# taz.de -- Verdächtiger im Fall „NSU 2.0“: Der Schlangenzüchter | |
> Ein bewaffneter Ex-Polizist in Landshut wird im Zuge der „NSU | |
> 2.0“-Ermittlungen festgenommen. Er pflegt offenbar eine Nähe zur | |
> Lokalpolitik im Ort. | |
Bild: Ungewöhnliches Hobby: Der NSU 2.0-Verdächtige züchtet die Schlangenart… | |
Landshut taz | Die Boa constrictor ist eine Art der Boa, die sich durch | |
ihre vielfältigen Erscheinungen auszeichnet. Die auch Abgottschlangen | |
genannten Tiere können zwischen einem und 4,5 Metern lang werden. Sie sind | |
rot, weiß, braun und-oder schwarz. Faszinierend unterschiedlich, finden | |
Schlangenfans auf aller Welt. | |
Der Mann, der sich Eugen Prinz nennt, züchtet diese Tiere gemeinsam mit | |
seiner Frau, auch wenn er selbst kein großer Freund von Vielfalt ist. Nicht | |
in seinem Lebensraum. | |
Darüber legt Prinz Zeugnis ab, wenn er Artikel schreibt: Etwa über die | |
„Moslem-Machos“, die sich nicht integrieren würden oder aber auch den | |
vermeintlichen Deutschland-Hass der taz. Eugen Prinz schreibt für die | |
rechtsextreme Plattform Politically Incorrect und seinen eigenen Blog. Im | |
echten Leben trägt er den Namen Hermann S. | |
Am 24. Juli schickte die Staatsanwaltschaft Frankfurt die Polizei nach | |
Landshut-Auloh zu Hermann S. a.k.a. Eugen Prinz. Der Verdacht: S. könnte | |
sechs der insgesamt mindestens 71 Drohmails verfasst haben, die inzwischen | |
bei prominenten [1][Aktivist*innen, Politiker*innen und Journalist*innen] | |
eingegangen sind und die allesamt im Namen des „NSU 2.0“ verfasst wurden. | |
## Rechter Hass aus der normdeutschen Idylle | |
Die Polizist*innen nahmen im Juli Computer und Datenträger mit, außerdem | |
drei Waffen, die S. illegal besaß, eine Pumpgun und zwei Pistolen. Die | |
Auswertung der Daten soll nun ergeben, ob S. tatsächlich hinter den sechs | |
Drohmails steckt. | |
Landshut-Auloh, das ist die normdeutsche Idylle. Großzügige, aber | |
unauffällige Häuser, gestutzter Rasen, die FC Bayern Flagge weht, eine | |
Katze wird vermisst, das Bürgerforum sucht Schulweghelfer. An S.' | |
Holzlattenzaun hängt ein Schild, auf dem ein scheißender Hund im Fadenkreuz | |
abgebildet ist. | |
Ob S. auch Menschen ins Fadenkreuz nimmt oder gern nehmen würde, damit | |
beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft. Die Ermittler*innen hatten | |
einen Durchsuchungsbefehl erwirkt, weil die im Juli an Politiker*innen und | |
Künstler*innen verschickten Drohungen von einer Mailadresse stammten, die | |
ebenfalls das Pseudonym Eugen Prinz verwendet. | |
S. selbst [2][streitet die Vorwürfe ab] und behauptet Opfer einer Intrige | |
geworden zu sein. Er verweist unter anderem darauf, dass in den E-Mails | |
nicht nur sein Pseudonym, sondern auch sein Klarname und die vollständige | |
Adresse stehe. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main bestätigt das. Die | |
Auswertung von S.' Hardware dauere aber noch an. Die Münchner | |
Staatsanwaltschaft beschäftigt sich derweil mit den drei nicht gemeldeten | |
Waffen. Es gibt auch legale Waffen im Haushalt S., er ist Sportschütze. | |
## Zu Gast bei der AfD im Bundestag | |
Einst hatte S. als Polizist gearbeitet. Der heute 63-jährige schied | |
allerdings bereits vor 16 Jahren aus dem Polizeidienst aus und bezieht | |
heute eine Pension, die ihm nun Laufe eines Disziplinarverfahrens aberkannt | |
werden könnte. | |
Was sagt die Landshuter Polizei dazu? „Wir sind eine sehr junge | |
Dienststelle“, sagt der Landshuter Polizeichef Helmut Eibensteiner am | |
Telefon. „Den kennt hier fast keiner.“ Zwei Kollegen hätten mit S. noch | |
zusammengearbeitet für die Eibensteiner aber seine Hand ins Feuer legen | |
würde. Wenn S. irgendwelche Informationen gehabt hätte, die er nicht hätte | |
haben sollen, dann bestimmt nicht aus der Landshuter Inspektion, so der | |
leitende Polizeidirektor. | |
Auch wenn sich S. am Ende nicht dem NSU 2.0 zurechnen lassen sollte, lohnt | |
es sich genauer hin zu schauen. Denn auch wenn keine Geschichte über | |
Drohmails ans Licht kommt, es zeigt sich mindestens eine Geschichte über | |
fehlende Distanz zwischen Menschen wie ihm und der Lokalpolitik. Eugen | |
Prinz a.k.a. Hermann S. ist mehr als nur ein rechter Schmierfink aus der | |
Provinz. | |
Im Mai 2019 lädt die AfD verschiedene Journalist*innen zur „Konferenz der | |
freien Medien“ in den Fraktionssaal der Partei im Bundestag. Bei Wraps und | |
asiatischen Geflügelspießen besteht hier die Möglichkeit, sich über | |
mögliche Kooperationen zwischen AfD und dem rechten Rand der Bloggerszene | |
auszutauschen. Mitglieder des Bundestages kommen hier ins Gespräch mit | |
zweifelhaften Autor*innen, zum Beispiel mit dem mehrfach vorbestraften | |
Islamkritiker, Ex-CSU-München-Sprecher und PI-Schreiber Michael | |
Stürzenberger. | |
## Wunsch nach einer aggressiveren AfD | |
Auch Götz Kubitschek darf nicht fehlen, gleich drei Vertreter der vom | |
Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung sind dabei und eben | |
Herrmann S. beziehungsweise Eugen Prinz. Das Foto, das bei der Konferenz | |
von ihm gemacht wurde – S. trägt ein AfD-Halsbändchen und schaut grimmig – | |
verwendet er konsequent als Autorenbildchen. | |
Im Februar darauf richtet sich Eugen Prinz in einem PI-News-Artikel direkt | |
an die AfD. In dem Text formuliert er den Wunsch, nach einer neuen, einer | |
aggressiven AfD, deren Politiker*innen den etablierten Medien die Auskunft | |
verweigern und den Parlamentariern der etablierten Parteien | |
„Unannehmlichkeiten“ bereiten. Die Sympathie des Schreibers für die AfD ist | |
kein Geheimnis. | |
Es gibt noch eine Onlinezeitung in der Texte von Eugen Prinz erschienen | |
sind: klartext.la, eine „Plattform für Bürgerjournalismus“, ins Leben | |
gerufen und betreut durch Rudolf Schnur von der Landshuter CSU, wohnhaft in | |
Rufnähe des schlangenzüchtenden Ehepaars in Auloh. Schnur ist Chef der | |
CSU-Fraktion im Stadtrat. | |
2015 hatten sich Schnur und S. auf eine Zusammenarbeit geeinigt – und auf | |
die Einrichtung des von S. betreuten Ressorts „Zuwanderung“, in dem sich | |
interessierte Bürger*innen gezielt über Straftaten informieren können, die | |
von Menschen mit Migrationshintergrund begangen wurden. Prinz | |
schwadronierte prompt über eine German Rape Wave, eine behauptete | |
Vergewaltigungswelle durch Flüchtlinge. | |
## Keine klare Grenze zur AfD | |
Was sagt Schnur, der CSU-Mann dazu? Heute behauptet er gegenüber | |
Medienvertretern, er habe die Zusammenarbeit mit S. noch 2015 beendet und | |
stehe seitdem nicht mehr in Kontakt mit dem Mann. Auf seiner eigenen | |
Homepage klang das allerdings einst anders, dort hieß es, das Ressort | |
Zuwanderung sei „ausgelagert“ worden. Weil es so große Aufmerksamkeit | |
erreiche. | |
Es spricht nicht unbedingt für eine klare Abgrenzung der CSU vom rechten | |
Rand, wenn der bewaffnete Schlangenzüchter, der sich | |
hofberichterstatterisch an die AfD andient, seit Jahren mit ihren | |
Stadtratspolitikern kungelt – wenn nicht gar kumpelt. | |
Bereits 2008 gründete Schnur außerdem das Bürgerforum Landshut, das 2016 in | |
den Verein aktiv.bayern umbenannt wurde. Für Veranstaltungen dieses Vereins | |
warb wiederum Hermann S. kräftig auf seinem Blog, er soll auch | |
Veranstaltungen in der Gaststätte eines Turnvereins initiiert haben. | |
2016 kam Vera Lengsfeld in die Gaststätte, kurz darauf die Publizistin Iris | |
Nicole Masson, über die man heute via Google-Suche so gut wie nichts mehr | |
findet, außer eben die Veranstaltungsankündigung aus der Feder von Eugen | |
Prinz. Auch CSU-Mann Schnur soll an beiden Abenden vor Ort gewesen sein. | |
Wegen fremdenfeindlicher Ausfälle im Rahmen der Vorträge erteilte der | |
Turnverein anschließend dem Verein aktiv.bayern ein Hausverbot. | |
## König trotzt den Drohungen | |
Schnur möchte zu diesem Thema nicht mehr Stellung nehmen, auch ein | |
persönliches Gespräch lehnt er ab – wie auch Hermann S. Stattdessen: Besuch | |
bei Anja König, SPD-Vorsitzende in Landshut, die bereits 2017 Drohbriefe | |
erhielt. Auf einem mitgeschickten Foto hatte ihr jemand ein Hakenkreuz auf | |
die Stirn geschmiert, im Brief stand: „Ihr Sozi-Teufeln gehört doch alle | |
nach Auschwitz.“ | |
Ein Täter konnte damals nicht ermittelt werden, jetzt hat sie die Briefe | |
erneut der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Für König ist die Verbindung | |
zwischen CSU und neurechtem Blogger nichts Neues. „Dass Herr Schnur mit | |
Vorsicht zu genießen ist und eine gewisse Nähe zu den besagten Personen | |
keinesfalls scheut, wissen wir schon länger. Mir kann keiner erzählen, dass | |
die keinen Kontakt mehr haben“, sagt sie. | |
König kritisiert die Landshuter CSU auch dafür, sie habe den drei AfD | |
Stadträten mittels Erhöhung der Ausschusssitze zur mehr Mitsprache im | |
Stadtparlament verholfen. Während Ministerpräsident Söder die AfD | |
inzwischen den Feind nennt und den Annäherungskurs bereut, den die CSU noch | |
2018 gegenüber der AfD verfolgt hatte, herrschen auf kommunaler Ebene | |
offenbar weniger Berührungsängste zwischen CSUler*innen und den | |
Rechtsaußen. | |
Vor einiger Zeit erhielt König eine anonyme Nachricht aufs Handy, die auf | |
unterschwellig aggressive Weise auf ihr Whatsapp-Profilbild mit ihrer | |
Enkelin anspielt. König, die als engagierte Streiterin gegen | |
Rechtsextremismus bekannt ist, will sich davon nicht einschüchtern lassen. | |
„Ich habe schon 2017 gesagt, die sollen mir das von Angesicht zu Angesicht | |
sagen. Für Diskussionen bin ich immer offen. Aber wenn da nichts kommt, | |
sind das feige Hunde.“ | |
1 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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