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# taz.de -- Bergwanderung auf die Zugspitze: Eng wird es nur am Gipfel
> Oben auf Deutschlands höchstem Berg ist es voll wie in einer
> Fußgängerzone. Doch der Fußweg hinauf etwa durchs Reintal ist reizvoll.
Bild: Blick auf die Zugspitze
Am Top of Germany geht es normalerweise trubelig zu. In Coronazeiten sind
die Besucherströme überschaubar. Am schönsten ist das Gipfelerlebnis
allerdings, wenn man ihn – wie die Erstbesteiger vor 200 Jahren – zu Fuß
erklimmt.
Für Bergsteiger gibt es keinen schöneren Moment als den, wenn sie den
Gipfel erreichen. Oben angekommen, folgt das vertraute Ritual: Fotos
machen, Jause auspacken und beim Essen die Augen über die Welt da unten
schweifen lassen, die Lichtjahre entfernt zu sein scheint. Auf der
Zugspitze sind die Bergsteiger dagegen eher enttäuscht.
Natürlich ist der Ausblick aus 2.942 Metern überwältigend. Aber wenn man
die Strapazen des Aufstiegs hinter sich hat, findet man sich auf einem
Plateau wieder, wo rund um die Seilbahnstation eine ganze Erlebniswelt mit
Kiosken, Souvenirs und Panoramarestaurant die Bergeinsamkeit vertreibt. Es
wimmelt vor Menschen, die Eis essen und Selfies machen. Arabische
Großfamilien, junge Asiaten – wer immer es sich leisten kann, die rund 60
Euro für die Berg- und Talfahrt zu zahlen, tummelt sich auf dem Top of
Germany, als wäre es die Fußgängerzeile von Garmisch.
In Coronazeiten ist die Zahl der Besucher allerdings bescheiden. In diesem
Sommer genießen hauptsächlich deutsche und österreichische Gäste den
Ausblick vom höchsten Punkt Deutschlands. Insofern ist der Zeitpunkt für
einen Besuch auf der Zugspitze günstig. Wirklich beglückend ist er aber,
wenn man sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hat. Zumal man dabei die
Wahl zwischen ganz verschiedenen Aufstiegsvarianten hat.
Je nachdem, von wo man startet, kann man die Zugspitze auf der
Gatterl-Tour, dem Jubiläumsgrat oder auf dem Steig durch die Nordwand
bezwingen. Klassiker ist der Aufstieg durchs Höllental mit der
spektakulären Höllentalklamm und einem mindestens ebenso spektakulären
Klettersteig. Allerdings braucht man für die achtstündige Tour mit 2.200
Höhenmetern nicht nur sehr gute Kondition, man muss auch klettern können.
## Ein gut markierter Weg
Kaum weniger reizvoll, aber nicht ganz so anspruchsvoll ist der Aufstieg
durchs Reintal – auf jenem Weg, den sich auch der Generalmajor und
Ingenieur Josef Naus bahnte, als er im August 1820 mit einem Bergführer aus
Garmisch und einem Messgehilfen im Rahmen einer Landvermessung zur
Expedition ins Wettersteingebirge aufbrach. Mehrere Tage waren die
Erstbesteiger unter Einsatz ihres Lebens unterwegs, bis Naus endlich einen
Bergstock mit befestigtem Sacktuch in den Schnee rammen konnte.
Heute erwarten uns hier ein gut markierter Weg und mehrere Hütten. Immerhin
muss man auch so mehr als 20 Kilometer und 2.254 Höhenmeter überwinden, was
mit einer Zwischenübernachtung besser zu schaffen ist. Wir starten in
Garmisch, laufen erst mal durch saftig grüne Wiesen zum Eingang der
Partnachklamm – und stehen Schlange. Schließlich sind wir nicht die
Einzigen, die dem Naturschauspiel beiwohnen wollen, wenn sich die Partnach
durch haushohe ausgehöhlte Felswände zwängt.
Das Wasser sprudelt, gurgelt, spritzt wie wild, während wir uns auf dem
schmalen, in den Fels gehauenen Pfad durch die Schlucht bewegen. Nach
zwanzig Minuten sind wir durch und atmen auf. Die gutbesuchte Klamm hat
auch etwas Beklemmendes. „Ja, aber danach verläuft sich alles“, hatte
Bergführer Franz versprochen. Und tatsächlich: Die meisten Besucher kehren
um.
Inzwischen hat sich das Wildwasser in einen idyllischen Gebirgsbach
verwandelt, der gemächlich vor sich hinplätschert, während wir fast allein
auf dem breiten Waldweg bergauf laufen. Bald verengt sich der Pfad und
schraubt sich an der Bockhütte und der Blauen Gumpe vorbei in die Höhe, bis
wir nach gut fünf Stunden die Reintalangerhütte auf 1.369 Metern erreichen.
Neben ihr verteilen sich Tische, Stühle und Sonnenschirme am Wasser. Es
sieht eher nach Strandbar oder Biergarten aus als nach einer
Alpenvereinshütte. Wir haben gerade noch Zeit, ein kühles Bier
hinunterzukippen, dann entlädt sich ein heftiges Gewitter.
Wir flüchten ins Trockene, beziehen unsere Zimmer und warten auf das
Abendessen. Ausgerechnet ein junger Argentinier aus dem fernen Patagonien
serviert uns Suppe, Schweinsbraten, Bayrisch Creme und einen passablen
Wein. Damit beginnt der gemütliche Teil der Tour mit Anekdoten und
Erzählungen von allen möglichen Bergabenteuern.
## Blick in den Talkessel
Viel Zeit zum Träumen bleibt uns danach nicht. Am nächsten Morgen um sechs
klingelt der Wecker. „Wir dürfen auf keinen Fall später als um sieben
aufbrechen“, hatte Franz uns zu Pünktlichkeit gemahnt. Es könnten wieder
Gewitter aufziehen. Schnell werden die Lunchpakete eingepackt, die
Trinkflaschen aufgefüllt, dann stapft einer hinter dem anderen her. Alles
schweigt.
Keiner will den Zauber der frühen Morgenstunde zerstören, wenn die
Morgensonne das Tal nach und nach in Festbeleuchtung taucht. Die Schafe,
die auf einer Almhöhe grasen, und den mächtigen Talkessel, der sich rundum
auftut, Hinterlassenschaft von jahrtausendealten Gletschern, die längst
abgeschmolzen sind und tiefe Furchen ins Gestein gerammt haben. An ihnen
entlang windet sich der Pfad in die Höhe. Um halb neun nehmen wir bereits
auf der Knorrhütte in 2.051 Meter Höhe das erste Skiwasser zu uns.
Später verstehen wir, warum der Bergführer hier noch mal eine Pause
eingelegt hat. Nicht nur, um noch mal neue Kraft zu schöpfen. Rund um die
Hütte dürfte es auch nicht viel anders aussehen als vor 200 Jahren.
Vielleicht waren die Schneefelder damals ein bisschen größer. Doch die
Zivilisation scheint Welten entfernt.
Ganz anders, als wir eineinhalb Stunden später auf dem SonnAlpin, einem
riesigen Erlebnisplateau, ankommen, wo alles zusammenläuft: die
Zahnradbahn, die von Garmisch heraufkommt, die Station der Gletscherbahn,
Restaurants, eine Kapelle … Die Kulisse wird sogar dafür genutzt, das
neueste Modell eines führenden bayerischen Fahrzeugbauers zu präsentieren.
Der Gipfel liegt noch 300 Meter weiter oben. Jetzt haben wir die Wahl:
Entweder quälen wir uns noch mal eineinhalb Stunden durch Geröll und
hangeln uns über einen Grat zum Gipfelplateau, oder wir steigen in die
Gletscherbahn. Egal, was man macht, mit der Bergeinsamkeit ist es vorbei.
Der schönste Teil der Tour liegt definitiv hinter uns. Wie fast immer ist
der Weg das Ziel.
Wobei wir ehrlich zugeben müssen: Dank der Seilbahn mit der weltweit
höchsten Stahlstütze bleibt uns der lange, beschwerliche Abstieg erspart.
Statt sieben oder acht Stunden bergab zu wandern, schweben wir in wenigen
Minuten ins Tal hinunter. Direkt auf den karibikblauen Eibsee zu, der
inmitten der alpengrünen Wald-und-Wiesen-Landschaft aufschimmert. Sein
Anblick könnte fast den des Top of Germany toppen!
30 Jun 2020
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Wandern
Alpen
Reiseland Deutschland
Lesestück Recherche und Reportage
Markus Söder
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