| # taz.de -- DIHK-Experte über Brexit: „Warteschlangen an den Grenzen“ | |
| > Auf die deutsche Wirtschaft kommen durch den Brexit große Probleme zu, | |
| > warnt Volker Treier vom DIHK. Ohne Abkommen würde es noch schlimmer. | |
| Bild: Gibt es hier bald lange Staus? Fährhafen in Dover | |
| taz: Herr Treier, wie wahrscheinlich ist ein „harter Brexit“ ohne | |
| Handelsabkommen? | |
| Volker Treier: Die deutschen Unternehmen sollten sich darauf einstellen, | |
| dass es gar kein Abkommen geben könnte. Aber selbst wenn ein „harter | |
| Brexit“ vermieden würde: Schon jetzt steht fest, dass es in vielen | |
| Bereichen zu Änderungen kommt. | |
| Warum sind Sie so pessimistisch? | |
| Es dauert sehr lange, umfassende Freihandelsverträge auszuhandeln. Das | |
| EU-Abkommen mit Kanada, Ceta, hat mehr als sieben Jahre gedauert, bis es | |
| verabschiedet war. Und mit den Briten wünschen wir uns aufgrund der | |
| geografischen Nähe noch weitaus intensivere wirtschaftliche Beziehungen. | |
| Was bedeutet es für die deutschen Unternehmen, wenn die bewährten | |
| Absprachen mit den Briten plötzlich fehlen? | |
| Allein die Umstellung auf die neuen Zollformalitäten und die Bearbeitung | |
| der Zollanmeldungen werden die deutschen Unternehmen mehrere Hundert | |
| Millionen Euro kosten – pro Jahr. | |
| Wird der Handel zwischen Europa und Großbritannien einbrechen? | |
| Der DIHK hat eine Umfrage unter Unternehmen durchgeführt, die | |
| Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien unterhalten: 58 Prozent dieser | |
| Firmen bezeichnen die Aussichten als „schlecht“. Das war noch vor Corona. | |
| Macht sich der Brexit bereits bemerkbar? | |
| Im ersten Halbjahr 2020 sind die deutschen Exporte nach Großbritannien um | |
| über 20 Prozent eingebrochen. Zum Vergleich: Die deutschen Ausfuhren in die | |
| EU sind im gleichen Zeitraum deutlich weniger zurückgegangen. Daran sieht | |
| man: Der Brexit wirft seine Schatten bereits voraus. | |
| Deutsche Unternehmen haben 160 Milliarden Euro in ihre Niederlassungen in | |
| Großbritannien investiert. Was passiert mit diesen Töchtern? | |
| Im Moment wird erheblich weniger investiert. Zudem planen bereits 15 | |
| Prozent der deutschen Unternehmen, ihre Investitionen aus Großbritannien | |
| zurückzuverlagern. | |
| Hat dieser Abzug schon begonnen? | |
| Erste Firmen haben angefangen, ihre Firmenzentralen auf den europäischen | |
| Kontinent zu verlagern, weil sie auch nach dem Brexit im europäischen | |
| Binnenmarkt bleiben wollen. | |
| Haben Sie Angst, dass die Briten Dumping betreiben könnten, um sich | |
| Wettbewerbsvorteile zu verschaffen? | |
| Das ist ein Thema der aktuellen Verhandlungen. Für die deutsche Wirtschaft | |
| ist es sehr wichtig, auch künftig unter fairen Wettbewerbsbedingungen mit | |
| Großbritannien Handel betreiben zu können. | |
| Die Briten fürchten, dass sie ihre eigene Souveränität verlieren könnten, | |
| wenn sie sich auf gemeinsame Standards einlassen. Nach dem Motto: Immer | |
| wenn die EU ihre Vorschriften ändert, müssten sich die Briten automatisch | |
| anpassen. | |
| Ziel der laufenden Verhandlungen ist es, Mindeststandards festzulegen. Aber | |
| dazu scheint die britische Seite bisher nicht bereit. Gleichzeitig wollen | |
| sie aber, dass es keine Zölle gibt. Auf Zölle kann man aber nur verzichten, | |
| wenn man im fairen Wettbewerb ist. Darum braucht es gemeinsame Standards. | |
| Daher finden sich ja Vereinbarungen zu Standards in allen | |
| Freihandelsverträgen mit Drittstaaten. | |
| Eine andere Sorge der Briten: Wenn es zu Streit kommt, könnte am Ende | |
| wieder der EuGH entscheiden. | |
| Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein sind auch nicht in der EU. Dort | |
| gibt es ein Streitschlichtungsverfahren, bei dem der EuGH nicht | |
| eingeschaltet ist. Ein ähnliches Verfahren ist auch für Großbritannien | |
| denkbar. Das Thema Streitschlichtung sollte daher aus Sicht der deutschen | |
| Wirtschaft eigentlich nicht zu den großen Knackpunkten bei den | |
| Brexit-Verhandlungen gehören. | |
| Die Briten haben lange darauf vertraut, dass die deutschen Unternehmen | |
| Druck auf Kanzlerin Merkel machen würden, sich möglichst schnell mit den | |
| Briten zu einigen. Schließlich hängen 750.000 Arbeitsplätze in Deutschland | |
| am Export nach Großbritannien. Gibt es diesen Druck? | |
| Unsere Umfragen zeigen, dass für 85 Prozent der deutschen Unternehmen der | |
| europäische Binnenmarkt absolute Priorität hat. Dafür sind die Firmen | |
| bereit, auch ökonomische Nachteile im Handel mit den Briten in Kauf zu | |
| nehmen. | |
| Wie immer die Brexit-Verhandlungen ausgehen: Künftig gibt es eine | |
| Zollgrenze zwischen der EU und Großbritannien. Was bedeutet das? | |
| Kommt es zu einer Zollgrenze, sollten sich die Unternehmen darauf | |
| einstellen, dass Warteschlangen an den Grenzen entstehen. Vor der | |
| Coronapandemie passierten täglich 12.000 Lkws die Strecke zwischen Dover | |
| und Calais. Im Tunnel oder auf den Fähren. Wenn die Abfertigung pro Lkw | |
| beispielsweise nur zwei Minuten länger dauert, ergibt das schnell | |
| kilometerlange Staus auf beiden Seiten. | |
| Und wie wird Irland versorgt? Bisher werden 80 Prozent auf dem Landweg | |
| durch Großbritannien transportiert. | |
| Großbritannien würde zum Transitland. Eigene Fahrspuren für Lkws und eigene | |
| Abfertigungsvorrichtungen in den Häfen Dover und Calais wären erforderlich. | |
| Die gibt es aber bisher nicht in ausreichendem Maße. | |
| Wäre eine Direktverbindung von Irland in die EU denkbar? | |
| Bisher gibt es eine Fähre pro Woche von Dublin nach Rotterdam. Europa muss | |
| hier schleunigst was tun. | |
| 11 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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