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# taz.de -- Corona in Südafrika: Virenangst in den Townships
> Für den Winter wird in Südafrika eine Explosion der Corona-Fälle
> befürchtet. Die Lebensverhältnisse ermöglichen keinen Schutz.
Bild: Lockdown-Maßnahmen werden in Südafrika allmählich gelockert
KAPSTADT taz | Südafrika wurde von der WHO dafür gelobt, [1][mit strengen
Lockdown-Regeln] ab dem 26. März erfolgreich Zeit gewonnen zu haben, um
sich auf die Coronapandemie vorzubereiten. Aber ist das Gesundheitssystem
stark genug für den „großen Sturm“, den die meisten Experten in den
hiesigen Wintermonaten von Juni bis August erwarten? Prognosen sprechen von
bis zu 1 Million Infektionen und bis zu 40.000 Toten wegen Covid-19 vor
Jahresende.
„Die Epidemie wird zunächst deutlich schlimmer werden, bevor es besser
wird“, warnt Präsident Cyril Ramaphosa. Der erste Covid-19-Fall wurde in
Südafrika am 5. März registriert. Noch Ende März lag die Zahl der positiv
Getesteten bei nur 1.500. Heute gibt es knapp 24.300 Covid-19-Fälle in
Südafrika mit 524 Toten, die Zahlen steigen schnell.
Von Anfang an war klar, dass schlichte [2][Hygieneregeln in Townships und
armen ländlichen Gegenden kaum greifen würden], wo Menschen oft auf engstem
Raum zusammenleben und sich viele Familien einen Wasserhahn und eine
Toilette teilen müssen. Hinzu kommt [3][die extreme Armut bei noch immer
mehr als der Hälfte] der 58 Millionen Einwohner. Aus der Covid-19-Gefahr
wird existenzielle Not, wenn wegen Ausgangssperren nicht mal mehr Tagesjobs
nachgegangen werden kann und die oder der einzige Verdienende in einer
vielköpfigen Familie die Arbeit verliert.
Doch gab es seltene Einigkeit bei Arm und Reich und allen Hautfarben, den
Vorgaben von Präsident Ramaphosa und Gesundheitsminister Zweli Mkhize zu
folgen: NGOs und Kirchen mit Nahrungspaketen und Zehntausende Freiwillige
in Nachbarschaftshilfen. Kein anderes afrikanisches Land hat bisher 12
Millionen Screenings und 600.000 überwiegend kostenlose Tests vor allem
dort durchführen können, wo die „Hotspots“ von Infektionen auftauchten.
## Alle Betten belegt
Mehr als die Hälfte aller Infektionen wurde in der Provinz Westkap mit der
Metropole Kapstadt nachgewiesen. Der Direktor des dortigen
Gesundheitsministeriums, Keith Cloete, erklärt: „Bis Anfang August werden
wir allein hier rund 80.000 Patienten haben, die Krankenhausbehandlung
benötigen.“
Letzte Woche informierte das größte Krankenhaus Kapstadts, das Tygerberg
Hospital, dass alle Betten auf der Intensivstation belegt seien. Das
weltberühmte Grote Schuur Krankenhaus musste mehrere Abteilungen wegen
eines Mangels an Ärzten und Schwestern schließen, die selbst erkrankt sind.
Der Fokus auf Covid-19 hat eine weitere tragische Folge: Experten warnen,
dass, wenn andere Krankheiten weiter vernachlässigt werden, es zu
zusätzlichen Zehntausenden Toten kommen wird. Selbst Schutzimpfungen von
Kindern wurden vielerorts verschoben.
Die Lockdown-Maßnahmen werden derweil allmählich gelockert. Mit der
Rückstufung vom höchsten Level 5 auf 4 am 29. April bereits durften einige
Firmen mit einem Drittel der Belegschaft wieder die Arbeit aufnehmen, die
weitgehende Ausgangssperre aber blieb. Ab dem 1. Juni soll nun Level 3
gelten, das eine neue Bewegungsfreiheit erlaubt, Millionen Beschäftigen die
Rückkehr ermöglicht und auch Schulen und Universitäten wieder beginnen
lässt.
Erziehungsministerin Angie Motshekga hat Pläne vorgelegt, wie alle Schulen
schrittweise ab 1. Juni wieder öffnen sollen. Doch die großen
Lehrergewerkschaften haben erklärt, dass sie ihre Mitglieder [4][zum
Boykott aufrufen werden], da überfüllte Schulen ohne ausreichende
Toiletten ein zu hohes Risiko darstellen würden. Unabhängig davon haben
Lehrer*innen an mehreren Schulen begonnen, an einigen Wochentagen die
Schulspeisungen weiter stattfinden zu lassen. Für viele Kinder sind das die
einzigen warmen Mahlzeiten überhaupt.
## Quarantänezentren für die Armen
Um sich für den gefürchteten „großen Sturm“ zu wappnen, werden drei Ans�…
verfolgt. Erstens: Die Zahl der Krankenhausbetten wird radikal erhöht – das
Internationale Konferenzzentrum in Kapstadt soll mehr als 850 Betten
beherbergen, Feldlazarette für Tausende werden errichtet.
Zweitens: Tests machen nur Sinn, wenn die positiv Getesteten isoliert
werden können, was in 90 Prozent der Townships unmöglich ist – nur die
Wohlhabenden können sich daheim isolieren. So sollen Quarantänezentren
geschaffen werden, in denen Menschen so lange bleiben, bis sie nicht mehr
ansteckend sind. Allein im Westkap soll es um bis zu 53.000 Menschen gehen.
Aber was, wenn sich Menschen weigern, dieser Aufforderung zu folgen?
Drittens gibt es den Plan, Townships, die als besonders „überfüllt“ und
damit als „Coronabrutstätten“ gelten, durch die Umsiedlung einiger Tausend
Menschen zu „entsiedeln“. Auch dies als Angebot und nicht als
„Zwangsumsiedlung“ mit der bitteren Erinnerung an die Apartheid. In
Khayelitsha, mit über 1 Million Bewohner*innen das größte Township bei
Kapstadt, gibt es bereits mehr als 2.000 Infektionen. Hier werden derzeit
etwa 3.000 angebotene Umsiedlungen verhandelt.
Auch Masiphumelele im Süden Kapstadts mit nur 40.000 Bewohner*innen
gilt als „zu voll“. [5][Im Zentrum des Townships liegt unser Kinderhaus*],
in dem seit zwanzig Jahren Kinder und Jugendliche ein Zuhause finden, die
sonst keine erwachsenen Familienmitglieder mehr haben. Als wir damals
begannen, war Aids die häufigste Todesursache. Heute sind dort 144 unserer
Nachbarn positiv auf Covid-19 getestet. Doch im örtlichen Kreiskrankenhaus
gibt es nur 67 Betten, davon zwei Betten als Intensivstation.
Eine Krankenschwester kommentiert: „Wenn nur jeder dieser 144 mit fünf bis
zehn anderen in seiner Hütte in engem Kontakt ist, ist der weitere Ausbruch
der Infektion schon nicht mehr zu kontrollieren.“
*Der Autor lebt in Kapstadt als Mitbegründer der Stiftung HOKISA, die sich
für von AIDS betroffene Kinder und Jugendliche im Township Masiphumelele
einsetzt.
28 May 2020
## LINKS
[1] /Ausgangsbeschraenkungen-in-Suedafrika/!5680705
[2] /Coronavirus-in-Suedafrika/!5674592
[3] /Covid-19-in-Afrika/!5671067
[4] /Schuloeffnungen-in-Spanien/!5687626
[5] /Coronavirus-in-Suedafrika/!5674592
## AUTOREN
Lutz van Dijk
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