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# taz.de -- Nazi-Devotionalien in Tschechien: Brauner Spuk in Prag
> Ein für Provokationen bekannter Verlag bietet für 2021 einen Kalender mit
> Bildern von Nazigrößen an. Jetzt hagelt es erste Anzeigen.
Bild: Der Markt ist da: Tschechische Nazis bei einem europäischen Treffen rech…
Prag taz | Stechend sind die Blicke, die aus dem Kalender in
schwarz-weiß-rot hervorstechen: Reinhard Heydrich im Februar oder Josef
Mengele im September. Nur K.H. Frank im April schaut drein, als ob er
gerade vor dem Schafott im Prager Pankrác-Gefängnis steht, wo er 1945 unter
öffentlichem Jubel hingerichtet wurde.
Adolf Hitler ist doppelt dabei, im Januar mit herunter gezogenen
Mundwinkeln und im Dezember mit entschlossener Miene. Der neue
Jahreskalender “Persönlichkeiten des Dritten Reichen“, den der Prager
Verlag “Naše vojsko“ gerade in seinem Sortiment veröffentlicht hat,
verspricht: das Jahr 2021 kann braun werden.
Aber wer um alles in der Welt hängt sich freiwillig nachgezeichnete Fotos
von Nazi-Größen an die Wand? Das fragen sich dieser Tage viele in der
Tschechischen Hauptstadt, einen solch miserablen Geschmack traut kaum
eine(r) seinen/ihren Mitbürgern zu.
„Vielleicht gar keine schlechte Idee, um unliebsamen Besuch loszuwerden“,
meint Michal, der mit Freunden im Biergarten das Ende der Corona-Krise
feiert. „Oder wenn man mal jemanden beherbergen muss, den man nicht mag“,
theorisiert sein Kumpel Petr. „Da müsste ich schon eine hohe Wette
verlieren, um mir die Hackfressen an die Wand zu nageln“, erklärt indes
Vojta.
## Nicht vorstellbar
Aber freiwillig? Das kann sich keiner vorstellen. Nicht nur der Ästhetik
wegen. Sondern auch [1][wegen der eigenen Vergangenheit]. 360 000 Tschechen
und Tschechinnen kamen während der Nazi-Besatzung ums Leben. Das sollte
eigentlich reichen, um die Zielgruppe, die sich von diesem braunen
Kunstwerk in passendem Schwarz-Weiß-Rot angesprochen fühlt, auf Null zu
reduzieren.
Hitler sells – das ist nichts Neues. Mit dem Bösen kann man genauso
verdienen wie mit Sex oder Crime. Wobei das eine das andere natürlich nicht
ausschließt. Inwiefern die Herausgabe des Nazi-Kalenders für 2021 eine
Straftat darstellt. prüft jetzt die Polizei.
Der Vorsitzende des Stiftungsfonds für Holocaust-Opfer, Michal Klima, hat
mit einer Strafanzeige auf den Kalender reagiert. „Ich halte es für
inakzeptabel, dass man bei uns im Jahr 75 nach der Niederlage des
Nationalsozialismus seine Vertreter legal propagieren kann.
Er sei „geschockt und angeekelt“, kommentierte Israels Mann in Prag, Daniel
Meron auf Twitter. Deutschlands Botschafter Christoph Israng fragte sich
auf Facebook, wie man überhaupt einen solchen Dreck herstellen oder kaufen
könne. So etwas sollte man nicht tolerieren, schimpft Israng.
## Weiterer Aufruhr
Eine Unverschämtheit, urteilt auch Tomáš Kraus, Vorsitzender der Föderation
der jüdischen Gemeinden in Tschechien, dessen Familie über Generationen das
jüdische Leben in Prag mitbestimmte. Seine Großmutter kannte Egon Erwin
Kisch sogar noch persönlich.
„Allein die grafische Aufarbeitung des Kalenders zeigt, dass es sich hier
um eine Glorifizierung des Nazi-Regimes handelt“, erklärt Kraus. Bevor er
deswegen Strafanzeige gegen den Verlag gestellt hat, ließ er ihm im Namen
der Jüdischen Föderation ausrichten, den Kalender aus dem Verkauf zu
nehmen. „Die Reaktion war nicht nur ablehnend, sondern sie haben sich
richtig gehend lustig über uns gemacht, meint Kraus.
Mit ähnlichen Beschwerden, Strafanzeigen und weiterem Aufruhr hat der
Verlag natürlich gerechnet. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit der
Nazi-Thematik auf sich aufmerksam macht. Schon länger bietet er die
„Persönlichkeiten des Dritten Reiches“, die jetzt in fragwürdiger Ästhet…
den Kalender schmücken, auf Tassen an.
Für Kontroversen sorgte der Verlag auch vor vier Jahren, als er eine
tschechische Übersetzung von „Mein Kampf“ auf den Markt brachte. Allerdings
ging das Buch wie warme Semmeln weg: innerhalb von zwei Wochen vertickte
der Verlag über seinen E-Shop um die zehntausend Exemplare.
## Kick beim Nachmittagskaffee
Vielleicht sind es ja weniger die Nazis selbst, die für Verkaufszahlen
sorgen., sondern der Tabubruch an sich. Das banalisierte Böse wird zum
Alltagskick beim Nachmittagskaffee.
Auf dieses Konzept vertrauen die ganzen Kitsch-und Kramläden für Touristen,
die die Prager Altstadt bevölkern seit Jahren. Dort gilt Hitler, ob als
Marionette oder Maske, als Bestseller. Jetzt soll es aber genug sein mit
dem braunen Spuk in Prag. Ein neues Gesetz soll den braunen
Verkaufsschlagern den Garaus machen.
29 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Tschechien
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Prag
Roma
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