# taz.de -- Debattenkultur der Besserwisser: Schmeißt das Ego an die Wand | |
> Drama auf allen Bühnen. Viel wäre gewonnen, wenn wir uns überlegen, was | |
> wichtig und was verletzter Stolz ist. | |
Bild: Ob mit oder ohne Kind: Macht euch mal locker | |
Das war mal wieder eine Woche, da hätte ich am liebsten mein gesamtes | |
Umfeld kollektiv zum Yoga geschickt. Denn was war? Drama auf allen Bühnen, | |
viva la Diva! | |
Beim Yoga gibt’s nur wenige, zugegeben, sehr simple Grundsätze, aber mit | |
denen kommt man recht weit. Einer ist: Das Ego muss weg. Steht einem selbst | |
nämlich nur im Weg, diese Stimme im Kopf, die immer so lasziv schnurrt, wie | |
wichtig man selbst ist. Und was einem so alles zustünde. Das Ego-Vernichten | |
soll keinen Schmerz kleinreden und auch keine echten Bedürfnisse negieren. | |
Nur dran erinnern, dass jeder andere auch wichtig ist. | |
Und Schmerzen kennt. Daran schließt gleich das andere Grundprinzip an: | |
learn to sit with discomfort. Das Unbequeme aushalten heißt genau nicht, | |
eine Scheißegal-Trutzburg um sich zu bauen und sich passiv das Elend der | |
Welt unbeteiligt vom Fenster aus reinzupfeifen. Es heißt eher, mal | |
zuzulassen, dass was schmerzt, ohne gleich mit zitternden Fingern nach 'nem | |
Fix zu suchen: Bestätigung, Lob, Schoki, Wein und Applaus. | |
Oder reflexhaft zur Gegenrede auszuholen. Erst mal jemand anderen | |
abwatschen: Diese Woche etwa las ich, dass die Autorin Mirna Funk einem – | |
nach der aktuellen Beaufort-Skala eher kleineren – Shitstorm ausgesetzt | |
war, nachdem sie geschrieben hatte, dass sie ihre Tochter nicht als | |
(unbezahlte) Carearbeitslast sieht, sondern als Wunder, als Geschenk, als | |
über sie hereingebrochenes Glück. | |
Glück? Pfui. Anderer Leute Glück kann manchen schon zu viel sein. So | |
einfach darf es keine:r haben. Funk hatte noch hinzugefügt, dass das an | |
ihrem Background liegen möge, nur ein Teil ihrer Familie hat den Holocaust | |
überlebt. Mag sein, dass einem so eine Geschichte das Leben noch wertvoller | |
erscheinen lässt, aber mir kommt ihre Aussage auch ohne diesen Unterbau | |
doch geradezu selbstverständlich vor. Das Leben ist verdammt noch mal | |
kostbar. | |
Und wie wenig Respekt vor dem eigenen und dem Leben anderer muss man denn | |
haben, wenn man sich davon so provoziert fühlt, dass man gleich – [1][wie | |
Anne Dittmann in der Welt – zum Gegenschlag ausholen muss]. Und mit den | |
drastischen Worten einstieg, Funks Post kickte sie morgens ähnlich wie der | |
Kaffee, den sie bräuchte, um ihr eigenes quengelndes Kind nicht schon | |
morgens an die Wand zu werfen. | |
Häh? Was bitte ist das wieder für ein kaltschnäutziger Ton über Menschen, | |
noch dazu schutzlose, zu sprechen? Klar, Dittmann antwortet (explizit und | |
passiv-aggressiv schon in der Überschrift erwähnt) als Feministin auf Funk. | |
Die allerdings, wenn man den ein oder anderen Text von ihr gelesen hat, | |
selbst keine Freundin des Patriarchats ist. | |
Klar ist es Mist, dass Frauen nach wie vor [2][weniger verdienen, sich mehr | |
um die Kinder kümmern und dann im Alter arm sind]. Muss sich alles ändern, | |
klar. Aber es ist nicht die Schuld der Kinder, dass das so ist, und es ist | |
durchaus ein feministischer – weil schlicht menschlicher – Standpunkt, sich | |
dagegen zu wehren, Kinder in Marktlogik-Vokabular als Care-Arbeit zu | |
bezeichnen, als ob sie keine Würde hätten. | |
Wer nicht mehr merkt, wenn er vor lauter besten Absichten für die | |
Gesellschaft die Liebe zum Menschsein vergisst oder wie er oder sie im | |
Sprachgebrauch für die gute Sache verroht, geht noch mal zurück auf Los: | |
Yoga, Level 1. Logo haben es manche Mütter leichter als andere, weil mehr | |
Geld, mehr Support, nettere:e Partner:in, manche tun sich auch einfach | |
leichter mit Kindern als andere. Alles kein Grund, sich anzufeinden. | |
Wenn man, statt die Diskurskeule zu schwingen, mal kurz mit seinem | |
Discomfort und sich alleine sitzt, merkt man oft, dass man einfach neidisch | |
ist. Irgendwas hat irgendein:e andere:r immer, was man auch gern hätte. Ich | |
zum Beispiel hätte auch gern ein so süßes Kind wie Mirna Funk und so | |
schicke Klamotten wie sie dazu. Und mehr Geld verdienen will ich sowieso. | |
So what? Hab ich mehr Spaß, wenn ich anderen nichts gönne? Ich glaube | |
nicht. Alles nur das Ego, das da spricht. | |
Klar gibt’s Dinge, die nichts mit dem Ego und dafür viel mit dem Selbst zu | |
tun haben. Dinge, die so falsch und ungerecht sind, dass man kämpfen muss. | |
Im Privaten wie im Politischen. Man muss sich halt überlegen, welcher Kampf | |
wichtig ist und welcher Zeitvertreib. Und man muss wissen, dass man keinen | |
Kampf allein gewinnt, dass man immer Verbündete braucht. Ich sag’s mal ganz | |
vorsichtig: der Feminismus wäre weiter, wenn sich Frauen nicht gegenseitig | |
runtermachen würden. | |
Solidarität trotz anderer Ansichten wäre also schön, aber meist muss es | |
ohne gehen. Das tut oft weh. Aber wer schon mal Liebeskummer hatte, weiß, | |
der Schmerz geht nur weg, wenn man ihn sich gut anguckt und genau | |
auseinanderklamüsert: Was läuft wirklich schief – und was ist nur | |
verletztes Ego? | |
Alles Eso-Quatsch, denken Sie jetzt? Halte ich aus. Ich muss nicht jeden | |
Kampf gewinnen. | |
4 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/icon/partnerschaft/article209949035/Diskussion-ueber-Ca… | |
[2] /Gender-Gap-im-Konjunkturpaket/!5686625 | |
## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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