| # taz.de -- Sammelleidenschaft für Unterstände: Pilze mit Persönlichkeit | |
| > Berlin ist ein echter Hotspot der Wetterpilzkultur, weiß Klaus Herda. Auf | |
| > Pilzsuche mit dem Mann aus Köln, der das Wetterpilzsammeln erfunden hat. | |
| Bild: Wetterpilz und Wetterpilzexperte: Klaus Herda im Lehnepark in Berlin Temp… | |
| Berlin taz | Berlins Parks sind zuletzt als Hotspots des illegalen | |
| Partywesens in die Schlagzeilen gekommen. Jüngst trieb der Feiernotstand | |
| [1][Tausende in die Hasenheide], um sich ein wenig an Beats und sonst was | |
| zu berauschen. Vielleicht ja auch an Pilzen. Klaus Herda aus Köln weilte am | |
| Wochenende ebenfalls in Berlin. Die Party interessierte ihn nicht, Parks | |
| und Pilze schon. Der Mittfünfziger ist Liebhaber von Wetterpilzen, die | |
| unter anderem in Berliner Grünanlagen stehen. Er betreibt sogar [2][eine | |
| Website], die sich den „surrealen Bauwerken“ als weithin unbekanntes | |
| Phänomen, und auch als Kulturgut, widmet. | |
| „Berlin ist ein echter Hotspot der Wetterpilzkultur, eindeutig“, sagt Klaus | |
| Herda, und man kommt aus dem Staunen nun erst recht nicht raus. Wetterpilz? | |
| Hotspot? Dass Berlin ein Biotop für alle möglichen Groß- und | |
| Kleinstkulturen ist, für Freaks und schräge Vögel, ist ja hinlänglich | |
| bekannt. Aber Berlin ein spezielles Wetterpilzbiotop? Das verlangt dann | |
| doch nach Aufklärung. | |
| Wetterpilze, erklärt Klaus Herda im Schatten eines solchen Exemplars im | |
| Lehnepark in Tempelhof, könnte man auch als Wetterschutzpilze bezeichnen | |
| oder, wie in Berlin üblich, schlicht als Pilz. Ganz fantasielos könnte man | |
| auch Unterstand sagen, denn dazu sind die Pilze gedacht. Sie sollen | |
| Flaneuren, Wanderern und anderen unterwegs befindlichen Menschen simplen | |
| Schutz vor Sturm und Regen bieten. Oder auch zum Pläuschen einladen, sofern | |
| der Pilzstamm vielleicht von einer kleinen Bank umrundet ist, wie im | |
| Lehnepark. | |
| „Wetterpilz ist ein tradierter Begriff aus meiner Heimat Köln, der gut | |
| seine Bestimmung klassifiziert. Außerdem fand ich keinen Begriff amtlicher | |
| Art“, sagt Klaus Herda. Dass es nicht mal einen amtlichen Begriff für das | |
| gibt, was der Mittfünfziger seine Leidenschaft nennt, ist ein weiterer | |
| Anhaltspunkt für die Exklusivität des Hobbys. | |
| Tatsächlich sind es nur 20 bis 30 Leute im Lande, die regelmäßig den | |
| angeblich bizarrsten architektonischen Kunstwerken in unseren Natur- und | |
| Kulturlandschaften auf der Spur sind. Dagegen sind die sogenannten | |
| Groundhopper, die sich zu [3][abgelegenen Fußballstadien in aller Welt] | |
| aufmachen, eine Großcommunity. In den Stadien gibt es immerhin auch ein | |
| Fußballspiel zu sehen. | |
| Aber was machte den Wetterpilz so spannend, dass sich eine eigene | |
| Fanbewegung entwickelte? Zunächst mal nichts, denn dem Gründer dieser | |
| Bewegung waren sie eher beiläufig aufgefallen, als er durch die Parks in | |
| seiner Heimatstadt Köln joggte. Dort standen lauter Wetterpilze aus | |
| verwittertem Nacktbeton, was den gelernten Chemiker und heutigen EDV-Mann | |
| zur Frage trieb: Warum wurde je so etwas Hässliches gebaut? | |
| Er recherchierte und fand heraus, dass man in Köln nach dem Krieg etliche | |
| Wetterpilze aus Holz neben den Trümmerbergen aufgestellt hatte, die aber | |
| irgendwann abgefackelt wurden. Um die Parkanlagen ein wenig aufzuhübschen, | |
| wurden in den sechziger und siebziger Jahren fast 30 neue Wetterpilze in | |
| Fertigbauweise errichtet. Eine Absurdität für Klaus Herda, der fortan die | |
| Geschichte und ästhetische Vielfalt des Wetterpilzes genauer erforschte. | |
| Dabei muss das Herz des früheren Chemikers berührt worden sein. „In der | |
| Chemie geht’s ja um Moleküle, Strukturen und Symmetrien“, so Herda. „Für | |
| mich ist der Wetterpilz ein natürliches Kulturelement in der | |
| Naturlandschaft mit einer besonderen Symmetrie. Die meisten Wetterpilze | |
| haben ein sechs- oder achteckiges Dach, aber es gibt auch welche mit total | |
| runden, kaum sichtbaren Ecken.“ | |
| Bei dem Pilz im Lehnepark finde er besonders schön zudem die Stahllamellen | |
| zur Stabilisierung der Unterkonstruktion. „Das gibt es nirgendwo sonst. | |
| Dieser Pilz ist ein echtes Unikat.“ Selbst die Schmierereien am inneren | |
| Metallhut würden ihn nicht stören. So sei halt die Natur, die menschliche | |
| Natur. „Manchmal entdecke ich auch Kritzeleien aus früheren Zeiten, | |
| Liebesschwüre oder Sprüche, die heute altmodisch klingen. Diese Details | |
| machen die Individualität aus. Der Reiz des Pilzes lebt aber auch von | |
| seiner Umgebung.“ Diese Parkanlage hier mit Teich und dem Pilz als kleinem | |
| Aussichtspunkt, so Herda, das habe schon fast was Feierliches. | |
| „Jeder Pilz hat irgendwie eine eigene Persönlichkeit“, pflichtet ihm Ralf | |
| Roschinski bei, der zum Gespräch dazugestoßen ist. Er sei einer der | |
| eifrigen Berliner Pilzsammler, stellt Klaus Herda den Rentner aus | |
| Lichtenrade vor. Herr Roschinski ist eigentlich Geocasher, ein | |
| GPS-Schnitzeljäger. Bei diesem Tun hat er in den letzten Jahren auch ein | |
| paar Pilze entdeckt und sie Klaus Herda für seine Website gemeldet. Auf der | |
| sind bis jetzt über 700 Exemplare in Deutschland verzeichnet und auch | |
| etliche rund um die Welt. | |
| Klaus Herda hat die Wetterpilzbeobachtung, seit er sie 2009 als | |
| ambitioniertes Freizeitvergnügen etablierte, inzwischen globalisiert. Er | |
| tauscht sich aus mit Gleichgesinnten in Holland und schreibt auch mal | |
| Heimatvereine in Polen oder Tschechien an, um mehr zu erfahren über die | |
| Wetterpilze, die ihm die Finder (oft sogenannte Mapper vom freien | |
| Geodatenprojekt Open Street Map) von dort meldeten. | |
| Zuweilen nimmt das Entdecken skurrile Formen an. Manche Mitstreiter geben | |
| ihm Bescheid, wenn im Fernsehen etwa in einer „Tatort“-Folge zufällig ein | |
| Wetterpilz ins Bild gerät. Klaus Herda überlegt dann, ob er vom Sender | |
| einen Screenshot erbittet. Er ist auch davon überzeugt, dass irgendwann | |
| noch mal ein großer Pilz in einem Kinofilm inszeniert wird. „Die Zeit | |
| schreit danach, weil es etwas Originelles ist. Wo findet man das noch?“ | |
| Neben Köln vor allem in München, Dortmund, Münsterland und eben Berlin. | |
| 2012 hat der Rheinländer ein paar Expeditionen durch Deutschland | |
| unternommen und überall Pilze besucht, vermessen und fotografiert. Seither | |
| kennt er auch Berlin als eines der interessantesten Pilzgebiete, | |
| „stilistisch sehr heterogen“. In der Gartenstadt Frohnau stünden zum | |
| Beispiel zwei Riesenwetterpilze, darunter der größte der Welt, entworfen | |
| vor über hundert Jahren vom Architekten Carl Stahl-Urach. Der Standort | |
| heiße sogar Am Pilzplatz. | |
| Tolle Exemplare gebe es auch am Jungfernheideteich und am Tegeler | |
| Flughafensee. Letzteres begeistert den Kölner nicht nur durch die | |
| exponierte Lage auf einem Steg, sondern durch die ziehharmonikaartige | |
| Formung des Dachs und eine Magie der Symmetrie. „Einmalig!“ | |
| Die poetischste Beschreibung der Anmut eines Wetterpilzes findet sich auf | |
| der Website von Klaus Herda: „Zwei Elemente, ein Stamm/ eine Säule und ein | |
| Dach/ ein Hut, beide an sich unspektakulär, sind im Pilz tänzerisch | |
| vereint.“ Passenderweise ergänzt von Gedichten, zu denen sich einige | |
| Pilzfreunde inspiriert fühlten. Skurriles erfährt man zudem über die | |
| Ursprünge des Wetterpilzes, die in die europäische Gartenkunst des 18. | |
| Jahrhunderts zurückreichen und im Kontext stehen mit den damaligen | |
| Entdeckerreisen in die Südsee unter anderem von James Cook. Die Adligen | |
| haben sich praktisch Kopien von exotischen Strandunterständen mit | |
| Strohdächern in ihre Schlossgärten bauen lassen. Nachgestaltetes | |
| Südseeinselflair, das sich 1795 in einem „otahitischen Schirmdach“ im | |
| Englischen Garten in München zeigte. Es gilt als ältester Beleg eines | |
| Wetterpilzes. | |
| Voller Bewunderung ist Klaus Herda auch für den „Chinesischen Parasol“ im | |
| Neuen Garten von Potsdam, dieser Replik des historischen Paradiesvogels | |
| unter den Wetterpilzen mit palmettenartig verziertem Stamm und einer Spitze | |
| mit einer Ananasfrucht. Zusammen mit seiner Frau hat der Kölner das | |
| Berlin-Wochenende genutzt, auch diesem „Urwetterpilz“ einen Besuch | |
| abzustatten. | |
| Man kann die ausgefallene Liebhaberei schräg finden, aber Klaus Herda ficht | |
| das nicht an. Er genießt seine eigene Entdeckerfreude sowie die imaginäre | |
| und reale Verbundenheit mit Gleichgesinnten. Denn, so schreibt er auf | |
| seiner Website: „Wetterpilze als Objekte eines globalen Stilprinzips sind | |
| ein weltweites Gesamtkunstwerk des Friedens und der demütigen Begeisterung | |
| für das Schöne auf der Welt.“ | |
| Deshalb träumt er von einer interkulturellen Zusammenkunft mit | |
| Wetterpilzbegeisterten rund um den Globus. Von Kunstprojekten wie „Guerilla | |
| Knitting“ (Stricken als Street Art), von Wetterpilzläufen und einem großen | |
| Wetterpilz-Bildband. | |
| Eine Ausstellung gab es immerhin schon – in Köln, der | |
| Wetterpilzkulturhauptstadt. | |
| 31 Jul 2020 | |
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| [2] http://www.wetterpilze.de/ | |
| [3] /Keine-Lust-auf-Fussball/!5308899 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Leue | |
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