# taz.de -- ARD-Doku über KZ-Aufseherin: Nie mehr angeklagt | |
> Vor mehr als 40 Jahren starb die KZ-Oberaufseherin Johanna Langefeld. | |
> Ihre früheren Opfer zeigen in diesem Film eine erstaunliche Sicht auf | |
> sie. | |
Bild: Zeitzeugin Zofia Osiczko erzählt aus ihrer Vergangenheit | |
Nun hat gerade in der vergangenen Woche das Hamburger Landgericht den heute | |
93-jährigen ehemaligen [1][Wachmann im KZ Stutthof, Bruno D.], zu zwei | |
Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Mehrzahl derer, die in | |
den Konzentrationslagern schuldig geworden sind, wird nicht verurteilt | |
werden, weil sie alle längst verstorben sind. | |
Die Dokumentarfilmerin Gerburg Rohde-Dahl hält Curt Becker, ehemaliger | |
Staatsanwalt, Ermittler zum KZ Ravensbrück in den Jahren 1963 bis 1972, ein | |
Dokument vor, aus dem die Einstellung der Ermittlungen gegen 209 | |
Diensthabende aus Auschwitz hervorgeht. „… weil man ihre Personalien nicht | |
finden konnte.“ – „Ich folgere daraus, dass man zu der Zeit hier in | |
Deutschland kein großes Interesse hatte an der Verfolgung von diesen | |
Tätern“, sagt sie. „Also, das ist ein zu pauschales Urteil. So würde ich�… | |
nicht sehen“, sagt er. | |
Eine, die auch nie verurteilt wurde, ist Johanna Langefeld, über die der | |
Historiker Johannes Schwartz berichtet, sie sei „die erste Oberaufseherin | |
überhaupt in drei Frauenkonzentrationslagern“ gewesen. „Sie hat die | |
Geschichte der Frauenkonzentrationslager auch über den längsten Zeitraum | |
geprägt“, sagt Schwartz, „und hat diese Frauenkonzentrationslager auch | |
nach ihren Vorstellungen mitgestaltet.“ Über die andere Oberaufseherin von | |
Ravensbrück und Auschwitz, die 1948 in Krakau gehängte Maria Mandl, ist | |
2014 bereits der Dokumentarfilm „Pechmarie“ entstanden. Nun haben sich | |
Rohde-Dahl und ihr polnischer Kollege Władek Jurkow also Johanna Langefeld | |
vorgenommen. | |
Auch sie sollte in Krakau vor Gericht gestellt werden, floh aber im | |
Dezember 1946. Und zwar halfen ihr – und das ist der Punkt, der Hammer – | |
ehemalige polnische Gefangene aus Ravensbrück in einer konspirativen Aktion | |
zur Flucht. Versteckten sie elf Jahre lang in Polen, bis sie zurückkonnte | |
nach Deutschland, wo sie ihrer früheren Sekretärin in Ravensbrück, | |
Margarete Buber-Neumann, anvertraut haben soll, dass sie für ihre Taten im | |
Gefängnis büßen wolle, zwei Jahre lang. Ob das das Maß ist für KZ-Täter? | |
## Von den Opfern geschützt | |
Im Falle von Bruno D. lassen sich die zwei Jahre wohl damit erklären, dass | |
dies die maximale Strafe ist, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden | |
kann. Buber-Neumann hat unter das maschinengeschriebene Manuskript zu ihrem | |
Langefeld-Porträt (veröffentlicht im Buch „Die erloschene Flamme“) von Ha… | |
notiert, mit Bleistift: „Und wurde hier nie mehr angeklagt!“ Wie so | |
viele.große | |
Nicht dass die überzeugte Nationalsozialistin und Antisemitin davongekommen | |
und zeitlebens (1900–1974) nie bestraft wurde, macht den Fall Johanna | |
Langefeld so besonders, sondern dass sie ausgerechnet von ihren Opfern vor | |
der wahrscheinlichen Todesstrafe bewahrt wurde: „Ich stelle mir bis heute | |
die Frage, warum“, formuliert die polnische Historikerin Barbara Oratowska | |
die Frage, die auch dem Film zugrunde liegt. Der ist keine Dokumentation, | |
sondern ein [2][Dokumentarfilm], der auf einen einordnenden, alles | |
erklärenden Off-Kommentar verzichtet. | |
Von einem behutsam inszenierten „Epilog“ abgesehen, gibt es nur Interviews | |
– teilweise solche, die die Filmemacherin Loretta Walz schon in den 1990er | |
Jahren geführt hat. „Nur fünf Personen wussten davon. Die letzte ist vor | |
zwei Jahren gestorben“, sagt die ehemalige Gefangene Stanisławą Osiczko | |
über die Befreiungsaktion. In weniger als zehn Jahren wird es keine | |
Zeitzeugen mehr geben, weder Täter noch Opfer. | |
Also: Warum? Warum nur haben ihre ehemaligen KZ-Gefangenen der | |
Oberaufseherin Langefeld das Leben gerettet und die Freiheit geschenkt? | |
Rohde-Dahl und Jurkow breiten in aller Ausführlichkeit die furchtbaren | |
Bedingungen in Ravensbrück aus, das wie Stutthof, und anders als Auschwitz | |
(Birkenau), kein Vernichtungslager war. Sie waren nichtsdestoweniger | |
entsetzlich. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die einzige Heldentat der | |
Johanna Langefeld die war, ein bisschen weniger furchtbar gewesen zu sein | |
als die meisten anderen Aufseherinnen. Eine der Erzählungen über sie geht | |
so, dass sie einige Hebel in Bewegung gesetzt haben soll, um ein Mädchen | |
vor der bereits befohlenen Erschießung zu bewahren. Bei der Mutter des | |
Mädchens hat sie es gar nicht erst versucht. | |
In einer früheren Version dieses Beitrags wurde die abgebildete Frau als | |
Johanna Langefeld identifiziert. Das ist falsch. Es handelt sich um die | |
Zeitzeugin Zofia Osiczko. | |
29 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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