# taz.de -- Fahrradfahren im Flachland: Ich werd zum Windkraftgegner | |
> Von wegen, nur mit Gegenwind kannst du fliegen. Eine Radtour durch | |
> Friesland zeigt: Erneuerbare Energien können ganz schön nerven. | |
Bild: Wieso kommt der Wind immer von vorne? | |
Berlin taz | Abends um sieben, zwischen Varel und Dangast, hatte ich echt | |
die Nase voll. Voll mit klarer friesischer Seeluft, die uns über den Deich | |
entgegenblies. Der Wind zerrte an unseren Fahrrädern, stellte sich wie eine | |
Wand vor uns und drückte uns zurück. | |
Da half nur: Noch einen Gang runterschalten, den Kopf noch tiefer neigen | |
und treten, treten, treten. Das hatten wir aber schon stundenlang getan. | |
Eine gewisse Verbissenheit machte sich breit. Der innere Windkraftgegner in | |
mir wurde immer lauter. | |
Den Frust gegen diesen unsichtbaren und allmächtigen Feind konnte ich nicht | |
mal richtig rausschreien. Schließlich sollte die Radtour von Hannover nach | |
Jever ja offiziell Spaß machen. | |
## Wunsch nach Stromlinienförmigkeit | |
Das tat sie ja auch. Die Söhne radelten bereitwillig mit, weil das Leben in | |
Corona-Zeiten ohne Schule selbst für 16- und 17jährige irgendwann | |
langweilig wird, wenn Netflix leergeglotzt ist. Und ich bekam eine Menge | |
neuer Einblicke in mein Inneres. | |
So begann ich, die alten Spontisprüche zu hassen: „Nur mit Gegenwind | |
bekommst du Luft unter die Flügel“: Was für ein Quark, wenn dir ungebremst | |
fünf Windstärken über die Marsch entgegenfauchen. | |
Ähnlich blöd wie „Nur gegen den Strom geht es zur Quelle“ oder „Nur tote | |
Fische schwimmen mit dem Strom“. Sowas kann nur rumtröten, wer nie tagelang | |
gegen Wind oder Wellen gekämpft hat. Ich jedenfalls wollte in diesen fünf | |
Tagen nichts mehr als ein stromlinienförmiges Leben. | |
Auch sonst wurden die Vorurteile der ignoranten Städter gut durchgepustet. | |
Radfahren an der Weser ist deutlich spannender als Fußballgucken im | |
Weser-Stadion. Die Menschen in Jever sind gar nicht so friesisch herb, wie | |
sie vorgeben, sondern sehr nette und warmherzige Gastgeber. | |
Dann lernte ich noch: Erneuerbare Energien können manchmal ganz schön | |
nerven. Sie sind auch überhaupt nicht neu: Windmühlen, Segelschiffe, | |
Wasserkraftwerke stehen seit Jahrhunderten in der Gegend rum. Der gern | |
genutzte Slogan „Ausbau der Erneuerbaren“ ist ein Witz. Was man ausbauen | |
kann, ist das Fitzelchen an ihnen, mit dem wir Strom erzeugen, um Netflix | |
zu glotzen. Aber Sonne, Wasser, Biomasse und Wind sind immer und überall um | |
uns herum. | |
Das größte Problem mit der Windenergie ist nicht, dass sie sich schlecht | |
speichern lässt. Sondern, dass sie immer von vorn kommt. Immerhin hilft sie | |
anderen Leuten. Der Landkreis Friesland erzeugt damit knapp doppelt so viel | |
Strom wie er verbraucht, heißt es. Und wenn wir in die fröhlichen Gesichter | |
der SeniorInnen sahen, die uns mit Rückenwind und einem netten „Moin“ auf | |
ihren E-Bikes entgegenkamen, wussten wir, dass der Wind zu etwas gut ist. | |
Man muss eben nur im Einklang mit der Natur leben. Das schafften wir erst | |
am letzten Tag – auf der Rückkehr vom Strand eine Stunde lang Rückenwind. | |
Wir genossen es, schwerelos durch Wiesen und Weiden zu kurven. | |
Und ich merkte: Ich habe eigentlich gar nichts gegen die Windkraft. Ich bin | |
inzwischen nur fanatischer Gegenwindkraftgegner. | |
5 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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