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# taz.de -- Berliner CDU tagt erstmals digital: Neuer Wein in neuen Schläuchen
> Die Christdemokraten haben nicht nur neue Parteifarben, sondern denken
> bei ihrer ersten Online-Mitgliederkonferenz auch verkehrspolitisch
> anders.
Bild: CDU-Generalsekretär Evers und Landeschef Wegner vor Parteiwerbung in neu…
„Ich kann die CDU Berlin nur ermuntern“, sagt der zugeschaltete Gast,
„macht eine progressive Fahrradpolitik.“ Wer sich jetzt erst an diesem
Samstagvormittag auf www.cdu.berlin geklickt hat, könnte meinen: Das ist
bestimmt der für den Online-Parteitag angekündigte Vertreter der
Fahrradlobby ADFC. Aber nein, dieser Mann da in dem Bildschirmfenster oben
links ist der CDU-Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen. Der ADFC-Chef
ist zwar auch da, braucht aber oft an diesem Vormittag bloß zu nicken und
später die Christdemokraten bestärken: „Gute Fahrradpolitik ist ein
zutiefst bürgerliches Thema.“
Rund 400 CDUler haben sich eingeloggt bei dieser ersten digitalen
Mitgliederkonferenz, aber auch Nicht-Mitglieder können die Veranstaltung
via Live-Stream verfolgen, bei der es um eine neue Mobiltätspolitik gehen
soll. Der vor knapp drei Wochen vorgestellte Wechsel der Parteifarben von
rot-weiß auf orange-schwarz samt neuer Werbeformen konnte einen noch
skeptisch zurück lassen: Würde das nicht alles nur alter Wein in neuen
Schläuchen sein?
Doch an diesem Vormittag sieht es so aus, also ob die Parteiführung um den
seit gut einem Jahr amtierenden Landesvorsitzenden Kai Wegner es
tatsächlich ernst meint mit einem Umdenken – und das nicht bloß, weil kein
einziger CDUler mit Krawatte zu sehen ist. Der Parteinachwuchs Junge Union
hat erst wenige Tage zuvor mehr Einsatz für Fahrradfahrer gefordert, und
nun sind auch vom Parteiboss Sätze zu hören wie: Ja, es gebe die
Kampfradfahrer, „aber es gibt auch Kampfautofahrer, und das finde ich auch
nicht gut.“
Die Partei sieht sich selbst auf dem Weg der Mitte: weder die auto- noch
die fahrradgerechte Stadt soll das Ziel sein, sondern die menschengerechte
Stadt. „Die Mobilitätsbedürfnisse haben sich verändert“, sagt Wegner. �…
Antworten, die wir vor 10 oder 20 Jahren gegeben haben, sind nicht mehr die
richtigen Antworten, die wir heute geben sollten. Wir müssen uns hier
weiterentwickeln.“ Das soll aber weiter nicht mit Verboten und Umerziehung
passieren.
## Mehr Teilnehmer als bei den Grünen
400 Teilnehmer an dieser ersten digitalen Mitgliederkonferenz wirken zwar
erstmal nicht viel angesichts von über 12.000 Mitgliedern im Landesverband.
Aber so viele wie an diesem Vormittag gab es in früheren Zeiten bei
normalen Parteikonferenzen nicht. Im Mai hatten bereits die Grünen einen
kleinen Parteitag ins Netz verlagert – dort waren rund 270 der berlinweit
rund 10.000 Grünen eingeloggt. Das allerdings wirkte eher wie ein müder
Abklatsch eines echten Treffens, weil sich das Ganze auf einen Info-Abend
der beiden Parteichefs zum Wahlprogramm und Fragen von nicht eingeblendeten
Mitgliedern beschränkte.
Da kommt die CDU an diesem Vormittag schon professioneller daher. Die
Parteispitze sitzt nicht zuhause, sondern leitet die Mitgliederkonferenz
von einem Fernsehstudio in Britz aus. Generalsekretär Stefan Evers führt
ein, Wegner holt in bekannter Weise ein bisschen, aber knapp genug, um
seine Parteifreunde vor dem Bildschirm zu halten, gegen Rot-Rot-Grün aus –
Klientelpolitik hält er der Koalition vor, nicht die ganze Stadt im Blick
zu halten, das. Für zwei folgende Gesprächsrunden zugeschaltet, aber zum
Teil auch in diesem Fernsehstudio, sind Verkehrsexperten, darunter zwei
Minister anderer Bundesländer, Ex-BVG-Chefin Sigrid Nikutta und auch die
Cheflobbyistin der Auto-Branche, Hildegard Müller.
Ebenfalls Gesprächsgast im Studio ist der Chef einer Firma für
Elektro-Roller, der dort umgeben von Christdemokraten munter verkündet:
„Ich würde mich freuen, wenn die Berliner Innenstadt 2030 autofrei ist.“
Das mag Generalsekretär Evers dann doch nicht unkommentiert lassen: Er
glaube nicht an die autofreie Stadt – „aber ein bisschen autoärmer wird es
schon werden.“ Eine City-Maut mit bis zu neun Euro am Tag, die die Grünen
Anfang Mai erneut ins Gespräch brachten, hält in einer parallelen Umfrage
immerhin knapp ein Viertel der CDU-Mitglieder für gut – 77 Prozent
allerdings sind dagegen.
Von Auto-Lobbyistin Müller, früher Junge-Union-Chefin und Staatsministerin
im Kanzleramt, gibt es noch am ehesten die klassischen CDU-Töne: „Jedes
neue Auto ist ein Schritt Richtung Klimaschutz“, meint sie mit Verweis auf
neue Technik, eine Fixierung auf E-Autos ignoriert aus ihrer Sicht das
Nachfrageverhalten. Nikutta hingegen wiederholt Kritik, die sie schon bei
ihrem Wechsel von der BVG in den Vorstand der Deutschen Bahn äußerte: „Wir
haben ungesteuert zugelassen, dass LKWs die Stadt erobert haben.“
## Digitaler Probelauf
Für CDU-Landesspitze ist es auch ein Probelauf. Bislang sind laut
Parteienrecht Online-Parteitage nicht möglich, zumindest in dem Sinne, dass
Wahlen und Kandidatenaufstellungen gültig wären. Und so probiert die Partei
einiges aus an diesem Vormittag: Die Mitglieder können parallel zu dem, was
sie auf dem Bildschirm sehen, neben der City-Maut noch über eine ganze
Reihe anderer Fragen abstimmen, Ideen einreichen, andere Ideen bewerten –
und schließlich auch direkt mitreden. Über 20 Mitglieder sind es, die am
Schluss zu Wort kommen – bei einem normalen Parteitag treten nur ganz
selten einfache Delegierte ans Mikrophon.
Die Online-Abstimmungen des Tages gelten nicht als offizielle
Parteibeschlüsse, sollen aber ihren Weg ins Programm für die
Abgeordnetenhauswahl 2021 finden. Ein erster Prüfstein dafür, ob es auch
dazu kommt, ist ein Konzeptpapier des Landesausschusses Mobilität: Das soll
noch in diesem Monat fertig werden und dem Parteivorstand vorliegen. Dass
die Grünen allerdings trotz dieses innovativen CDU-Vormittags keine Angst
haben müssen, verkehrspolitisch überholt zu werden, legt neben der
Maut-Ablehnung noch ein anderes Ergebnis nahe: Tempo 30 flächendeckend in
Berlin – das wollen 92 Prozent der Mitglieder dann doch nicht.
6 Jun 2020
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
CDU Berlin
City-Maut
Digital
Schwerpunkt AfD in Berlin
Grüne Berlin
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