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# taz.de -- Proteste in Israel halten an: Wut als gemeinsamer Nenner
> Tausende haben erneut gegen die Netanjahu-Regierung demonstriert. Die
> Tötung eines Autisten wird zum Symbol für Besatzungspolitik und
> Polizeigewalt.
Bild: Jerusalem in der Nacht auf Sonntag, 2. August: Protest vor der Residenz N…
Tel Aviv taz | „Gerechtigkeit für Ijad“: Diese Forderung ist für Tausende
Demonstrant*innen, die bis tief in die Nacht auf Sonntag in Jerusalem
protestierten, zu einer zentralen Parole geworden. Auf Dutzenden Bannern
war das Gesicht des 32-jährigen Palästinensers Ijad al-Hallaq am Samstag zu
sehen. Ende Mai hatten israelische Polizisten den unbewaffneten
autistischen Mann in Jerusalem erschossen, als dieser sich aus Angst hinter
einer Mülltonne versteckte.
Unter propalästinensischen Aktivist*innen hatte die Tat Proteste gegen
Polizeigewalt als zentrales Instrument der israelischen Besatzungspolitik
ausgelöst; viele Israelis aber hatten bis vor Kurzem noch nie von Hallaq
gehört. Doch seit Ausbruch von landesweiten Protesten gegen Korruption
unter der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu, die schwache
Wirtschaftslage und den Umgang mit der Coronakrise kennt fast jeder den
Namen Ijad al-Hallaq.
In den vergangenen Wochen haben Polizeigewalt gegen Demonstrant*innen sowie
Hetze vonseiten Netanjahus, der seine KritikerInnen verächtlich als „linke
Anarchisten“ und „Bolschewisten“ beschimpfte, offenbar als Katalysator
gewirkt. [1][Immer mehr Menschen gehen auf die Straße].
Schätzungen zufolge versammelten sich am Samstag mindestens 10.000 Personen
nahe der offiziellen Residenz von Netanjahu in der Hauptstadt Jerusalem.
Versammlungen gab es auch in Tel Aviv sowie an Dutzenden Straßenkreuzungen
in ganz Israel. Zwölf Personen wurden Medienberichten zufolge festgenommen.
## „Links“ ist kein Schimpfwort mehr
Mittlerweile stimmen selbst Menschen, die sich selbst nicht als links
identifizieren und bis zu den jüngsten Protesten noch nicht von Hallaqs Tod
gehört hatten, in den Chorus von „Gerechtigkeit für Ijad!“ ein. Die Wut
darüber, als „Linker“ gebrandmarkt zu werden, führt offenbar dazu, dass
„links“ plötzlich nicht mehr als Schimpfwort empfunden wird.
„Wenn Netanjahu denkt, das seien linke Anarchisten, dann werden die Leute
eben zu welchen“, erklärt Achiya Schatz, ein Demonstrant, der sich seit
Jahren gegen die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen
Gebieten einsetzt. „Diese Proteste sind anders als alles, was wir in den
vergangenen Jahren erlebt haben“, sagt er. „Die alte Leier der
Politiker*innen zieht nicht mehr. Die Menschen werden mobilisiert und
radikalisiert, und plötzlich ist es auch in Ordnung, über Ijad und die
Besatzung zu sprechen.“
Dass Ijads Tod zu einem Symbol für Besatzungspolitik und Polizeigewalt
geworden ist, ist bemerkenswert. Im öffentlichen Diskurs sowie in vielen
israelischen Medien werden linke Stimmen oft marginalisiert. Nur wenige
sprechen offen über die Besatzung der palästinensischen Gebiete. Links sein
gilt als radikal.
Auch während der [2][Proteste im Jahr 2011], als Hunderttausende im Land
für Gerechtigkeit und faire Lebensmittelpreise auf die Straße gingen,
wollte man weitgehend „apolitisch“ bleiben. Der Elefant im Raum, die
Besatzung, wurde totgeschwiegen, um ein breiteres Publikum zu erreichen.
## Alte Spaltung wird neu ausgehandelt
Zwar gehen auch heute die meisten Protestierenden gegen Korruption auf die
Straße und nicht gegen die Besatzungspolitik, doch die Akzeptanz, die linke
Demonstrant*innen neuerdings erfahren, ist beispiellos.
Die Wut auf den Regierungschef und die gesamte politische Elite – ob
Netanjahus Likud oder die Arbeiterpartei – fungiert als gemeinsamer Nenner,
der Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten vereint und ein
Miteinander trotz politischer Unterschiede ermöglicht. Die alteingesessene
Spaltung zwischen links und rechts wird auf den Straßen in diesen Tagen neu
ausgehandelt.
Die Proteste in Israel kulminieren zu einem Zeitpunkt, zu dem mit teils
mehr als 2.000 gemeldeten Coronaneuinfektionen pro Tag neue
Höchstwerte erreicht worden sind. Erst in den vergangenen Tagen war die
Kurve leicht abgeflaut.
2 Aug 2020
## LINKS
[1] /Proteste-gegen-Netanjahu-in-Israel/!5699479
[2] /Kommentar-Israel-nach-den-Sozialprotesten/!5105933
## AUTOREN
Marina Klimchuk
## TAGS
Israel
Benjamin Netanjahu
Protest
Israel
Libanon
Schwerpunkt Coronavirus
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