# taz.de -- Neonazimarsch in Prag verhindert: Gesperrtes Ghetto | |
> 1.500 Polizisten und über 1.000 Demonstranten stoppten am Samstag einen | |
> Aufmarsch von Rechtsradikalen im jüdischen Viertel von Prag. Dabei kam es | |
> zu Schlägereien. | |
Bild: Gedachten der Reichsprogromnacht 1938: Demonstranten in Prager Altstadt. | |
Prags Oberbürgermeister Pavel Bem zeigte sich erleichtert: "Wir haben | |
alles, was nötig war, getan, um zu verhindern, dass der Jahrestag der | |
Kristallnacht zur Propaganda einer extremen Bewegung missbraucht wurde," | |
erklärte er, nachdem am Samstagabend wieder Ruhe an der Moldau eingekehrt | |
war. Tagsüber war es vereinzelt zu Krawallen gekommen, als Autonome in der | |
Prager Altstadt Jagd auf Skinheads machten. Rund 1.500 Polizisten sorgten | |
allerdings dafür, dass es nicht zu größeren Ausschreitungen kam. Vor allem | |
dadurch, dass sie den größten Teil der rund 400 Neonazis daran hinderten, | |
überhaupt in die Nähe des ehemaligen Jüdischen Ghettos zu gelangen. | |
Eine Gruppe von etwa 30 Neonazis schaffte es jedoch bis in die Altstadt. | |
Dort wurden sie von rund 1.000 linken Antifas und mehreren hundert | |
Tschechen, von denen einige sich einen gelben Davidstern auf ihre Mäntel | |
geheftet hatten, in Empfang genommen. Zwischen Moldauufer und der | |
Prachtmeile Paríþska kam es zu Ausschreitungen, als die Skinheads die | |
Gegendemonstranten mit einem überzeugten "Sieg Heil" begrüßten und einer | |
der Rechtsextremen mit einer Gaspistole in die Menge schoss. Er wurde vor | |
laufenden Kameras krankenhausreif geschlagen. An Waffen stellte die Polizei | |
mehrere Dutzend Gaspistolen, Schlagstöcke und Messer fest. "Insgesamt | |
wurden 296 Personen festgehalten", sagte der Prager Polizeichef Petr | |
Zelasek. "Davon", so Zelasek, "196 Ausländer, vor allem Slowaken." | |
Aber auch Deutsche waren an diesem hässlichen nassen Samstag nach Prag | |
gekommen. Mindestens zwei Busse voller Neonazis hatte die tschechische | |
Polizei am Vormittag von der Grenze bis nach Prag eskortiert. Weitere | |
kamen, als alles vorbei war: Erst gegen 21 Uhr seien Rechtsextreme aus | |
Sachsen eingetroffen, sagte Polizeichef Zelasek. Da war auch schon die | |
letzte Schlacht gelaufen. Die lieferten sich gegen 19 Uhr autonome | |
Demonstranten in der Nähe des Wenzelsplatzes mit der Polizei. Dabei kam es | |
zu einer Handvoll Verletzten, 39 Demonstranten wurden festgenommen, unter | |
ihnen mindestens 10 Deutsche. | |
Jetzt freut sich Tschechiens konservativer Innenminister Ivan Langer. "Die | |
Aktion war ein Erfolg, die die gute Zusammenarbeit innerhalb der Polizei | |
unter Beweis stellte", sagte er. Tatsächlich hatte der Staat am Samstag | |
mächtig aufgefahren: Hubschrauber und Panzerwagen, berittene und behelmte | |
Einsatzkräfte wachten über die Prager Altstadt. | |
Das Jüdische Viertel, die Josefstadt zwischen Moldau und Altstädter Ring, | |
war von Bereitschaftstruppen hermetisch abgeriegelt worden. Sehr zum | |
Unverständnis eines US-amerikanischen Touristen, der seinen Reiseführer | |
hilflos zwischen den Uniformen schwang. "Wie komme ich denn jetzt zum | |
Jüdischen Friedhof?" | |
Über Wochen hinweg hatte sich die Sache hochgeschaukelt. Neonazis der | |
"Mladi národní demokrate", der "Jungen Nationaldemokraten" hatten schon im | |
Spätsommer für den 10. November, dem 69. Jahrestag der | |
"Reichskristallnacht", eine Demonstration im Jüdischen Viertel angemeldet. | |
Offiziell, um gegen die tschechische Präsenz im Irak zu protestieren. | |
Mit einer Bürgerwehr wollte die jüdische Gemeinde auf die Provokation von | |
rechts reagieren. Während Staatspräsident Václav Klaus zur Zivilcourage | |
aufrief, überlegte Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova, die Armee | |
einzusetzen. Mehr noch als die Skinheads fürchtete man die internationale | |
Blamage. | |
Zum Schluss kam es weder zum einen noch zum anderen. Während die Jüdische | |
Gemeinde in der Prager Altstadt an die Pogrome von 1938 erinnerte, mussten | |
die Nazis draußen bleiben. Draußen, in der Vorstadt Vysocany. Dort, | |
zwischen Eishockeystadion und brachliegenden Fabriken, löste die Polizei | |
die Nazi-Demo auf, bevor sie überhaupt begonnen hatte. | |
11 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Sascha Mostyn | |
## TAGS | |
Tschechien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nazi-Devotionalien in Tschechien: Brauner Spuk in Prag | |
Ein für Provokationen bekannter Verlag bietet für 2021 einen Kalender mit | |
Bildern von Nazigrößen an. Jetzt hagelt es erste Anzeigen. | |
Tschechische Neonazis: Guter Draht nach Sachsen | |
Prager Rechtsextreme sind bislang zersplittert und führerlos. Dafür sind | |
sie gut mit deutschen Nazis vernetzt. |