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# taz.de -- Russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“: Ende eines Flaggschif…
> Zensur und Nähe zum Kreml werden dem neuen Chefredakteur der russischen
> Zeitung „Wedomosti“ vorgeworfen. Verliert das Blatt seine Unabhängigkeit?
Bild: Die „Wedomosti“ gehörte zu einer der letzten unabhängigen liberalen…
Moskau taz | So, wie man Wedomosti die letzten zwanzig Jahre kannte, wird
es die Zeitung wohl nicht mehr gehen, heißt es. Nach drei Monaten zäher
Auseinandersetzungen musste sich auch das Flaggschiff der russischen
Qualitätspresse dem neuen Eigentümer und der umstrittenen Chefredaktion
unter Andrei Schmarow endgültig fügen. Der Verwaltungsrat hatte sich
mehrheitlich für Schmarow, den Mitbegründer der kremlnahen
Wirtschaftszeitschrift Ekspert, entschieden.
Fünf stellvertretende Chefredakteure verließen daraufhin das Blatt nach
langjähriger Mitarbeit. Bereits im März hatten zehn Journalisten die Arbeit
bei dem Blatt quittiert. Mit einer Auflage von rund 75.000 zählte die
Tageszeitung nicht zu den größten Zeitungen in Russland. Doch Wedomosti
hatte Einfluss.
Auf den zwei täglichen Meinungsseiten versammelte es eine Vielstimmigkeit,
deren nachdenkliche Analysen mehr waren als bloße Regimekritik. Auch
Philosophen, Historiker und Vertreter aus der Wissenschaft nutzten das
Medium. Auch sonst überzeugte Wedomosti durch umfangreiche
Wirtschaftsberichte. „Unser Ruf basierte auf Transparenz und Vertrauen
zwischen Reportern und Redakteuren, Journalisten und Newsmakern“, erklärte
die Zeitung in einem der letzten Beiträge in eigener Sache.
1999 wurde Wedomosti gegründet. Damals als eine Gemeinschaftsproduktion aus
Wall Street Journal (WSJ), der Financial Times (FT) und der
niederländischen Verlagsgruppe Independent Media. Deren wichtigstes Medium
war die englischsprachige Tageszeitung Moscow Times. Wie FT und WSJ
erschien auch Wedomosti auf lachsfarbenem Papier. „Das dürfte das Einzige
sein, was vom Selbstverständnis bleibt“, meinte eine Kommentator im Sender
Echo Moskaus nach der Verlagsentscheidung.
## Aufbegehren der Redaktion
Der Konflikt setzte unmittelbar nach Einstieg des neuen Chefredakteurs im
März ein. Schmarow erklärte, er lese Wedomosti nicht und lehne den
Redaktionskodex ab. Er griff in die Berichterstattung ein und änderte
eigenmächtig Überschriften. Schmarow verbot außerdem die Veröffentlichung
der Umfrageergebnisse des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts
Lewada-Zentrum, die Wladimir Putins sinkende Popularität belegten.
Die Redaktion folgte der Vorgabe jedoch nicht und veröffentlichte die
Ergebnisse auch weiterhin. Kolumnen des Lewada-Mitarbeiters Alexei Lewinson
behielt sie als feste Einrichtung bei. Selbst Wladimir Putins Pläne,
[1][seine Amtszeit ab 2024] wieder auf „null zu setzen“, von Neuem zu
zählen, durften nicht mehr aufgegriffen werden.
Für Unmut sorten auch Schmarows wiederholte Eingriffe, Beiträge über den
Rosneft-Chef, Igor Setschin, zu glätten. Setschin ist ein enger Vertrauter
Wladimir Putins. Talfahrt des Rubels und Verfall des Ölpreises im Februar
waren direkte Folgen der Intervention des Rosneft-Chefs.
Zensur wurde am sichtbarsten, als ein Beitrag über Setschin aus der
Onlineausgabe gelöscht werden musste.2017 hatte Wedomosti bei einer
Tochterbank von Rosneft einen hohen Kredit über Business News Media (BNM)
aufgenommen, die als Aktiengesellschaft hinter Wedomosti stand. Dies ließ
sich am Ende gegen die Wahl eines unabhängigen Eigentümers nutzen und auch
Andrei Schmarow zum Chefredakteur zu ernennen.
## Prinzipien aus der Vergangenheit
Neuer Eigentümer ist seit Ende Mai Iwan Jerjomin. Der Medienunternehmer
betreibt mit Federal Press ein Newsportal, das sich vor allem durch
Veröffentlichungen von PR-Material aus dem Hause Rosneft hervortat. Mit dem
staatlichen Ölkonzern verbinden ihn seit Jahren gut bezahlte Werbeaufträge.
Schon 2016 hatte sich die Lage ausländischer Medien in Russland deutlich
verschärft. Seither dürfen Ausländer nur noch 20 Prozent eines Mediums
besitzen. Das war auch der Anlass, warum die ehemaligen
Wedomosti-Gründungsmitglieder aus dem Verbund aussteigen mussten.
Die Ernennung des neuen Chefredakteurs zeige, dass die alten Standards und
Prinzipien von Wedomosti nicht mehr gebraucht würden, meinten die
stellvertretenden Chefs bei ihrer Kündigung. Ganz verzweifelt klang es noch
nicht.
21 Jun 2020
## LINKS
[1] /Verfassungsreform-in-Russland/!5674297
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Schwerpunkt Pressefreiheit
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