| # taz.de -- Ferien mit Spätfolgen: Leichtes Hohlkreuz mit Entenarsch | |
| > Nach einem langen Badesommer mit viel Eis und Cola, Pommes und Bockwurst | |
| > versucht unser Autor verzweifelt, Haltung zu bewahren. | |
| Bild: Jetzt sieht es keiner: zuviel Bauch | |
| „Schlimm“, sagt der Osteopath, als ich nur in Unterhosen und so aufrecht | |
| wie es mir eben möglich ist, vor ihm stehe: „Kein Wunder, dass Sie Probleme | |
| haben. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ | |
| Auf einem Stuhl sitzend begutachtet er meine Körperhaltung. „Versuchen Sie | |
| doch einfach mal, komplett locker zu lassen, und eine Haltung einzunehmen, | |
| die sich für Ihren Körper richtig anfühlt.“ Das wäre in meinem Fall ein | |
| leichtes Hohlkreuz mit Entenarsch, das meine alterskonforme Neigung zum | |
| Bäuchlein noch betonen würde. | |
| Doch das schaffe ich nicht. Es ist Frühherbst. Ein langer schöner | |
| Badesommer geht gerade erst zu Ende. Über vier Monate lang habe ich den | |
| Bauch am See, am Strand, im Schwimmbad so krampfhaft eingezogen, dass ich | |
| in dieser Pose quasi eingefroren bin. Nach einem schönen Wochenende habe | |
| ich oft so starken Bauchmuskelkater, als hätte ich stundenlang Sport | |
| getrieben, und das habe ich ja im Grunde auch. | |
| Erst gestern waren wir noch am Kleinen Schnuffinchensee bei Drivenow. „Mein | |
| dickes Nilpferd“, hat meine Frau gesagt, „holst du uns ein Eis oder soll | |
| ich uns eins holen?“ Ich übernehme das natürlich immer gern, weil ich | |
| eventuell auch Pommes will und ganz vielleicht ’ne Bockwurst dazu. Oder | |
| zwei. Und saure Schlangen. Beim Baden kriege ich immer mächtig Kohldampf. | |
| ## Trend zur Drittwurst | |
| Mit hart in Richtung Lendenwirbelsäule angesaugter Wampe stolziere ich zum | |
| Kiosk. Es ist Schwerstarbeit, den Bauch derart einzuziehen. Aber es lohnt | |
| sich: Wie ich schön ich bin, ein Adonis, ein perfektes, altersloses | |
| Muskeltier! Leider hat der anstrengende Verdünnisierungsversuch die | |
| Körperstatik so unnatürlich verändert, dass ich die Beine kaum mehr anheben | |
| kann. Ich stolpere über jeden Zweig; es ist im Grunde eine zirkusreife | |
| Leistung, dass ich so überhaupt noch laufen kann. | |
| Die hundert Meter zur Fressbude treiben mir den Schweiß auf die Stirn. Ich | |
| bekomme Durst. Besser ich hol mir gleich auch noch ’ne Cola. Überdies geht | |
| der Trend schon stark zur Drittwurst. Ich muss mich stärken vor dem | |
| kraftraubenden Balanceakt zurück zum Liegeplatz. Dann endlich loslassen, | |
| ausatmen, die Muskeln entspannen. Bis wieder jemand guckt. | |
| In Wahrheit guckt jedoch kein Schwein. Keine Sau interessiert sich dafür, | |
| wie ich aussehe. Warum auch, die Leute wollen sich hier erholen. Sie wollen | |
| sich sonnen, schwimmen und eine schöne Zeit haben. Ich habe keine Ahnung, | |
| wozu ich den Krampf überhaupt veranstalte. Über die Jahre hinweg hat er | |
| sich zu einer reflexhaften Zwangshandlung verselbstständigt, zu einem | |
| Verhaltensrudiment aus einer Zeit, da man Gegockel noch irgendwie für | |
| relevant hielt. | |
| ## Autoschikane statt Gelassenheit | |
| Das war damals schon ein Irrtum. Längst hat das eitle Schauspiel auch noch | |
| den letzten Bezug zu meiner Lebensrealität verloren. Aus einer Trottellumme | |
| wird kein Strandläufer mehr. Was tendenziell schon immer albern war, ist | |
| nun so redundant wie die Augen eines Maulwurfs. | |
| Was kommt wohl als Nächstes: ein Dickpic ans Finanzamt? Dabei könnte ich in | |
| meinem Alter doch in jeder Beziehung lockerlassen. Aber anstatt mit | |
| Gelassenheit antwortet der vom Druck des Wettbewerbs befreite Körper auf | |
| einmal mit Autoschikane. Was für ein peinlicher Backlash. | |
| Zurück im Behandlungsraum. „Ich weiß nicht, ob wir das wieder hinkriegen“, | |
| sagt der Osteopath und drückt an meinen Weichteilen herum. „Die Organe sind | |
| total verschoben“, bemerkt er. „Die Milz ist verklebt, die Leber blockiert, | |
| das Herz in der Hose – der ganze Apparat reagiert wie auf ein heftiges | |
| Trauma. Wie haben Sie das bloß geschafft?“ | |
| „Ich hab mir nur ein Eis geholt“, sage ich. Das allerdings an die | |
| fünfhundert Mal, doch das muss er ja nicht wissen. Hauptsache, er macht | |
| mein Gestell bis zum nächsten Mai wieder flott. | |
| 22 Jun 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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