nichts dergleichen, sondern soll bloß spezifizieren, dass | |
bestehende Antidiskriminierungsgesetze auch für „sexuelle Orientierung und | |
Genderidentität“ gelten. Aber wenn man Angst um die „klassische Familie“ | |
hat, dann ist so ein Gesetzentwurf ein schöner Anlass, denn den wird sich | |
hier eh niemand durchlesen. | |
## Alte Hits | |
Die FAZ hat mittlerweile Titel und Unterzeile geändert, jetzt steht da: | |
„Das Thema Gender-Identität überfordert Kinder“. Es ist, als erschiene der | |
Chor der besorgten Eltern noch mal als Sommer-2020-Strand-Remix. Mit meinen | |
liebsten Hits: „Baby, Heterosexualität wird an den Rand gedrängt!“, und | |
„Bobby, Bobby, it’s the Regenbogen-Lobby!“, und für die älteren Kinder: | |
„Stop, in the name of loveless marriage, stoppt den Sexualkundeunterricht!“ | |
Was neu ist: Es geht nicht mehr um Kinder gleichgeschlechtlicher Paare. | |
Stattdessen kreist die Debatte, befeuert von J. K. Rowling und anderen | |
Champions der Binarität, um die Trans-Kinder. | |
Nur werden die nicht in Schutz genommen, wie einst die hypothetischen | |
Kinder der Homo-Eltern. Sondern dämonisiert: Verschworen mit LGBTI-Lobby | |
und Staat brechen sie die „klassische Familie“ von innen auf – inklusive | |
wohlmeinender und unfehlbarer Eltern – durch ihre //unverschämte// | |
Insistenz, Geschlecht selber entdecken zu wollen. Das ist ein Diskurs, | |
durch den die Bedürfnisse von trans, nonbinären und genderfluiden Kindern | |
aus dem Blick geraten, zugunsten der lahmen Debatte über einen abstrakten | |
Status quo. Und das ist leider so was von 2010er. | |
18 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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