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# taz.de -- Angekündigte Neuwahlen im Libanon: Das System muss reformiert werd…
> Das Narrativ, der Libanon würde ohne die Aufteilung der Macht zerfallen,
> ist die Lebensader der Eliten. Tatsächlich muss genau dieses System
> enden.
Bild: Die Libanesen haben längst durschaut, wo das Problem liegt
Die Ankündigung möglicher Neuwahlen bedeutet [1][keinen politischen Wandel
im Libanon]. Ein neues Parlament und Kabinett allein würden nur die
Weiterführung des religiös-konfessionellen Systems bedeuten, bei dem eine
kleine Elite die Macht unter sich aufteilt. Dieses oligarchische System
müsste durch einen Staat ersetzt werden, dessen politische Führung das
Gemeinwohl im Blick hat.
Seit Jahren wird im Libanon über politische Reformen gesprochen: Die
nationale Elektrizitätsgesellschaft weist ein jährliches Defizit von fast
1,7 Milliarden Euro auf; die Staatsschulden betragen mehr als 80 Milliarden
Euro. Reformen des öffentlichen Sektors aber bringen die Parteien nicht
zustande, denn sie wären politischer Selbstmord.
Das Narrativ, der Libanon würde ohne die Aufteilung der politischen Macht
anhand sektiererischer Linien zerfallen, ist die Lebensader der
Machthabenden. Seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 30 Jahren ziehen
ehemalige Warlords die Strippen im Land. Statt einen kollektiven
Heilungsprozess anzustoßen, erließen sie eine kollektive Amnestie für
Kriegsverbrecher. Es fand keine Aufarbeitung statt, und die Erinnerungen an
Gewalt, Krieg und Märtyrer sind essenziell für die politisch-religiösen
Parteien und die Identitätsbildung innerhalb ihrer Community.
Seit 1990 hat die konfessionell-politische Elite die Ressourcen, Finanzen
und Institutionen des Staates genutzt, [2][um sich zu bereichern und in
kleineren Teilen an ihre Klientel zu verteilen]. Die wiederum hängt an
ihrem Tropf. Die Parteien versprechen Schutz vor den „anderen“
Konfessionen, schachern ihren Anhänger*innen Jobs zu oder bezahlen für
Wahlstimmen. Das System funktioniert, weil der Staat nicht funktioniert.
Weil es kaum Arbeitsplätze gibt, kein Nahverkehrssystem, keine öffentlichen
Plätze, kein sauberes Trinkwasser oder keinen durchgehend Strom. Der Staat
nimmt die Steuern, die über Korruption in den Taschen weniger landen. Und
so glauben einige noch immer daran, dass nur die politischen
Vertreter*innen ihrer Konfession ihnen beim Überleben helfen.
Wohl auch deshalb wurde der französische Präsident Macron am Donnerstag von
den Menschen auf der Straße bejubelt: Die Menschen wünschen sich
Politiker*innen, die für sie einstehen.
Aber auch Neuwahlen können diese Politiker*innen nicht hervorbringen. Sie
sind keine Bedrohung für die politischen Eliten. Eine Bedrohung sind die
Reformen, die nicht nur Macron, sondern auch der IWF bei Verhandlungen um
ein Rettungspaket fordern: Die Abwertung der Währung, Privatisierungen oder
ein ausgeglichener Haushalt würden den Eliten den Nährboden entziehen.
9 Aug 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Libanon
Beirut
Schwerpunkt Korruption
Hassan Diab
Kolumne Der rote Faden
Libanon
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