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# taz.de -- Kampf gegen Corona in Russland: Kritik an Impfstoff-Zulassung
> Russland gibt eine Injektion frei, die vor Corona schützen soll.
> ExpertInnen sind beunruhigt, denn Belege für Sicherheit und Wirkung
> fehlen.
Bild: Russische Forscherin auf der Suche nach Impfstoff gegen Corona
Frankfurt reuters/taz | Russland hat als weltweit erstes Land einen
Impfstoff gegen das [1][Coronavirus] zugelassen. Das kündigte Präsident
Wladimir Putin am Dienstag in Moskau an. Der Impfstoff, der vom Moskauer
Gamaleja-Institut entwickelt wurde und erst seit weniger als zwei Monaten
an Menschen getestet wird, sei sicher und sogar einer seiner Töchter
verabreicht worden, sagte er bei einem Regierungstreffen, das im
staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde. „Ich weiß, dass er sehr wirksam
ist und eine hohe Immunität erzeugt, und ich wiederhole, er hat alle
erforderlichen Prüfungen bestanden.“
Die Regierung wertete die Zulassung als Beweis der russischen
wissenschaftlichen Fähigkeiten. Putin hofft, bald mit Massenimpfungen in
Russland starten zu können, während die entscheidende klinische Studie über
die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes läuft.
Der Impfstoff solle den Namen „Sputnik V“ tragen, sagte der Leiter des
russischen Staatsfonds, Kirill Dmitriew und sprach von einem historischen
„Sputnik-Moment“ – eine Referenz an den ersten Satelliten im Weltraum. Die
damalige Sowjetunion demonstrierte mit der erfolgreichen Erdumrundung ihren
Vorsprung vor den USA beim Wettlauf um die Vorherrschaft im All.
Die Geschwindigkeit, mit der Russland den Impfstoff einführt, unterstreicht
Putins Entschlossenheit, das weltweite Rennen um einen Corona-Impfstoff zu
gewinnen. Experten äußerten aber Bedenken, die Regierung stelle Prestige
vor fundierte Wissenschaft und Sicherheit. Aufsichtsbehörden auf der ganzen
Welt haben darauf bestanden, dass die Geschwindigkeit bei der Entwicklung
eines Covid-19-Impfstoffes die Sicherheit nicht beeinträchtigt.
## Internationale Kritik am russischen Vorgehen
Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte, man stehe in engem Kontakt
mit den russischen Gesundheitsbehörden über einen möglichen
„Präqualifizierungsprozess“ für den Impfstoff, für den eine strenge
Überprüfung erforderlich sei.
Der Verband zur Organisation klinischer Studien in Russland (ACTO), der
internationale Pharmafirmen vertritt, hatte das russische
Gesundheitsministerium aufgefordert, die Zulassung des Impfstoffes zu
verschieben, bis die finale klinische Wirksamkeitsstudie erfolgreich
abgeschlossen ist. Eine Zulassung zuvor sei mit hohen Risiken verbunden.
Der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Christdemokraten im Europäischen
Parlament, Peter Liese, bezeichnete das Vorgehen der russischen Behörden
als „höchst problematisch“. Der Impfstoff, der jetzt auf den Markt kommen
solle, habe die notwendigen klinischen Prüfungen noch nicht durchlaufen:
„Der russische Impfstoff hat nur die Phasen eins und zwei der klinischen
Prüfung abgeschlossen“, kritisierte Liese.
Damit seien die Russen „hinten dran“, denn weltweit gebe es schon sechs
Projekte, die diese ersten beiden Phasen seit längerem abgeschlossen haben,
unter anderem das von der EU gefördert Projekt des Mainzer Unternehmens
BioNTech gemeinsam mit dem Pharmakonzern Pfizer. Dieses und die fünf
anderen gingen nun in die notwendige dritte Phase der klinischen Prüfung.
## Philippinisches Lob
In dieser Phase muss dargelegt werden, dass der Impfstoff tatsächlich
wirkt, also vor einer Infektion schützt, und dass auch bei einer größeren
Zahl von Anwendungen keine unverantwortlichen Nebenwirkungen auftreten. Die
Russen übersprängen diese Phase einfach, empörte sich Liese. Dies sei nach
EU-Recht nicht zulässig und könne „im schlimmsten Fall“ dazu führen, dass
viele Menschen Nebenwirkungen hätten, „aber keinerlei Wirkung“.
„Es wundert mich, wie schnell es geht“, sagte der Infektiologe Peter
Kremsner von der Universität Tübingen, der dort gegenwärtig den
[2][Corona-Impfstoff der deutschen Biotechfirma CureVac] testet.
„Normalerweise braucht man schon eine große Anzahl von Menschen, die
getestet werden, bevor man einen Impfstoff zulässt. Insofern halt ich das
für verwegen, dass zu machen, wenn nicht schon viele mit dem Impfstoff
untersucht wurden.“ Aber das wisse er nicht, womöglich seien in Russland
schon Tausende geimpft worden. „Aber wenn sie das nicht gemacht haben, ist
das nicht gut“, sagte Kremsner. „Das bringt uns nicht weiter und das kann
Vertrauen zerstören.“
Positiv äußerte sich am Dienstag die Regierung der Philippinen: Man habe
„großes Vertrauen“ in den Impfstoff und nehme das Angebot von Russland an,
diesen an den Inselstaat zu liefern, sagte Präsident Rodrigo Duterte. Die
Philippinen würden sich zudem mit Freiwilligen an klinischen Studien mit
dem Impfstoff beteiligen. „Ich kann der Erste sein, an dem sie
experimentieren können“, bot Duterte an. Die Philippinen gehören zu den
Ländern mit den höchsten Fallzahlen in Asien.
Weltweit befinden sich nach Angaben der WHO von Ende Juli 167
Covid-19-Impfstoffprojekte in der Entwicklung, davon 28 in der klinischen
Erprobung am Menschen.
11 Aug 2020
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