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# taz.de -- Sommer vorm Balkon: Ein Abschied in glühenden Farben
> Berlin im Winter ist nicht so dolle. Aber im Sommer! Selbst in
> Corona-Zeiten. Eine – allerletzte – Kolumne unserer Autorin über ihre
> Wahlheimat.
Bild: Dit is Sommer in Berlin: auf der Friedrichsbrücke in Mitte – die Sonne…
Vor 14 Jahren – ich lebte schon eine Weile in Berlin – erschien Andreas
Dresens wunderbare Komödie „Sommer vorm Balkon“ in den Kinos. Im Film
konnte man den Freundinnen Katrin und Nike dabei zusehen, wie sie als
arbeitslose Single-Mutter mit Alkoholproblem und unglücklich verliebte
Altenpflegerin mit Macho-Mann auf der verzweifelten Suche nach dem Glück
und der Liebe durch den Alltag der Großstadt stolperten.
Doch so unvorhersehbar ihre Sommertage im Prenzlauer Berg der nuller Jahre
auch verliefen, so verlässlich waren ihre allabendlichen Verabredungen auf
dem Balkon des Ostberliner Mietshauses, auf dem sie laue Sommernächte lang
über unerfüllte Sehnsüchte und Probleme des Alltags redeten und fast
nebensächlich große Lebensthemen wie Freundschaft, Einsamkeit oder
Solidarität verhandelten.
Nie zuvor hat ein Film das Lebensgefühl des Berliner Sommers besser in
Szene setzen können: die tief segelnden Schwalben im Sonnenuntergang, das
leise Rattern der U-Bahn auf der Hochtrasse, das schallende Lachen von der
Straße, der warme Asphalt, der wie ein Kachelofen die Stadt in karibische
Wärme einhüllt. Wie viele Sommernächte habe ich bei Wein, Erdnüssen und
blühenden Geranien auf Balkonen verbracht, um Herzschmerz zu überwinden,
übermütige Zukunftspläne zu schmieden und sie wieder zu verwerfen.
[1][Andreas Dresen] hatte den Sommer vorm Balkon wirklich gut verstanden.
Denn so wie die flirrende Hitze des Tages, so verschwand mit der
Abenddämmerung auf nur zwei Quadratmetern Betonplattform auch die
Unübersichtlichkeit des Tages – zumindest für ein paar Stunden. In diesen
Momenten gab sich die Stadt unter dem Berliner Himmel wie ein großes
Wohnzimmer, in dem man es sich zusammen gemütlich machte und alles weniger
kompliziert und so viel großzügiger erschien. Eine wahrhaftigere Begegnung
mit Berlin war kaum möglich.
## Dann aber kamen die ersten Sommer
Denn wie unnahbar konnte sich diese Stadt nur wenige Monate später
anfühlen. Noch gut erinnere ich mich an das Wintersemester 1999, als ich
von der Küste zum Studium in die Großstadt zog. Wochenlang war der Himmel
grau wie Beton und waren die eisigen Winde derart frostig gewesen, dass man
nur mit hochgezogenen Schultern durch die Stadt laufen konnte. Und auch die
BerlinerInnen wirkten kaltschnäuzig.
Dann aber kamen die ersten Sommer und mit ihnen unvergessene
Großstadterinnerungen. So wie an jenen Abend an der Oberbaumbrücke, an dem
ich Rotwein aus einem bunten Plastikbecher trank und mich verliebte. Oder
an eine Mittsommernacht, als wir durch Bars in Friedrichshain und Kreuzberg
zogen und – zugegebenerweise durch den Seiteneingang – kurz auf einem
Clubkonzert im Lido landeten, bis uns der Türsteher am Jackenkragen
schwungvoll auf den Wrangelkiez-Asphalt katapultierte.
Unvergessen ist auch jener Juliabend, als eine Gruppe junger
PartymacherInnen durch die Spree zur legendären Technobar 25 schwamm und
sich anschließend dort am Lagerfeuer wärmte. Oder wie wir einmal morgens
barfuß ins Taxi stiegen, weil die Füße vom Tanzen schmerzten. Und natürlich
die Erinnerung an Monikas und Wolfgangs braun gestrichene Fischerpinte am
Weddinger Plötzensee, in der immer pünktlich zum Feierabend, wenn die
Grillen zirpten, Reinhard Meys Feierabendlied „Gute Nacht, Freunde, es wird
Zeit für mich zu gehen“ gespielt wurde.
Auch jetzt in diesen frühsommerlichen Tagen, da die jungen Menschen in
meinem Weddinger Kiez die Brücke über dem Spandauer Schifffahrtskanal für
sich entdeckt haben, von wo aus sie der untergehenden Sonne im
Schneidersitz zusehen, entfaltet der Berliner Sommer seine volle Magie. Auf
unserem Dach trommelt nun wieder der geheimnisvolle Steel Drummer, den wir
von der Terrasse aus nur durch die Spiegelung in den Fensterscheiben des
Mietshauses gegenüber sehen können.
Fast immer verabschiedet sich der Tag in den glühendsten Farben. So wie ich
mich nun von dieser Kolumne.
7 Jun 2020
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## AUTOREN
Julia Boek
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Schwerpunkt Coronavirus
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