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# taz.de -- Geschlossene Schlachthöfe: Was passiert mit den Tieren?
> Tierschützer befürchten, dass Küken wegen Corona getötet werden. Denn
> wenn Schlachthöfe dicht machen müssen, entsteht ein Rückstau.
Bild: Zwei Wochen alte Puten: Für die Fleischindustrie nur Teil der Lieferkette
Hamburg taz | Der Betrieb im Wiesenhof-Schlachthof im niedersächsischen
Wildeshausen ruht [1][seit dort vor zwei Wochen das Coronavirus
ausgebrochen ist]. Sonst werden dort jeden Tag rund 40.000 Tiere
geschlachtet und verarbeitet. Das Problem: Auch wenn nicht geschlachtet
wird, sind die Tiere da – es entsteht ein Puten-Rückstau.
Tierschützer*innen befürchten, dass am Ende der Produktionskette, also bei
der Kükenzucht, die überzähligen Tiere getötet werden – auch wenn das
illegal ist. Selbst aus der PHW-Gruppe, zu der der Wiesenhof-Schlachthof
mehrheitlich gehört, und aus dem niedersächsischen
Geflügelwirtschaftsverband sind solche Bedenken zu hören.
Die Tiere werden „on time“, wie es in der Branche heißt, von den Dutzenden
Mastbetrieben aus dem nahen und fernen Umland geliefert: ausladen,
schlachten, verarbeiten ohne Zeitverlust. Als das Virus ausbrach, bat der
Wiesenhof- Schlachthof hastig um Sondergenehmigungen, die Puten in anderen
Schlachtereien in Niedersachsen schlachten zu dürfen.
Bei den Zuliefererbetrieben sorgt die Stilllegung des
Wiesenhof-Schlachthofes trotzdem für Probleme, weil es in den Ställen eng
wird: Um wirtschaftlich zu arbeiten, sind die Mastbetriebe auf die
regelmäßige Abnahme der Tiere durch Schlachthöfe angewiesen. Zusätzlichen
Platz für solche Ausnahmesituationen gibt es offenbar nicht.
„Die Situation zeigt aufs Deutlichste, wie durch und durch krank das System
Tierproduktion ist“, kritisiert eine Sprecherin des Vereins Animal Rights
Watch (Ariwa). Käme es zur Tötung von Tieren aus wirtschaftlichen Gründen,
wäre das rechtswidrig, sagt sie.
Und der Rückstau geht noch weiter. „Können die Küken nicht eingestallt
werden, ist absehbar, dass sie in den Brütereien und Aufzuchtbetrieben
getötet werden“, sagt die Ariwa-Sprecherin. Am Ende sei schließlich die
gesamte Kette betroffen: Stockt es vorne, stockt es auch hinten. „Wir
sprechen hier potenziell von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Tieren
allein in Niedersachsen“, so die Sprecherin.
Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, bestätigt der
niedersächsische Geflügelwirtschaftsverband. „Man könnte das vermuten“,
sagt auch dessen Vorsitzender Friedrich-Otto Ripke. Bislang habe er
allerdings noch von keinen Problemen bei den Zuchtbetrieben gehört.
Stattdessen sei ein Großteil der schlachtreifen Puten von anderen
Schlachtereien abgenommen worden, erklärt Ripke. Und somit gebe es auch
wieder etwas mehr Platz in den Mastbetrieben. In Deutschland gibt es nur
vier Schlachthöfe für Puten. Neben einem Betrieb bei München gibt es noch
drei Betriebe im westlichen Niedersachsen.
„Notkeulungen der schlachtreifen Puten konnten wir durch die
Nachbarschaftshilfe der anderen Schlachthöfe vermeiden“, sagt Ripke. Diese
gegenseitige Hilfe sei auch ein Ergebnis des letzten Ausbruchs der
Vogelgrippe. Es mussten Tiere getötet werden, notgekeult, so der
Fachbegriff. Und daraufhin habe man einen Notfallplan ausgearbeitet. Lange
Zeit könne der in der aktuellen Krisensituation aber nicht mehr
aufrechterhalten werden. „In ein bis zwei Wochen kommt es zu einem
Engpass“, sagt Ripke.
Ob einzelne Zuchtbetriebe schon jetzt in einen Engpass geraten sind, ist
unklar. Denn viele der Brütereien wollen sich dazu nicht äußern. Einzig
eine der größten Brütereien des Landes, das Kartzfehn-Unternehmen aus dem
Cloppenburger Land, spricht von kleineren Problemen. Dramatisch sei das
aber alles nicht. Man kenne solche Probleme schon vom Ausbruch der
Vogelgrippe. „Einige kurzfristige Probleme haben wir gelöst und sind darin
auch gut erprobt“, sagt Kartzfehn-Sprecher Thorsten Mahlstedt.
## Vogelgrippe als schlimme Vorerfahrung
Gerade der letzte Ausbruch der Vogelgrippe aber ist es, der die
Tierschützer*innen von Ariwa das Schlimmste erwarten lässt. „Wir haben auch
schon bei der Vogelgrippe gesehen: Es werden gesunde Tiere gekeult“, sagt
die Sprecherin. So war beispielsweise in einem Putenzuchtbetrieb in Dornum,
im Landkreis Aurich, erst im März die Vogelgrippe ausgebrochen. Alle rund
10.000 Puten wurden gekeult. „Auch 2017 wurden Tausende gesunde Puten-Küken
getötet, weil sie wegen eines Vogelgrippe-Ausbruchs nicht zu den
Mastanlagen geliefert werden konnten“, sagt die Ariwa-Sprecherin.
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium sagt dazu, dass im
aktuellen Wiesenhof-Fall die anderweitige Unterbringung überzähliger Tiere
geklärt worden sei. „Auch die Kükenaufzucht wurde abgestimmt“, sagt
Sprecherin Sabine Hildebrandt. Das Ministerium habe bislang keine Kenntnis
darüber, dass es schon zu Verstößen gegen Tierschutzvorschriften gekommen
sei, sagt Hildebrand. „Davon sind dem Ministerium keine mitgeteilt worden.“
Im Wiesenhof-Schlachtbetrieb in Wildeshausen waren vor zwei Wochen die
ersten Fälle von mit Corona infizierten Mitarbeiter*innen bekannt geworden.
Bislang sind 46 Personen infiziert. Auch bei Kindern von Mitarbeiter*innen
wurde das Virus festgestellt. Voraussichtlich zum Ende der Woche soll der
Schlachthof-Betrieb mit den mehr als 1.100 Angestellten aber wieder
anlaufen.
8 Jul 2020
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[1] /Infektionen-in-Schlachthof-bei-Oldenburg/!5696902
## AUTOREN
André Zuschlag
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