# taz.de -- Streit zwischen Griechenland und der Türkei: Hoffen auf die Schweiz | |
> Im türkisch-griechischen Streit geht es um mehr als Öl unter dem Meer: | |
> Seit dem Ersten Weltkrieg sind die Verhältnisse im östlichen Mittelmeer | |
> ungeklärt. | |
Bild: Griechische Zyprer mit einer eroberten türkischen Flagge während Ausein… | |
Nein, das Vorgehen der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im | |
Streit um Schürfrechte an [1][Öl und Gas im Mittelmeer] ist nicht | |
akzeptabel. Militärische Drohgebärden zur Regelung territorialer | |
Streitfragen sollten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mindestens in | |
Europa passé sein. Im Ernst glaubt wohl auch [2][Erdoğan] nicht daran, | |
durch einen Krieg die Position der Türkei verbessern zu können. Zumal seine | |
aggressive Politik dazu geführt hat, dass Ankara unter den Anrainerstaaten | |
im östlichen Mittelmeer keine Verbündeten mehr hat – bis auf die schwache | |
libysche Regierung in Tripolis. | |
Doch sosehr die Figur Erdoğan dazu einlädt, dessen Ansprüche als illegitim | |
abzuschmettern – so eindeutig, wie der [3][griechische Premier Mitsotakis] | |
tut, ist die Geschichte auch wieder nicht. Denn es geht bei Weitem nicht | |
nur um Gas. Sondern darum, die seit dem Ersten Weltkrieg offenen Fragen und | |
Konflikte im östlichen Mittelmeer endlich zu klären. | |
Die dem aktuellen Streit zugrunde liegenden Konflikte um Zypern und die | |
Seerechte in der Ägäis sind sehr viel älter als die Herrschaft von Erdoğan | |
in Ankara. Sie haben Generationen türkischer und griechischer Politiker | |
beschäftigt, sie haben die beiden Länder zu einem Krieg in Zypern und | |
mehrfach an den Rand eines Kriegs in der Ägäis gebracht. | |
Im Kern gründen die Probleme in ungelösten Konflikten, die seit dem Ersten | |
Weltkrieg am gesamten östlichen Mittelmeer schwelen. Bekanntermaßen teilten | |
Briten und Franzosen 1916 im Sykes-Picot-Abkommen die arabischen Gebiete | |
des Osmanischen Reiches untereinander auf und etablierten dort Grenzen und | |
Staaten, die den Nahen Osten bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen. | |
Darüber hinaus blieb Zypern britische Kolonie, und Italien behielt die | |
Dodekanesinseln mit Rhodos als Hauptstadt, die es bereits 1912 im Krieg mit | |
dem Osmanischen Reich besetzt hatte. Dazu kamen der griechische Einmarsch | |
in die Türkei 1920 und der anschließende türkische Befreiungskrieg, der zum | |
Gründungsmythos der heutigen Republik Türkei wurde. | |
## Vakuum im östlichen Mittelmeer | |
Ohne allzu sehr in geschichtliche Details zu gehen: Genau wie Europa nach | |
dem Ersten Weltkrieg nicht wirklich befriedet war, was mit ein Grund für | |
den Aufstieg Hitlers war, genauso wenig waren die Verhältnisse rund um das | |
östliche Mittelmeer für die dort lebenden Menschen geklärt. Und anders als | |
in Europa im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wurde die Situation rund um | |
das östliche Mittelmeer bis heute nicht zufriedenstellend geregelt. | |
Zunächst prägten antikoloniale Kämpfe gegen Briten und Franzosen das Bild, | |
deren Hinterlassenschaft in Palästina, auf Zypern, aber auch im Irak, in | |
Syrien und im Libanon bis heute für Unruhe sorgt. Dann wurden der Nahe | |
Osten und das östliche Mittelmeer in die Zwangsjacke des Kalten Kriegs | |
gesteckt. | |
Die schwelenden Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland wurden | |
fortan in letzter Instanz vom großen Bruder in Washington geregelt. Das | |
ursprüngliche Vorhaben, das harte Programm der Nato durch das weiche | |
Konzept der EU zu ergänzen, scheiterte, weil die EU letztlich nicht willens | |
und in der Lage war, nach Griechenland auch noch die Türkei in das | |
europäische Bündnis zu integrieren. Seit auch die Bindungskraft der Nato | |
schwindet – und erst recht, seit US-Präsident Donald Trump den Nahen Osten | |
und Umgebung am liebsten ganz hinter sich lassen möchte –, ist im östlichen | |
Mittelmeer ein riesiges Vakuum entstanden. Griechenland steht jetzt als | |
EU-Mitglied einer isolierten Türkei gegenüber, die zwischen Moskau und | |
Washington hin und her taumelt und sich in einem neuen nationalistischen | |
Überschwang als Großmacht in der Region geriert. Griechenland dagegen | |
glaubt mit Deckung der EU, insbesondere Frankreichs, keinerlei Kompromisse | |
eingehen zu müssen. Das macht die Situation so gefährlich. | |
Die Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei haben eine juristische | |
und eine politische Dimension. Man kann sie nicht lösen, indem man sich | |
lediglich, wie die griechische Regierung es tut, auf seine vermeintlich | |
legitimen, vom UN-Seerecht angeblich gedeckten Positionen zurückzieht. | |
Erstens sind die Hoheitsrechte nicht ganz so eindeutig, und zweitens sind | |
juristische Lösungen immer nur dann möglich, wenn beide Seiten den | |
politischen Willen zur Einigung haben. Selbst Großbritannien und Frankreich | |
haben viele Jahre gebraucht, bis sie sich in einem Schiedsgerichtsverfahren | |
1977 auf ihre Hoheitsgebiete im Ärmelkanal geeinigt haben und das Problem | |
der britischen Kanalinseln, wenige Kilometer vor der französischen Küste, | |
lösen konnten. Dazu brauchte es viel guten Willen und unabhängige | |
Schiedsgerichte, deren Spruch dann auch alle Beteiligten akzeptieren | |
mussten. | |
Trotz Erdoğans Drohgebärden ist die Türkei selbst unter diesem Präsidenten | |
durchaus zu Verhandlungen bereit. Bei einem Besuch von Außenminister | |
Cavusoğlu in Bern am letzten Freitag hat nach Informationen der NZZ die | |
Schweiz angeboten, sich als neutrale Vermittlerin einzuschalten. | |
2009 vermittelte die Schweiz schon einmal erfolgreich zwischen der Türkei | |
und Armenien. Dass aus dem Abkommen dann nichts wurde, lag daran, dass | |
beide Parlamente es letztlich nicht ratifizierten. Auch am letzten Versuch, | |
für Zypern eine politische Lösung zu finden, war die Schweiz als Gastgeber | |
der Verhandlungsdelegationen beteiligt. Das Schweizer Außenministerium | |
denkt daran, in ein solches Vermittlungsverfahren neben der Türkei und | |
Griechenland auch Zypern einzubeziehen – sowohl die international | |
anerkannte griechisch-zypriotische Regierung als auch Vertreter der | |
türkischen Minderheit. | |
Es liegt an Griechenland, ob es zu Verhandlungen kommt oder ob die | |
griechische Regierung darauf setzt, bei einer weiteren Eskalation letztlich | |
als Siegerin vom Platz zu gehen. Bei dieser Entscheidung dürfte die EU eine | |
wichtige Rolle spielen. | |
21 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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