| # taz.de -- Schreiben in der Andropause: Arbeit am und im Alter | |
| > Auch aufs Schreiben wirkt sich das Älterwerden aus: Ein | |
| > submisanthropischer Grundton durchwirkt Texte wie ein brüchiger grauer | |
| > Faden. | |
| Bild: Denn wir sind alle älter geworden. Aus Rock ’n’ Roll wird Rock ’n�… | |
| Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone | |
| spielen verrückt, der Andropausenclown versteht die Welt nicht mehr. Die | |
| Frau ist weg, und sein bester Freund ist der Urologe – und Redaktionen | |
| drucken falsche Texte. So geschehen in der Montagsausgabe der taz, weshalb | |
| mit zerknirschter Miene die richtige Kolumne nachgereicht wird. | |
| Die Andropause beeinflusst auch meinen Beruf, meine Kunst, mein Hobby, | |
| meinen Scheiß – ich hab schon die verschiedensten Bezeichnungen gehört, und | |
| die Übergänge sind ohnehin fließend. Zur Erklärung: Ich bin Mitglied einer | |
| sogenannten Lesebühne, die junge Menschen spielerisch an die Schönheit der | |
| deutschen Sprache heranführt. Im Rahmen dieses niedrigschwelligen | |
| Kulturangebots ermuntern wir das Publikum sogar zum Schmunzeln sowie dem | |
| begleitenden Genuss von Kaltgetränken. Die Texte schreiben wir selbst. | |
| Genau das ist leider zum Problem geworden. „Dein Greisengejammer wollen die | |
| jungen Leute bei eurem Lesezirkel gar nicht hören“, sagt mein Urologe | |
| Zbigniew, dem ich die neuen Geschichten stets zur Durchsicht schicke. „Das | |
| hat mit ihrem Leben nichts zu tun. Die haben doch völlig andere Themen: | |
| Zukunft, Klima, Sex, Internet und so.“ | |
| Meine wichtigste Andropausenaufsicht hat leider recht. Denn wir sind alle | |
| älter geworden. Aus Rock ’n’ Roll wird Rock ’n’ Rollator. Ein | |
| submisanthropischer Grundton durchwirkt unseren Vortrag wie ein brüchiger | |
| grauer Faden. Die Themen sind jetzt meist Altern, Einsamkeit, Impotenz, | |
| vages Wettern über eine Welt, die man nicht mehr versteht, und natürlich | |
| der neueste Prostatabefund. | |
| Manchmal denke ich, die wenigen verbliebenen Zuschauer kommen nur noch aus | |
| Sensationslust, um uns eines Abends live auf der Bühne sterben zu sehen: | |
| Herzinfarkt, Schlaganfall, Leberzirrhose. | |
| Altersranz auch beim gedruckten Schaffen | |
| Nach der Veranstaltung bleiben wir aus Mangel an Alternativen einfach | |
| sitzen, um schweigend noch mehr Bier zu trinken. Nur ab und zu seufzt einer | |
| oder fängt unmotiviert an, von früher zu reden. Doch zu seinem Glück können | |
| ihn die anderen eh nicht mehr hören. Die jüngeren Kollegen sind oft ganz | |
| anders. | |
| Professionell ziehen sie ihre Shows durch, nippen an modernistischen | |
| Limosorten und gehen im Anschluss direkt nach Hause. Da fehlt bloß noch die | |
| Aktentasche. Man merkt ihnen an, dass sie alle noch irgendwohin wollen, | |
| wenngleich mir nicht immer klar ist, wohin denn nun eigentlich genau. | |
| Auch der gedruckte Bereich meines Schaffens ist vom Altersranz betroffen. | |
| Meine Brüder im Ungeist sind heute mit der Andropause nach rechts gerückte | |
| Ulknudeln wie Dieter Nuhr oder Harald Martenstein. Die stets halbvolle | |
| Blase drückt permanent aufs Zornzentrum des Gehirns. | |
| Aus jedem unserer Sätze ragen die von ihrer schützenden Ummantelung | |
| befreiten Nervenenden hervor wie Kupferkabel. Dann gibt es einen | |
| Kurzschluss – und zack! – schon hat sich das Gejammer wie von selbst an die | |
| Redaktion geschickt, so auch hier. Doch der ganze Hass muss ja irgendwie | |
| raus, bevor man im nächsten Moment eh schon wieder grundlos anfängt, zu | |
| weinen. | |
| 25 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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