Introduction
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# taz.de -- Regisseurin über Rassismus: Ich möchte keine Dereks mehr sehen
> Wir müssen mit denen reden, die man hassen sollte. Es ist die einzige
> Möglichkeit, das Leiden hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken.
Bild: Verstehen und dann anpacken
Ich mach was, weil ich viel erlebt hab, vor allem mit Hass. Mein Kopf hing
mal in den Händen eines Rassisten. Der hat mich an der Gurgel nach oben
gezogen. Das war in einer Straßenbahn, in Kassel, da war ich 20. Hab ’nen
kleinen Job gemacht und Gäste befragt. Aber der, der war voller Hass und
hat mich gewürgt, von einer Haltestelle zur nächsten. Als Taxifahrerin in
Berlin, es war zur Wendezeit, hat einer meinen Kopf auf ein Taxidach
geknallt, bum, bum, bis ich mich nach sechs Schlägen seinen heftigen
Pranken entziehen konnte und floh.
Noch ein anderer hat mit seiner Wumme auf meine Stirn gezielt. Na, und die
Morddrohungen, die ich übers Netz heute noch bekomme. Ich könnte wirklich
sagen, mir reicht’s aber jetzt! Mir reicht’s, und jetzt bin ich diejenige,
die hetzt! Aber irgendwie kann ich das nicht. Ich frag mich: Warum gibt es
in diesem Thema keine Menschlichkeit? Zusammenhalten und Glaubwürdigkeit.
Liebe und Vertrauen. Ruhe, und aus.
Und in den USA sieht das Ganze oft so aus, zum Beispiel vielleicht so: Es
ist 8 Uhr morgens, Minneapolis, im Norden der USA. Der Afroamerikaner
George Floyd wacht mit leichten Kopfschmerzen auf. Ist kaum noch Geld da.
Corona hat’s geschluckt. Eine Vorahnung sticht ihn in den Bauch. Zur selben
Zeit, auch kein schönes Viertel, steht Police-Officer Derek Chauvin vor dem
Spiegel. Er spuckt ihn an, um einen Fleck vor dem rechten Auge wegzuputzen.
Klappt nicht. Beide Männer ahnen noch nichts.
Brother Derek wird Brother George am Abend bei einem Polizeieinsatz brutal
das Leben stehlen. Ich nenn die beiden jetzt „Brother“, das hab ich von
Cornel West, afroamerikanischer Professor in Princeton, geklaut. Mit
„Brother“ sind für mich alle Menschen gleich. Oder sind sie es etwa nicht?
Ist ein Mörder ein Brother oder ein Vieh? Was sagst du denn dazu?
Für die Gleichheit gehen wir weltweit auf die Straße. In jeder Couleur. In
Paris, New York, Berlin. Unsere #BlackLivesMatter-Plakate sind beschmiert
vom Blut der Zeit. Dann haben wir, in Washington, D.C., einen Black Lives
Matter Plaza bekommen, das ist ein schönes Zeichen, leckt die
jahrhundertealten Wunden und tritt Brother Trump zugleich in den … Am Ende
wird die Zeit verstreichen, die Dramen wiederholen sich. Die Namen werden
andere sein. Andere Umstände, eine andere Stadt, die gleiche Pein.
## Der 1. Mai
Nun – was kann ich tun, dass so etwas nicht nochmal passiert? Berlin,
Deutschland, 1. Mai, jetzt bin ich dran. Ich laufe eine kleine Straße
entlang. Ich bin Studentin, ist schon ’ne Weile her. In ungefähr einem
Kilometer Entfernung tobt der Mob. Demonstranten und Polizisten stehen sich
gegenüber. Demonstranten essen Currywurst, vermummen sich für den Fall und
zelebrieren gemeinsam den Tag der Arbeit. Polizisten bilden einen Block aus
Menschen und Gerät, man weiß ja nie, ob aus der Party ein Krieg wird.
Ich bin Mo, afrodeutsch, weiblich, die Haare nicht geglättet, warum auch.
Ich möchte mir ein schönes Café suchen, irgendwo am Wasser, am
Paul-Lincke-Ufer. Die Demo hör ich nicht, ist zu weit weg. Ich sehe aber
eine Polizeiwanne. Das vollbesetzte Polizeifahrzeug hat die Schiebetür
geöffnet. Es fährt in die entgegengesetzte Richtung der Einbahnstraße. Die
scannen die Straße ab. Ihr Racial-Profiling-Programm hat ihnen
möglicherweise signalisiert, Wuschelkopf und black, da ist der Feind, denn
plötzlich springen die Polizisten aus dem noch fahrenden Fahrzeug und
rennen in ihren martialisch aussehenden Uniformen auf mich zu.
Mein Ur-Instinkt wird aktiviert. Flucht. Ich renne. Renne vor ihnen weg,
obwohl ich nichts getan habe. Hautfarbe? Ich wollte doch nur nach ’nem Cafe
suchen. Nach hundert Metern stolpere ich und falle. Dann passiert’s, was
ich von der Polizei niemals erwartet hätte, denn Polizei ist ja zu meinem
Schutze da. Noch bin ich ganz naiv. Fünf Polizisten treten mich brutal
zusammen. Und lassen mich liegen. Allein.
Rassistische Polizeigewalt, heute diskutieren wir viel drüber. Das reicht
nicht, Herr Seehofer. Ich habe damals nicht darüber nachgedacht, eine
Anzeige zu machen. Aus heutiger Sicht schon krass. Ich dachte, bin ja
schwarz, und das ist normal. Ich blicke noch mal nach Minneapolis, USA.
Vielleicht kann mir der Fall noch was verraten. Was ich aus meiner eigenen
Erfahrung mit Rassisten weiß: Derek ist sicher aus vielen Gründen an diesen
Punkt gekommen, an dem er in einer fast sadistischen Brutalität seinen
Körper als Waffe gegen George einsetzt. Erinnert mich an damals bei mir,
denn das hätte schlimmer ausgehen können.
## Die Parallelen
Es scheint mir so, als spielte Derek eine Szene aus dem
„Smithsonian“-Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur nach, das
Barack Obama in Washington 2018, ganz stolz in die Zukunft blickend,
eröffnete. Da sieht man in einer der Keller-Etagen, wo die
Ausstellungsreise beginnt, wie eine Sklavenpatrouille Anfang des 18.
Jahrhunderts Afroamerikaner zu Boden drückt. Sklavenpatrouillen? Die kann
man getrost als die genuinen Vorgänger der heutigen US-amerikanischen
Polizei betrachten. Und wenn man sieht, was in den USA tagtäglich an
Polizeigewalt passiert, dann weiß man, aufgearbeitet hat das wohl keiner.
Gibt’s da ’ne Parallele zu uns? Gestapo, NS und so? Das wüsst ich gern.
Schätzte Derek deshalb Afroamerikaner wie George möglicherweise eher als
Kriminelle ein? Weil das schon immer so war? Weil Schwarze für die meisten
seiner Ahnen-Polizei „Kriminelle“ sind? Wo man hinschlagen soll? Oder
stützt er sich auf die Bürgerwehren, die, nachdem die Patrouillen nach dem
amerikanischen Bürgerkrieg aufgelöst wurden, in gleicher Funktion, nur mit
Mütze, die Gewalt gegen Schwarze weiter ausbauten? Der Ku-Klux-Klan, den
auch Brother Trump nicht von der Bettkante stoßen würde, agiert, wie Derek
es an dem Tag tat, und ganz sicher auch in den vielen Jahren davor. Und das
ganz heimlich. Es gibt so viele Ursachen, warum Derek an diesem Abend
seinem Mitbürger George 8 Minuten und 46 Sekunden lang die Luft abdrückt.
Was mich angeht, ich möchte es einfach nur verstehen. Verstehen und dann
anpacken. Empathisch, versteht sich. Oder soll ich das nicht und lieber nur
schreien? Ach, ich bin müde. Gedanklich schmeißt mich der Rassistenschlag
einmal wieder nach Virginia, an die Grenze zu North Carolina; es ist fast
Mitternacht. Ab Minute 70 in meinem Dokumentarfilm „Die Arier“: Ich warte
auf den Ku-Klux-Klan. Eine Tankstellenfrau sagt, die Klan-Männer haben den
ganzen Tag über Alkohol eingekauft und ob sie uns eine Rifle, ein strammes
Maschinengewehr, borgen soll. So was habe ich noch nie in den Händen
gehabt, ich lehne ab. Vielleicht hätte ich doch zugreifen sollen.
Schon seltsam, der Mord an Brother George lässt meine Erlebnisse mit dem
Klan noch einmal so richtig aufflammen. Und jetzt weiß ich erst, da habe
ich viel gelernt. Ein turn. Ich versuche den Klanleuten auf ihren
Anrufbeantworter zu sprechen. Eine Stimme sagt: „Weiße Brüder und
Schwestern: Hier ist der ‚Loyal White Knights of the Ku-Klux-Klan‘, der
aktivste Klan in den USA. Möchten Sie Mitglied des Ku-Klux-Klans werden,
besuchen sie unsere Internetseite. Vergessen Sie nicht: Was nicht weiß ist,
ist nicht gut. Hinterlassen Sie Namen und Nummer, wir rufen Sie zurück.
White Power!“
Ich steh ganz bedröppelt da und denke: Wer also möchte, kann auch heute
noch auf einfachste Weise Mitglied werden und zelebrieren, was die weiße
Macht erhält. Es geht sogar noch leichter. Im Büro meiner Mutter, einer
Bank nahe der Wall Street, in New York, flatterten zweimal im Jahr Briefe
auf die Tische der Bankangestellten, mit Aufnahmebögen für den
Ku-Klux-Klan. Aber seltsamerweise waren auf den Briefen nie Briefmarken zu
sehen.
Und Derek? Hat er’s geschafft, sich solchen Versuchungen zu entziehen?
Mit einem „Heil Hitler“ fahren sie vorbei. Die Klans. Dann stopp, der Wagen
dreht, mit beißendem Fernlicht kommen sie auf mich zu. Der mit der
Klanmütze spricht. Mir wird ganz mulmig. Wenn man schwarz ist, fallen einem
in rassistischen, antisemitischen oder homophoben Momenten Szenen aus dem
Film „Django Unchained“ von Quentin Tarantino ein. Wo in der Mitte des
Films, die Hunde warten, ein geflohener Sklave seinen letzten Satz zu hören
bekommt. „Lassen sie Marsha und ihre Bitches los und schicken sie ihn in
den Niggerhimmel!“
## Wir schauen weg
Ich könnte jetzt noch ewig in der Vergangenheit graben, bis die Erde so
schwer ist auf mir, dass ich nur noch leiden kann. Und das geht gar nicht.
Man muss sich an einem Punkt entscheiden, ob als Schwarzer oder Weißer, wo
man bei dieser Reise langgehen will. Zurück oder nach vorne. Leiden oder
kreieren. Schweigen, oder red’ ich jetzt mit ihm? Mit dem Klan, Brother
Derek oder einem Teenie mit Rassismusmanier?
Wann ist ein Brother ein Brother? Professor Cornel West aus Princeton,
wann sagst du es mir? Ich fühle mich so allein auf diesem Weg, zu reden mit
denen, die man nicht mag, die man abgrundtief hassen sollte – oder
wegschleudern will. Hey, der Klanmann, das könnte auch der junge Derek
sein. Und sollte ich deshalb jetzt weinen? Stattdessen rede ich mit denen.
Jetzt ist ja noch Zeit.
Ich möchte keine Dereks und andere Mörder mehr sehen. Und weil das so ist,
muss ich doch was unternehmen. Wenn die Euphorie der
#BlackLivesMatter-Bewegung erst heruntergefahren ist, dann kommt doch die
Zeit, an das Wesentliche zu gehen. Maya Santamaria, die Besitzerin des
Clubs, in dem Brother Derek Security-Mann war, sagt über ihn, er habe
besonders hart bei schwarzen Gästen durchgegriffen und nannte seine
Methoden den „Overkill“. Solches Verhalten gibt es überall, auf der Straß…
in Bussen, in Schulen, im Wald. In Deutschland, Frankreich, USA, Ungarn …
Sie sind überall. Da sagen Rassisten etwas, das ich nicht hören will,
schlagen zu, treten runter oder flüstern ganz leise was gegen deinen besten
Freund. Und wir schauen weg, haben anderes im Sinn. Nein, stopp, da geht’s
lang. Da müssen wir ran. Früher erkennen, früher reden, reden, früher! Ganz
sicher früher. Ich frag mich, wie das Ganze noch ausgehen mag.
#StopRacismStartTalking
19 Jul 2020
## AUTOREN
Mo Asumang
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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