| # taz.de -- Unbeweglichkeit im Alter: Keinen neuen Kram mehr, bitte | |
| > Starrsinn schmückt den reifen Mann. Denn gelernt hat er schon alles | |
| > wichtige. Neue Ideen stören da nur die innere und äußere Ruhe. | |
| Bild: Das Alter ist voller gelassener Gewissheit | |
| Irgendwann gerinnt im reifen Mann die feste Erkenntnis, dass er nichts | |
| Neues mehr lernen, geschweige denn erleben muss. Schließlich hat er genug | |
| erlebt, und, Hand aufs Herz, das meiste war ohnehin überflüssig und auch | |
| nicht besonders schön. Vor allem aber ist das Neue anstrengend. Irgendwann | |
| reicht es mit dem Stress. Wozu ist man quälende acht oder zehn oder gar | |
| dreizehn Jahre plus Nachspielzeit zur Schule gegangen? Da muss es doch auch | |
| mal gut sein. | |
| Gemüse, Feminismus, neue Rechtschreibung, Intimhygiene: Bitte keinen neuen | |
| Kram mehr! Dieser modernistische Schnickschnack fickt mein Hirn und macht | |
| die Welt zu einer schlechteren, sprich für mich unübersichtlicheren | |
| Scheißwelt. Alles, was ein Mann wissen muss, weiß ich: wie man eine | |
| Zündkerze mit den Zähnen zieht, wie die Miezen ticken und wie man eine | |
| Panzerfaust abfeuert. Das genügt. | |
| Brandt oder Strauß, Geha oder Pelikan, Beatles oder Stones – die | |
| wichtigsten Lebensentscheidungen habe ich für mich längst getroffen, die | |
| Weichen sind gestellt. Wozu eine Meinung bilden, ich hab doch schon eine. | |
| Und die passt auch zu jedem neuen Thema – unter einem sanften Hammerschlag | |
| hat sich noch immer jedes Puzzleteil gefügt. | |
| Meine Frau sagt oft, ich solle mich doch bitte mal bewegen. Aber ich hab | |
| mich doch schon mal bewegt. Ich muss auch nicht umziehen. Ich wohne doch | |
| schon. Ich will auch keine neuen Leute kennenlernen, ich kenne doch schon | |
| welche. Oder, besser gesagt, kannte welche. Als sie anfingen, mir zu | |
| widersprechen, habe ich sie entfreundet und blockiert. Das ging noch alles | |
| analog – man tauschte halt ein paar Backpfeifen, und ging danach nicht mehr | |
| ans Telefon. | |
| Mir wurde ja schon früher nachgesagt, ich sei unflexibel, stur und | |
| starrsinnig. Ich nehme das mal als Kompliment. Denn Starrsinn ist nicht | |
| umsonst nur einen Buchstaben von Starksinn entfernt. „Schwachsinn verliert | |
| Schlüssel, Starksinn gewinnt Kriege“, zitierte erst neulich mein kluger | |
| Urologe Zbigniew ein masurisches Bonmot, während er mit einer heißen | |
| Stricknadel behutsam meine Harnröhre entkalkte. | |
| Und er hat recht. Ich liege selbstverständlich immer und mit allem richtig. | |
| Dafür sorgt meine Lebenserfahrung, die den großen Vorteil hat, dass sie gut | |
| und fest konserviert ist, und nicht wie bei so vielen jungen Leuten durch | |
| permanenten Input aufgewühlt und deshalb nachhaltig getrübt. Auch „Diskurs�… | |
| und „Argumente“ sind doch nur Synonyme für Rückgratlosigkeit und | |
| Entscheidungsschwäche. Mal hü, mal hott. Von meinen ehernen Grundsätzen | |
| können sich die flatterhaften Mäuse eine dicke Scheibe abschneiden. Bei mir | |
| sind die Dinge nicht heute so und morgen so. Sondern immer gleich. Und zwar | |
| gestern. | |
| 28 Apr 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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