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# taz.de -- Coronavirus in Südafrika: Ein Kinderheim im Lockdown
> Südafrikas Ausgangssperre ist eine der strengsten, aber in den Townships
> schwer umzusetzen. Unser Autor hat dort einst ein Kinderheim gegründet.
Bild: Hier ist drin bleiben keine Option, die Wellblechhütten sind zu heiß
KAPSTADT-MASIPHUMELELE taz | „Lockdown“ – schwierig genug in Europa, ein
Abenteuer in [1][Ländern, wo Millionen Menschen ohne ausreichenden Zugang
zu fließendem Wasser] und Toiletten leben. Wo Hunderttausende obdachlos
sind und durch Betteln überleben müssen.
Seit dem 26. März gilt nun auch in Südafrika eine Ausgangssperre für
zunächst 21 Tage. Vielleicht auch länger, niemand weiß es bisher. Viele
Männer in den Townships ignorieren die Vorschriften und gehen weiter in
ihre „Shebeens“(Kneipen), einzelne Soldaten gehen mit Gewalt dagegen vor.
Doch gibt es keine Alternative zum „Lockdown“, erklärt Präsident Cyril
Ramphosa in zwei ausführlichen TV-Ansprachen. In einem Interview antwortet
er einer Journalistin: „Wir werden es schaffen – gerade weil wir so früh
begonnen haben. Wir werden besser sein als die meisten Prognosen, weil mehr
und mehr Menschen verstehen, dass es jetzt auf jeden von uns ankommt.“
Das Problem: Südafrika hat maximal 3.000 Betten auf Intensivstationen
landesweit – bei rund 500.000 erwarteten Patienten, von denen 100.000
Intensivbetreuung benötigen werden.
## HIV-positiv in Corona-Zeiten
Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung [2][haben keine Krankenversicherung].
Viele Menschen, auch in den jüngeren Altersgruppen, gehören zu den
Risikogruppen: So sind bisher noch immer gut zwei Millionen Menschen in
Südafrika HIV-positiv, ohne die nötige ARV-Medikamentierung und deshalb mit
entsprechend geschwächtem Immunsystem.
Gesundheitsminister Zweli Mkhize weiß, dass es zu wenig Testmöglichkeiten
gibt. Die bislang mehr als 1.650 bestätigten Infektionsfälle geben kaum die
Realität wieder.
Deshalb geht Südafrikas Regierung neue Wege. Derzeit werden 10.000
Freiwillige ausgebildet, um in Townships und armen ländlichen Gebieten
Menschen nicht nur aufzuklären, sondern auch auf mögliche Infektionen hin
zu befragen. Begleitet werden sollen sie von 70 Mobilstationen: Kleinbusse
mit ausgebildeten Krankenpflegern, die Tests durchführen und positiv
Getestete umgehend isolieren und in die nächsten Krankenhäuser bringen
können. Die meisten Krankenhäuser in Südafrika bereiten sich schon darauf
vor, indem sie bestimmte Abteilungen abgrenzen.
Gleichwohl räumt Gesundheitsminister Mkhize gegenüber der Öffentlichkeit
ein: „Etwa 60 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung von mehr als 55
Millionen Menschen werden sich infizieren. Bei den meisten werden es nur
milde Symptome sein. Unsere Aufgabe ist jetzt, dass diejenigen, die nur mit
medizinischer Betreuung überleben können, alle nötige Hilfe auch bekommen.“
## Evakuierung aus den Townships
Bislang gab es nach offiziellen Angaben „nur“ elf Tote aufgrund von
Covid-19 in Südafrika. Doch ein Tod machte weltweit sofort Schlagzeilen: Am
31. März starb [3][die bekannte Medizin-Professorin Gita Ramjee] in einem
Krankenhaus in Durban. Erst Mitte März war sie von einer Fachtagung zu
„Prävention und Hygiene“ aus London zurückgekehrt. Obwohl selbst Expertin
und umgehend in bester medizinischer Betreuung, starb sie innerhalb weniger
Tage.
Da sie sich seit Jahren für die Aids-Prävention und Frauen engagiert hatte,
war ihr Name auch im Kinderhaus HOKISA im Township Masiphumelele bei
Kapstadt vertraut, das durch meine Stiftung getragen wird. Dort leben seit
2002 Kinder und Jugendliche ohne Eltern oder sonstige ältere
Familienmitglieder. Anders als Kindergärten und Schulen können wir in
Zeiten der Ausgangssperre nicht schließen.
Unser Arzt im Kinderhaus hat uns vor dem „Lockdown“ darauf aufmerksam
gemacht, dass einige der Kinder besonders gefährdet seien aufgrund von
Lungen-Vorerkrankungen. Es sei besser, sie aus den Townships zu evakuieren.
Tatsächlich ist es gelungen, ein leerstehendes Haus in einem Nachbarort
anzumieten und innerhalb von fünf Tagen zu renovieren, einzurichten und den
Umzug von elf Kindern mit drei Erzieher*innen zu verwirklichen, die dort
bis auf weiteres in Isolation leben. Vier Personen aus dem Kinderhaus-Team
haben eine offizielle Genehmigung, weiter auf der Straße zu sein, um nun
beide Häuser mit Nahrung und Medikamenten zu versorgen – so lange wie
nötig.
Die Jugendlichen verstehen den Ernst der Lage. Einige der Kleinen denken
noch immer, es sei eine besondere Art von Ferien. Hoffentlich behalten sie
dieses Gefühl noch eine Weile.
Bald ist Ostern, das wie alle christlichen Feiertage auch im Township
gefeiert wird. Letzte Woche gab es den ersten Toten im Township
Khayelitsha. Dort leben mehr als 500.000 Menschen auf engstem Raum. Hier,
in Masiphumelele, sagt ein Nachbar tapfer: „Bei uns sind es nur 40.000 –
das ist besser!“
6 Apr 2020
## LINKS
[1] /Corona-im-Globalen-Sueden/!5673507
[2] /Coronavirus-breitet-sich-weltweit-aus/!5661644
[3] https://www.bbc.com/news/world-africa-52120265
## AUTOREN
Lutz van Dijk
## TAGS
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